Kapitel 5

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Ich lächelte Aryn an. Noch immer mit den Kristallen von vorhin spielend saßen wir nun in seinem Zimmer. Besser gesagt glaubte ich, dass es sein Zimmer war. Eine dieser Alvas brachte uns hier her. Kein einziges Wort sagend verließ sie den Raum auch wieder und ließ uns beide hier alleine.

Sein Zimmer hatte auch einige Pflanzen, doch im Vergleich zum anderen viel weniger. Allgemein war das Zimmer viel leerer. Trotz der Größe wurde sehr viel Platz gespart, sodass sich in der Mitte des Zimmers ein großer leerer Fleck befand. Ein kleiner Tisch mit drei Stühlen, ein himmlisch aussehendes Bett und einige zugeschlossene alte Schränke waren die einzigen Möbel, die sich hier befanden.

Irgendwie passte das Zimmer zu ihm. Aryn redete nicht viel. Es fiel ihm etwas schwer, ganze Sätze zu bilden. Oft waren es nur einzelne Worte, die er zum Kommunizieren nutzte. Trotzdem hatte ich keine Schwierigkeiten ihn zu verstehen.

»Warum magst du die Kristalle, Aryn?«

Wir saßen uns gegenüber an einem Holztisch. Er sah nun zu mir und zuckte leicht mit den Schultern. »Interessant.«

Ich nickte lächelnd. Womöglich war es eine Art Hobby, das er hatte. Etwas, was ich leider nicht kannte.

»Kleidung... woher?«, fragte er mich plötzlich und zeigte mit dem Zeigefinger das Outfit, dass ich noch von meinem Zimmer aus der Anstalt hatte. Automatisch strich ich mir über das dunkelblaue, schon recht faltenreiche Hemd. Es war nun das erste Mal, dass er mir eine Frage stellte.

»Kennst du die Welt der Menschen?«

Seine braungrünen Augen weiteten sich etwas und er nickte heftig mit dem Kopf. »Andere Welt, nicht Heraya!«

»Richtig.« Ich strich mir einige Strähnen aus meinem verschwitzten Gesicht. Valera war um Einiges wärmer als Manhattan. »Ich habe dort gelebt.«

»Warum?« Ich biss mir leicht auf die Zunge. Wie sollte ich einem kleinen Kind nun diese komplizierte Situation erklären? Auf die Hände schauend überlegte ich mir, wie ich meinen kleinen Bruder am ersten Tag unseres Kennenlernen am besten nicht anlog.

»Nun ja, weil-«

»Weil Eure Schwester dort Sachen zu erledigen hatte, Eure Majestät«, unterbrach mich eine weibliche Stimme. Ich drehte mich um und sah diese Lady Enees am Türrahmen stehen. Ihre Augenbrauen waren leicht hochgezogen, auf ihren Lippen konnte man ein kleines Grinsen erkennen.

Aryns Mund formte sich nur zu einem "O", bis er dann wieder seinen kompletten Fokus auf die verschiedenfarbigen Kristalle vor ihm legte. Wie es aussah konnte ihn nun nichts mehr stören.

Lady Enees trat nun einige Schritte näher und setzte sich auf den leeren Stuhl neben mir. Noch immer wirkte sie sehr einschüchternd.

»Ihr müsst kein Angst vor mir haben, Majestät«, sagte sie und ich gab mir innerlich einen Facepalm. Die Alte konnte ja Gedanken lesen.

»Alt? Also für eine Zalim bin ich noch ziemlich jung.«

Ich verdrehte nur die Augen. »Könnten Sie bitte aufhören, meine Gedanken zu lesen?«

»Aber natürlich doch, Majestät. Schaut einfach nicht in meine Augen«, lächelte sie. Ich dafür zog nur die Augenbrauen hoch.

»Und das funktioniert dann auch wirklich?« Etwas misstrauisch schaute ich mir sie genauestens an. Irgendwie wirkte sie komisch.

»In den meisten Fällen, ja. Wir Zalim haben auch unsere Grenzen«, meinte sie dann und öffnete ihre Handfläche. Auf einmal erschien eine alte Kanne mit zwei Tassen auf dem Tisch. Wie aus dem Nichts. »Tee?«

Ich klappte meinen leicht offenen Mund zu und nickte nur kurz. Das Schlimmste, was passieren konnte, war es mich zu vergiften. Am Ende würde ich einen womöglich schmerzvollen Tod erleben, aber wenigstens hätte ich mit diesem Wahnsinn nicht mehr zu kämpfen.

»Erzählt mir was von hier...«, ich nahm mir einen Schluck. Kräutertee also. Die Chancen für eine Vergiftung stiegen an. »Also von Valera.«

Obwohl ich diese Frau nur seit ungefähr zwei Stunden kannte, war sie doch durchschaubarer als gedacht. Allein dieser Satz hat gereicht, um sie glücklich zu machen. Das konnte man gut an dem Glitzern ihrer hellen Augen erkennen.

»Freut mich, dass Euch Euer Reich interessiert, Majestät«, begann sie. Dass "Euer" in dem Satz entging mir nicht, doch ich ließ mir nichts anmerken.

»Valera ist ein das zweitgrößte Reich in Heraya. Über die anderen vier Großen werde ich Euch wann anders informieren.« Sie nippte an ihrem Tee. »Unser wunderschönes Reich hat trotz seiner Größe mit vielen Problemen zu kämpfen. Probleme, die unser verstorbener König Hypern nicht lösen konnte.«

Bei dem Namen des Königs veränderte sich ihre Miene. Es wirkte so, als würde sie sich an Sachen erinnern. Nach ihren zusammengedrückten Lippen und dem gesunkenen Blick gehend wohl keine so schönen Erinnerungen.

»War er ein schlechter König?«

»Ich sollte den verstorbenen König nicht schlecht reden«, antwortete sie darauf.

»Wenn Sie objektiv antworten, würden Sie ihn nicht schlecht reden«, hackte ich weiter darauf rum. Ich wollte unbedingt wissen, was diese Probleme waren, von denen sie sprach.

»Seine Geldgier hat uns vieles gekostet. Land. Ressourcen.« Sie schluckte. »Leben.«

Bevor ich etwas erwidern konnte, redete sie auch schon weiter. »Valera war früher Teil eines viel größeren Reiches. Dieses wurde in zwei geteilt. Nun haben wir Maxea und Valera, zusammen mit den anderen drei großen Mächten. Doch Maxea war immer stärker als Valera. Sei es der Handel oder das Militär, wir waren unserer anderen Hälfte unterlegen... Und König Hypern ließ sich für sein eigenes Wohl von den Maxeanern ausnutzen.«

Ich brauchte einen kurzen Moment, um all das Gesagte zu verarbeiten. Lustig, noch vor einigen Stunden saß ich in einer Anstalt, nun hörte ich zu, wie eine hexenähnliche Frau mir von den Problemen des Reiches Valera erzählte.

Ich musste doch verrückt sein.

»Und ich... ich soll Probleme lösen, die dieser König dem Land eingebrockt hat?« Innerlich musste ich anfangen zu lachen. All das hörte sich einfach nur absurd an.

»Die Probleme hätten wir auch unter seinem Regime lösen können. Genau da liegt der Unterschied, Majestät. Während König Hypern das Wohl des Volkes für Reichtum verkauft hatte, versuchten wir, der Hof, die Stabilität des Reiches zu bewahren«, die atmete erschöpft aus. »Doch ohne die Hilfe des Regenten funktionierte es natürlich nicht.«

Diesmal sah sie mir direkt in die Augen. Ich konnte den Schmerz in ihrem Blick erkennen. Und gleichzeitig auch die Liebe, die sie für Valera hatte. »Ihr seid das letzte Teil zur Erlösung dieses Reiches, Eure Majestät. Nur durch eine enge Zusammenarbeit des Hofes und des Regenten können wir Valera retten.«

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Komplett überfordert mit all den Informationen nahm ich mir erst mal einen großen Schluck des bitteren Tees.

»Ich...«, fing ich an, seufzte dann laut auf. Schlimmer konnte es doch eh nicht mehr werden.

»Wenn das alles, was ich nun gehört und gesehen habe stimmt, dann werde ich alles tun, um zu helfen. Politik war damals eh eines meiner Lieblingsfächer«, versuchte ich die Stimmung etwas anzuheben, doch mit weniger Erfolg. Statt einem Lacher bekam ich nur ein dankbares Lächeln von dieser Lady Enees.

Sie stand nun auf und verbeugte sich tief vor mir. Als ich den Mund öffnete, um sie davon abzuhalten, fing sie schon an zu sprechen. »Ich danke Euch, Eure Majestät. Im Namen des Hofes und des Volkes Valera.«

Mein Herzschlag beschleunigte sich etwas. Ich spürte eine ganz neue, fremde Last auf meinen Schultern. Etwas in mir sagte, dass es nun kein Zurück mehr gab.

Ich war nun ein Teil des Reiches Valera.

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Trust & BetrayalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt