Kapitel 18

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»Noar... ist etwas eigenartig, Hoheit. Ich bitte um Verzeihung. Manchmal redet er von Dingen, die von vorne bis hinten keinen Sinn ergeben.« Mit einem zerknitterten Tuch wischte er sich über die verschwitzte Stirn. »Wäre er nicht unser bester Mann, würde ich ihn keine Sekunde länger bei Euch lassen. Doch ist uns Eure Sicherheit wichtiger als seine eigenartigen Charaktereigenschaften.«

Stumm nickte ich. Noch immer hallte seine so stechende Stimme in meinem Kopf. Jedes einzelne Wort hatte sich in mein Gedächtnis eingraviert.

Zeit ist alles.

Was zum Teufel meinte er damit?

»Noar ist irgendwie undefinierbar. Es wirkt so... es wirkt so, als würde er nicht hierher passen«, ich wusste nicht, warum ich das gesagt hatte. Irgendwie kam es einfach aus mir heraus. Eigentlich wollte ich ja nichts schlechtes über den Typen sagen, doch dieses komische Gefühl in mir verschwand einfach nicht.

Ganz am Anfang unseres Kennenlernen spürte ich genau das Gleiche. Eine Art... Unsicherheit. Als würde mein persönlicher Wache etwas verheimlichen. Etwas großes sogar.

»Unterstützt er die Marte?«

Lord Mullo verschluckte sich an seinem Glas Wasser. »W-Wie kommt Eure Hoheit denn auf so etwas? Natürlich nicht! Unsere Wache wird ein Dutzend Mal überprüft, noch bevor sie Fuß in den Palast werfen.«

Ich nickte nur. Oder besser gesagt machte mein Körper einfach nur das, was am besten zur Situation passte. Ich wollte ihm noch einige Fragen stellen über Noar, doch was wenn ich falsch lag? Ein klitzekleiner Fehler reichte schon aus, um jemanden aus dem Palast zu bannen. Was würde man einer Person antun, die von mir verdächtigt wurde?

Schlimmes. Das wusste ich.

Es gelang mir einfach nicht, diese verrückten Gesetze abzuschaffen. Wie im Mittelalter hatte man Foltermethoden von denen mir schon beim Denken schlecht wurde. Doch das Schlimmste war die Todesstrafe.

In den extremsten Fällen peitschte man den Angeklagten so lange, bis der Körper es entweder nicht mehr aushielt oder zu viel Blut verlor. Die andere Art war die sofortige Enthauptung.

Beides beschissen. Vor allem dann, wenn hier in Heraya das Leben langsamer lief als in der Menschenwelt. Die Technik, die Gesellschaft, die Kultur... alles ähnelte dem Mittelalter. Doch warum auch immer waren wohl die ganzen Reiche gegen eine Anpassung an die Menschen.

Einer der wenigen Sachen, in denen sie sich einig waren.

»Hoheit? Falls das Gespräch beendet ist, würde ich Euch gerne vom nächsten Problem erzählen. Falls nicht, kann ich gerne eine Untersuch-«

»Nein, nein, passt schon. Eine Untersuchung ist gar nicht nötig«, unterbrach ich ihn. »Erzählt mir vom dem anderen Problem.« Als hätten wir nicht schon genug.

Seufzend nahm er sich einen weiteren Schluck von dem schon fast leeren Wasser und sah mich mit bedrückten Augen an.

»Natürlich ist mir bewusst, dass wir Euch sehr unter Druck stellen. Doch Ihr seid außergewöhnlich, habt Euch sofort mit Heraya verbunden und dem Volk eine belastbare Herrscherin zur Verfügung gestellt. Nun ist es Zeit, mit dem Königreich Piraris in Kontakt zu treten. Wir haben schon viel zu viele Briefe bekommen, die leider alle für ein Treffen sind.«

Piraris. Genauso wie Maxea wurde das Reich von einem König regiert. Eine Königin hatte er wohl noch nicht, dafür aber viele andere Frauen, die 24/7 im Harem auf ihn warteten. Piraris hatte ein sehr starkes Ständesystem, viel strikter als hier in Valera oder den anderen Reichen. Die Klassen wurden klar von einander getrennt und gar im Harem gab es eine Trennung. Den höchste Rang hatte natürlich die Königin, dann kamen die Nebenfrauen mit Kind, die Nebenfrauen ohne Kind und zum Schluss die zahlreichen Konkubinen, die nur darauf warteten, an einem bedeutungslosen Abend geschwängert zu werden.

»Doch Ihr werdet Euch mit den Beratern des Königs treffen, da er selbst wohl noch im Militärlager sei. Erst am zweiten Tag Eures voraussichtlichen Ankommens würde er sich sehen lassen«, redete Lord Mullo weiter. Ich nickte nur ab und zu.

Das Wichtigste über alle Reiche und deren Herrschern wusste ich. Seien es Namen, Traditionen oder Herrschaftssysteme, wirklich jedes Detail hatte ich mir versucht zu merken.

Ich erinnerte mich an die Worte des König Tegons. Nur ein kleiner Fehler konnte alles zerstören.

Piraris war eine Diktatur. Der König Doyeux regierte mit Unterdrückung und der Macht des Militärs. Die meisten Ausgaben wurden deswegen für die Soldaten genutzt, der Rest gehörte der recht stabilen Wirtschaft. Das Reich hatte so gut wie keine Gegner, die sich dem System stellten. Ein einziges falsches Wort und schon hing man tot vor dem ganzen Dorf.

Maxea dafür hatte zwar auch einen machtvollen Herrscher, doch genauso existierte der Hof, mit dem zusammen regiert wurde. Volksabstimmungen waren nichts ungewöhnliches und König Tegon war im Gegensatz zu seinen Vorgängern viel toleranter und nicht wirklich auf Krieg aus. Das Volk war wohl sehr stolz und sehr gleichzeitig auch respektvoll gegenüber der Königsfamilie.

Valera ähnelte diesem Reich in einigen Aspekten. Herrscherin dieses Reiches war ich, zusammen mit meinem Hof. Das Volk hatte mich in den ersten paar Tagen so ganz und gar nicht akzeptiert, doch die Ausgaben aus der Reichskasse für das Wohl aller beruhigte zum Glück viele. Nach kurzer Zeit verstand ich auch was die Meisten von ihnen wollten: Frieden und Stabilität.

Und zu guter Letzt gab es das Reich Indo. Über dieses war verglichen mit den anderen weniger bekannt. Das etwas kleinere Reich wurde von einem Königspaar regiert, welches laut Jahar nur noch einen symbolischen Status hatte. Das Sagen hatte wohl das Militär, geführt von einem barbarischen General, der bis heute keine einzige Schlacht verloren haben soll. Dank guten Naturverhältnissen konnte sich das Reich mit ihrer Landwirtschaft auf Beinen halten. Genauso wie in Piraris hielten sich die Gegner eher im Schatten, aus Angst, umgebracht zu werden.

Das waren sie. Die vier großen Reiche. Der Rest Herayas spielte eigentlich so gut wie keine Rolle. Es waren vor allem Piraris, Maxea, Valera und Indo, die die Geschichte dieser Welt schrieben.

Und ich konnte immer noch nicht realisieren, dass ich Teil davon war.

»Verstehe. Organisiert ein Treffen und gebt Piraris einfach Bescheid«, meinte ich dann. Doch Lord Mullo schien nicht wirklich zufrieden zu sein mit dieser Antwort.

»Nun ja... Piraris hat schon einen Tag festgelegt«, begann er dann, hörte aber auf weiter zu reden. Es wirkte fast schon so, als wartete er darauf, dass ich mir jedes einzelne Wort gut einprägte.

»Und welcher Tag wäre dies denn?«

»Heute in acht Tagen. Der Tag der Geburt unserer Göttin Dayta. Jedes Jahr wird abwechselnd in einem der Reiche ein großes und prachtvolles Fest organisiert, alle Herrscher der restlichen Königreiche müssen anwesend sein. Dieses Jahr hat Piraris die Ehre. In sieben Tagen würdet Ihr kurz die Berater treffen, am nächsten Tag auf diesem Fest dann den König Doyeux.«

Ich verstand immer noch nicht ganz, worauf er hinaus wollte. »Ist doch gut, zwei Fliegen mit einer Klappe. Wenigstens muss ich nicht ein zweites Mal für das Fest allein nach Piraris reisen.«

»Ihr versteht nicht ganz, Hoheit. Dem Fest wird aus Anerkennung unserer Göttin jedes Jahr verschiedene Tänze und Kämpfe hinzugefügt.« Er atmete ein und wieder aus. »Dieses Jahr bittet Euch der König Piraris' einen Schwerttanz nach valeranischer Art vor allen Gästen vorzuführen. Den Brief dazu bekamen wir erst heute am frühen Morgen.«

Meine Augen weiteten sich mit jedem Satz, der den Mund des alten Mannes verließ. Ein Tanz. Mit einem Schwert. Und ich wäre die Person, die diesen Mist vorführen musste. Na super.

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Trust & BetrayalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt