Kapitel 45

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Sein Blick war flehend, ja schon fast erwartungsvoll, aber auch ängstlich. Ich hingegen erstarrte. Hat er das tatsächlich gefragt? Jeden Moment kippte ich um. Eindeutig. Meine Beine wurden plötzlich wie Wackelpudding. Wie konnte er mich das denn in diesem Moment fragen? Machte er sich eigentlich Gedanken darüber, was in mir vorging? Diese Frage überhaupt zu stellen war keine Nichtigkeit. Es bedeutete etwas. Er war mein Gefährte. Nur für mich bestimmt. Für die Ewigkeit. Wir gehörten zusammen. Schon den Entschluss zu fassen ihn von mir zu schicken, war nicht ohne und zerriss mich, doch nun das?

Es brachte mich nicht nur durcheinander, sondern sofort schossen mir Tränen in die Augen. Sprachlos schaue ich ihn dabei an. Meine Lippen teilten sich. Mein Blick verschwamm. Mit ihm Noah. Alles schien in Zeitlupe vorbeizulaufen. Der Regen wurde jedoch stetig mehr. Das spürte ich in meinem Gesicht. Ungeachtet dessen rauschte er an mir vorbei, als würden die Tropfen tanzen, sogar fast stillstehen. Ich riss die Lider weiter nach oben, um Noah in die stechenden blauen Augen zu sehen. Er fesselte mich regelrecht mit diesem durchdringenden Blick, woraufhin er seine beiden Hände auf meine Wangen legte und mir die Tränen fortwischte, die sich mit dem Regen vermischten.

Trotz alledem brachte das reichlich wenig. »Weißt du, was du da von mir verlangst?« Normalerweise hätte keiner seinen Mate in Frage gestellt, doch bei uns beiden sah das schon etwas anders aus. Er hatte mich verletzt. Da sprach ich nicht von dem letzten Vorfall. Das war nicht seine Absicht gewesen, auch wenn er sich das hätte sparen können. Nein. Er hatte mir wehgetan. Mein kleines Herz gebrochen. Erst recht, als wir im Wald gemeinsam miteinander schliefen. Was war danach? Er ging ohne ein weiteres Wort, ließ mich zurück und verschwand in der Nacht. Und nun stand ich da und er fragte mich so etwas?

In meinem Herzen zog es. Meine Wölfin hingegen jubelte schon fast, aber ich spürte auch, wie unsicher sie war. »Ich weiß, dass ich... Scheiße. Cina... Du musst mit mir kommen. Bitte!«, flehte er erneut und seine Augen durchlöcherten mich. Keine Ahnung, was ich sagen sollte. Ich wollte gerne mit ihm gehen... Aber was, wenn er wieder einen Rappel bekam und mich erneut verließ? Dann war da noch meine Mutter. Ich konnte sie doch nicht im Stich lassen. Sie hatte bloß mich und ich sie.

Zugleich zitterte ich noch mehr. War es die Kälte oder doch mein Körper, der mit allem überfordert war? »Ich...«, drang lautlos durch meine Lippen. »Du tust gar nichts dergleichen!«, hörten wir plötzlich hinter uns zischen. Noah ging keinen Schritt von mir weg. Ganz im Gegenteil. Er schien noch näher zu kommen. Ich spürte klar und deutlich seine nackte Haut in meinem Rücken, als ich mich zu ihr drehte. »Mom!«, wisperte ich. »Das tust du nicht! Du kannst nicht mit ihm gehen. Du weißt genau, was er dir angetan hat. Das ist nicht richtig.« Hinter mir knackte Noahs Kiefer. Ihm war klar: Es stimmte was meine Mutter sagte. 

»Sie muss mit mir kommen«, sprach er hingegen. »Warum? Dass du sie wieder so mies behandelst? Hast du das schon vergessen? Außerdem... sie hat ihre Schule. Du bist älter. Vergiss das nicht. Sie kann nicht einfach alles stehen und liegen lassen und mit dir verschwinden. Wohin überhaupt?« Das hätte mich auch ziemlich gern interessiert, aber im Grunde genommen ging mir das momentan am Arsch vorbei. Das Einzige was ständig in meinem Kopf nachhallte war seine Bitte, mit ihm zu gehen. Ich war zerrissen. Lehnte ich ab, wäre das etwas anderes, als hätte ich ihn freiwillig ziehen lassen. Mein Herz würde noch schwerer werden.

»Wir werden schon was finden!«, brummte Noah hinter mir und reckte sein Kinn leicht nach oben. Er bot meiner Mutter die Stirn. Sie war älter, das wusste er, doch als eigentlicher Nachfolger von Jim, würde sie irgendwann sowieso einknicken müssen. Es war eine echt bekloppte Situation. Ungeachtet dessen verstand ich sie mehr denn je. Sie wollte nicht, dass mir wehgetan wurde und dass ich in die Weite verschwand. Zugleich spürte ich einen Arm auf meiner Schulter. Finger, die mich bestimmend zurückzogen. Mom würde mich nicht einfach so loslassen. Da war ich mir sicher.

Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt