𝐊𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏𝟒

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Nick

Zwar hatte ich nicht erwartet sie hier anzutreffen, doch war mehr als froh darüber. Ihre Gesellschaft genoss ich. Bei ihr konnte ich mehr ich selbst sein als bei anderen.

Mit Ausnahme von Jason, der seit Kindertagen mein bester Freund war. Wir gingen durch dick und dünn. Trotzdem gab es gewisse Dinge, die nicht mal er wusste.

Ich hielt noch immer Melinda's Handgelenk, was sie aber nicht zu stören schien. Wir kamen schließlich bei der Haltestelle zum Stehen. Vorsichtig ließ ich Melinda wieder los und drehte mich nach ihr um.

Fragend blickte sie mich an. ❝Was hast du vor?❞
Ein kleines Lächeln stiehl sich auf mein Gesicht. ❝Wir fahren in unsere geliebte Stadt, die langweiliger nicht sein könnte!❞

Sie lachte. Ich liebte es wenn ich sie zum Lachen brachte. Melinda lächelte nicht sehr oft, was ich schade fand. Sie hatte das schönste Lächeln, welches ich je gesehen hatte. Ohne zu übertreiben.

❝Na gut. Mit dir wird es sowieso nicht langweilig❞, sagte sie und mein Herz schlug ein paar Takte schneller. ❝Meinst du?❞, hakte ich nach und bereute es sofort. Das klang doch total bescheuert.

Melinda nickte nur zustimmend und sah in eine andere Richtung. Sie guckte oft woanders hin. Ob sie verlegen war? Den Gedanken schüttelte ich wieder ab. Nein bestimmt nicht. Wieso denn auch? Für sie war ich nichts weiter als ein guter Freund. Allein das reichte mir vollkommen aus.

❝Sieh mal an, wer da ist!❞, hörte ich plötzlich eine bekannte Stimme.
Kurz schloss ich meine Augen und atmete tief durch. Bereit machen für die erste Bemerkung meiner ,,neuen" Haare.

Schließlich wandte ich mich um, zu Carlos, der in meine Klasse ging.
Wir beide waren nicht eng miteinander befreundet, kamen aber gut miteinander aus. In der Mensa aßen wir immer mit den anderen zusammen.

❝Woah, was ist denn mit deinen Haaren?!❞, sagte er da auch schon und blinzelte mehrmals ungläubig.
Ich zwang mich zu einem Grinsen. ❝Ich wollte mal was..❞, setzte ich an, wurde aber von Carlos unterbrochen: ❝Du hast eine Wette verloren stimmt's? Ist das so eine Farbdose, die einen Tag hält?❞ Ich spürte einen Kloß in meinem Hals. Er meinte es bestimmt nicht böse. Dennoch trafen mich seine Worte.

Daraufhin schüttelte ich einfach nur den Kopf. Carlos hob überrascht seine Brauen.
❝Keine Farbdose? Oh Mann, dann bleibt das länger so?❞ Es war fast so als würde er mich bemitleiden.

❝Du bist mir ja ein Idiot❞
Meinen Blick richtete ich auf Melinda, die Carlos verächtlich ansah.
❝Nick wollte sich die Haare färben❞, sprach sie weiter.
Carlos sah so aus, als würde ihm ein Licht aufgehen. Entschuldigend guckte er mich an und meinte: ❝Hey, ja! Natürlich! Coole Farbe!❞

Dankbar lächelte ich Melinda an. Auch wenn sie kalt schien, sie hatte ihr Herz am rechten Flecks. Viele verurteilen sie sofort, weil sie Stille war und immer desinteressiert wirkte. Anfangs dachte ich ja auch so. Aber dann lernte ich sie besser kennen und holte sie aus der Schublade, in der ich sie gesteckt hatte wieder heraus.

Melinda schenkte mir ein kleines Lächeln, was aber nicht lange anhielt. Carlos, dem die Situation wohl unangenehm schien, verabschiedete sich schnell wieder. So waren wir beide wieder alleine.

Der Bus kam sogleich angefahren und hielt mit quietschenden Reifen an. Die Türen öffneten sich zischend. Wir stiegen ein, zeigten unsere Fahrkarten vor und setzten uns wie gewöhnlich nach hinten.

Sofort ließ sich Melinda links am Fenster nieder und ich nahm neben ihr Platz. Unsere Schultern berührten sich ein wenig, was sich wie ein Stromschlag anfühlte.

Ich hörte Melinda's leises Räuspern und drehte meinen Kopf zu ihr. Sie schaute aus dem Fenster und ihre Hände hatte sie auf ihre Knie gelegt. Ich betrachtete sie von Kopf bis Fuß.

Ihre kurzen, braunen Haare waren wie immer offen. Sie trug heute eine Jogginghose und dazu einen blauen Hoodie. Ihre schwarze Jacke hatte sie ausgezogen, anscheinend war ihr im Bus zu warm. Auch heute trug sie ihre altbekannten Chucks. Melinda war auf ihre natürliche Art und Weise wunderschön.

Plötzlich begegneten ihre Augen meine und mein Herz begann zu rasen. Ich liebte ihre braunen Augen, die mich an Schokolade erinnerten.

Selbst wenn sie mich so anstarrten. Selbst wenn so viel Schmerz und Kummer in ihnen lagen. Man liebte immer jemanden, mit all seinen Macken und Kanten.

Was in Melinda vor sich ging und was sie alles erlebt hatte, dass wusste ich noch immer nicht. Aber ich würde ihr ihren Raum geben und vielleicht erzählte sie von sich aus, warum sie abgeneigt von anderen Menschen war.

Doch ich konnte es auch verstehen, warum sie nicht gerne andere um sich hatte. Menschen waren eben verlogene Wesen. Natürlich nicht alle, aber die meisten. Woher wusste man wem man trauen konnte?

Ich wendete meinen wieder Blick ab. Sonst würde sie mich noch für einen Idioten halten, der sie angaffte. Manchmal wusste ich nicht, wie ich mich verhalten sollte.

Melinda war so besonders. Mir gefiel ihre schlagfertige Art. Sie ließ sich nicht den Mund verbieten, was gut so war. Ich mochte es, wie sie die Umgebung um sich herum wahrnahm und sich wahrscheinlich alles einprägte. Sie beschäftigte sich mit kleinen Dingen und ließ sich nichts einreden.

So hatte ich sie kenngelernt. Hingegen war ich einfach nur ein Junge, der keine richtige Persönlichkeit hatte. Jemand, der zu fast allem nur Ja sagt, um es irgendwie einem Recht machen zu müssen. Ich wünschte ich könnte so offen meine Meinung äußern, wie Melinda es tut und vielleicht auch mehr auf mich selbst achten.

❝Nick? Ist alles okay?❞, hörte ich sie fragen. Besorgnis konnte ich in ihrer Stimme raushören. Ich räusperte mich vernehmlich. ❝Ja, alles okay❞, erwiderte ich knapp. Mit einer Hand fuhr ich mir übers Haar und traute mich nicht, sie anzusehen. Noch immer konnte ich die Veränderung meiner Haare nicht glauben.

❝Achso. Willst du Musik hören?❞
Sie hielt mir ihre Kopfhörer vor die Augen. Leicht musste ich lächeln. Es war zur Gewohnheit geworden, dass wir bei Fahrten zusammen Musik hörten. Das hatte was besonders an sich. Bei jeder Busfahrt, zusammen den Liedern unseren Lieblingsband zu lauschen.

Ich griff nach einem Kopfhörer und steckte ihn mir ins rechte Ohr. Das Tippen ihres Smartphones nahm ich nur leise wahr. Dann ertönte eine Melodie und ich schloss entspannt meine Augen.

Wir hörten dem Song Problems von Mother Mother zu. In meinem Kopf sang ich zu dem Text mit und fühlte jede Zeile.

Ich vergaß alles um mich herum. Die Leute im Bus, die Geräusche und auch Gerüche verdrängte ich.

♬♬♬

You and me, we′re not the same
I am a sinner, you are a saint
When we get to the pearly gates
You'll get the green light
I′ll get the old door in the face Doo-doo-doo, I'm a loser, a disgrace

Yeah!

I've found love in the strangest place Tied up and branded, locked in a cage I say I'm gonna stage a great escape Let loose a love all pent up and painfully out of place Doo-doo-doo, I'm a loser, a disgrace You're a beauty, a luminary, in my face

♬♬♬

Ich bewegte den Kopf leicht zum Takt der Musik mit. Langsam ließ ich mich wieder auf die Realität ein.

Ihr Lavendel Duft stieg mir in die Nase. Melinda brachte mich manchmal durcheinander und doch fühlte ich mich bei ihr freier, als bei manch anderen.

Seufzend lehnte ich mich in den abgewätzten Sitz des Busses zurück. Bald würden wir in der Innenstadt angekommen sein und dann würden wir die Zeit genießen.

Es ist etwas her, seitdem wir etwas unternommen hatten. Die vielen Klausuren waren eine Qual. Ich war dankbar für Melinda's Ablenkung.

Sie ahnte ja nicht, wie sie mich fühlen ließ. Sie würde mich für verrückt halten. Vielleicht bin ich tatsächlich verrückt geworden. Verrückt nach ihr.

I hate everyone except youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt