Kapitel 113

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Auf der Stelle riss ich meine Lider nach oben und machte mich nun doch von ihr los. »Was soll dieser Scheiß?«, platzte es aus mir heraus und ich suchte Abstand. Nicht bloß von ihr, sondern in dem Moment auch von Sebastian, der mich verbissen anschaute. Ich wusste nicht, was seinem Vater passierte, doch mir war eines klar: Ich lasse mich nicht gefangen nehmen! Schlagartig pulsierte in mir die Unsicherheit, obwohl ich von außen meine Mauer aufrechterhielt. Lediglich Sebastian bekam meine Gefühle mit, der kaum merklich mit dem Kopf schüttelte.

Sicherlich weil er Bedenken hatte, dass ich nun sonst was von ihm hielt. Allerdings wusste ich nicht, wie er darauf reagierte. Ich brauchte Platz; musste beiden in die Augen sehen können. »Sie wissen überhaupt nicht, ob ich schwanger bin« und Sebastian ranzte: »Glaubst du nicht, ich hätte das schon längst gemerkt?« Doch seine Mutter hob stolz das Kinn in die Höhe, als sie erklärte: »Denkst du wirklich, dass es nicht geklappt hat, als ihr in der Höhle wart? Ich konnte riechen, dass ihr euch nahegekommen seid. Sie ist ein Schattenwolf. Ihr liegt es schon im Blut diese seltene Spezies weiterzuführen. Ich bin mir sicher, dass es nicht lange dauern wird. Wenn du richtig darüber nachdenkst, dann weißt du das auch.«

Sie ignorierte mich weiterhin und sprach noch immer bloß mit Sebastian, der nun die komplette Aufmerksamkeit dieser Frau gewann. »Willst du ein Kind in einer Welt großziehen, die du nicht kennst? Einen Wolf? Du weißt warum dein Vater sich von der Zivilisation abgekapselt hat. Seine ganze Familie wurde ausgelöscht, weil man sie einfing und Experimente machte. Du willst doch nicht in Gefahr geraten und auch so enden... und was ist mit ihr? Ihr seid hier viel sicherer!« Ich wusste, dass sich Sebastian nicht überzeugen ließ, dennoch hatte ich Angst und das hörte man nun auch in meiner Stimme, als ich fluchte: »Ich werde niemals hierbleiben. Niemals. Nicht nach dem Ganzen. Sebastian weiß das auch. Ich werde gehen. Mit oder ohne ihn.«

Der letzte Satz kam schwer aus meinem Mund, aber es entsprach der Tatsache. Ich konnte nicht an diesem Ort bleiben. Egal ob schwanger oder nicht. Daran durfte ich in diesem Moment auch nicht denken. Es war gefährlich. Auch wenn mein Vater zur Strecke gebracht wurde, war da noch Noah. Mit ihm gemeinsam in diesem Tal, mit solch einem Rudel? Niemals. Auch wenn es die meisten Wölfe hier nicht unbedingt komplett schlecht hatten und sich an dieses Leben gewöhnten, war schon das Wissen mit diesen falschen Personen unter einem Dach zu leben... Nein. Noah hätte mich im Zelt fast erwürgt... Das ging nicht. Man tötete an diesem Ort Ray, der bloß Hunger hatte und niemandem etwas Böses wollte.

Selbstverständlich konnte man die Regeln ändern, doch Sebastian räumte seinen Platz freiwillig. Noah wäre niemals dazu in der Lage ein anderer Mann wie in diesem Moment zu werden. Er ersetzte Elliott komplett. Mir war egal, was ich für Visionen bekam und ob ich an diesem Ort jemals glücklich wurde. Noch immer entschied ich meine Zukunft selbst. Die sollte in einer Welt sein, in der ich mich wohlfühlte. Ich wollte durch die Wälder streifen mit anderen Wölfen die ich mochte; nicht Angst haben jeden Augenblick etwas Falsches zu tun und dafür mit dem Tod bestraft zu werden.

Was nützte es schon in einem Tal zu leben, wo man mit Unsicherheit einschlief? War dann eine Welt unter Menschen nicht besser? Wie klappte das bei Jim? Sie lebten nicht erst seit gestern unter ihnen und wurden bisher noch nicht verraten. Auch wenn es lediglich eine Minderheit an Leuten war, die ihre Münder hielten, konnte man sehen, dass es klappte. Natürlich war es nichts anderes wie hier. Wenn man darüber nachdachte, war beides wie ein Pulverfass. Dennoch wollte ich zur Schule gehen. Vielleicht danach ein Studium machen, die Welt sehen, und noch Vieles mehr. Ich wollte mein Handy in die Hand nehmen und meiner Mutter schreiben, dass es heute etwas später wurde. Kleinigkeiten, die das Leben ausmachten. Was waren wir hier? Ich wäre zwar die Frau von Sebastian, der einen großen Stellenwert hatte, doch meine Mutter auf keinen Fall in der Lage Kämpfe auszutragen, in denen sie in der Rangordnung aufstieg.

Schatten des WaldesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt