Kapitel 56

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Durch das Zwielicht, was mittlerweile entstand, war es schwieriger zu erkennen, wer da vor einem stand. Allerdings war es keine Eule auf einem Baum. Ich glaube, die hätte mir in diesem Moment weniger Angst eingejagt. Ich schluckte schwer, bemerkte wie mein Hals stetig trockener wurde, als die Augen einzig und allein nur mir galten. Von Anfang an hatte ich es gespürt. Ich war mir nur nicht so sicher gewesen. Jedoch hatte sich das Tier in mir nicht getäuscht, dass sich etwas in unserer Nähe befand, beziehungsweise jemand.

Ich versuchte mich schließlich zu bewegen, aber schaffte es nicht. War es die Kälte, die meine Knochen vereinnahmte oder die Angst, die dieses Geschöpf vor mir bereitete? Leicht kniff ich meine Lider zu, sodass ich in der untergehenden Sonne vor mir, doch mehr erkennen konnte. Ein großer stämmiger junger Wolf stand vor uns, dessen Farbe man erst nicht richtig zuordnen konnte. Es schien, als wäre er eine Statue. Man sah ihn sich nicht bewegen. Durch die Atmosphäre war es fast unmöglich, dieses Tier nicht zu bewundern. Ich wusste, dass die anderen, die mit mir in diesen Bergen unterwegs waren, ihn ebenso bemerkt haben mussten, denn plötzlich war es still. Viel zu still.

Unvermittelt spürte ich allerdings hinter mir etwas oder auch jemanden. Noah berührte mich nicht, hielt etwas Abstand zu mir. Allerdings zeigte er klar und deutlich mit seiner Präsenz, dass er mich beschützte, falls etwas geschah. Es dauerte aber nur einen Moment, bis mir klar wurde, dass die beiden sich kannten. »Sebastian!«, hörte ich neben mir sagen, schaute kurz zu Noah und schließlich wieder den Wolf vor mir an, der sich ohne ein großes Geräusch verwandelte und schließlich nach und nach seine menschliche Form annahm. Seine Knochen knackten leise, silberglänzendes; fast weißes Fell, was ich noch nie zuvor sah, konnte ich erkennen, was sich eher schnell, als langsam, zurückbildete, sodass man nur noch kräftige Waden und Füße entdecken konnte, die sich in Schnee und getrocknetem Grünzeug breit machten.

Auf der Stelle zitterte ich noch mehr auf. Immerhin waren wir nackt, wenn wir uns wieder zurückverwandelten. Außerdem schien dieser Mann nicht einmal drei Sekunden dafür zu brauchen. Das war schon fast erschreckend das zu sehen. Zwar benötigten wir auch nicht lange, aber so schnell hatte ich es noch nicht gesehen, außer vielleicht bei Noah, aber der war etwas Besonderes. War er es vielleicht auch? Dieser Typ vor uns? Das konnte ich nicht sagen. Ich hatte keine Ahnung. Hinzukommend wollte ich darüber im Moment auch nicht nachdenken. Ich wusste nur eines: Ich war im Zwiespalt. War das nun positiv, dass die beiden sich kannten oder nicht? Zumindest wich die Spannung nicht wirklich.

»Noah!«, kam vor uns aus vollen Lippen, die sich kaum bewegten. Seine Stimme war extrem rau, so als hätte er seit geraumer Zeit nicht gesprochen. Dabei musterte ich ihn genau, versuchte mir alles einzuprägen und probierte den Blick oben zu halten. Immerhin hatte er einen guten Körper, was bei unseresgleichen nicht unbedingt schwer war. Jedoch waren seine Muskeln stärker, sehniger, ja schon fast unnatürlich perfekt. Das lag daran, dass dieser Mann körperlich vollkommen schien, weil er sicher kein Interesse hegte vor der Glotze zu sitzen. Man sah eindeutig, dass er definitiv jeden Tag Kilometer zurücklegte, aber auch, die Stärke in seinem Blick, die von uns wohl niemand einfach so bekam, weil man dafür anders leben musste.

Meine Mutter hatte schon recht. Sie waren anders. Mir war klar, dass wir einen Besucher von diesem Rudel hatten, wo wir hin mussten. Wird er uns nun begleiten? Was wollte er hier? Hatte er uns die ganze Zeit beschattet? Da war ich mir sicher. Zumal ich es von Anfang an bemerkte und niemand schien wirklich darüber überrascht zu sein. »Was willst du?«, hörte ich neben mir Noah, der komplett angespannt wirkte, als er bemerkte, wie ich Sebastian musterte. Mir entgingen aber auch nicht die Blicke des Fremden, als er mich anschaute und sagte: »Sie ist schwach. Warum?«

Ich hob eine Braue. Er sprach nicht mit mir, was mich extrem verunsicherte. Sollte ich ihm die Wahrheit sagen? Muss ich ehrlich sein? Jedoch, schon bei meinen Gedankengängen, antwortete es neben mir. »Sie war verletzt. Wir mussten eilig aufbrechen, ohne, dass sie sich komplett heilen konnte!« Sebastian schaute Taylor an, der sich somit einmischte und schließlich wieder mich. Leicht legte der junge Mann, der nicht wirklich älter als Noah zu sein schien, den Kopf schief. Seine Augen waren prüfend, als er einen Schritt näher zu mir kam. Es interessierte ihn nicht, ob er mir fremd war oder gar nackt. Das war schon etwas komisch für mich. Zwar war es nichts Neues jemanden ohne Klamotten zu sehen, aber etwas Intimität war auch uns wichtig. Ihm wahrscheinlich nicht.

Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt