Kapitel 21

19 5 0
                                    

»Darf ich Euch eine Geschichte erzählen, Hoheit?«

Ich konnte noch immer nicht realisieren, dass ich mit Noar hier unter dem Baum saß und redete. Es fühlte sich so falsch an, doch mein Herz übernahm die Kontrolle und fegte all die Gedanken voller Besorgnis weg.

»Gerne doch. Erzähl.«

»Ich möchte Euch die Geschichte des kleinen Prinzen erzählen. Und Euch danach nach Rat fragen.« Das hatte ich nicht erwartet. Doch ich sagte nichts, sondern nickte nur.

»Trotz dem hohen Status, den er hatte, wurde der kleine Prinz oft ausgegrenzt und ausgeschlossen. Einzig und allein akzeptierte ihn einer seiner Brüder. Er machte den Prinz glücklich. Doch dann starb der Bruder. Er wurde umgebracht. Und der junge Prinz wollte sich nun rächen.« Er machte eine kleine Pause. »Dafür aber müsste er jemanden hintergehen, der ihm viel bedeutete. Glaubt Ihr, Hoheit, dieser jemand könnte dem Prinzen verzeihen?«

Seine dunkelblauen Augen fühlten sich wie ein Prickeln auf meiner Haut an. Das Flammenlicht zeigte mir zwar wenig von seinem Gesicht, doch noch genug, um die angespannten Gesichtszüge zu erkennen. »So was ist schwierig zu beantworten. Was genau hat denn dieser Prinz gemacht?«

Noar blieb still. Er antwortete nicht. Bei einer anderen Person würde man solch ein Verhalten hinterfragen. Bei ihm nicht. Also redete ich einfach weiter.

»Märchen haben wenig mit der Realität zu tun. Oftmals sind sie komplexe Konstrukte unseres Gehirns, die gar nicht auf die reale Welt übertragen werden können. Wir wissen, dass so gut wie alle Märchen glücklich enden. Vieles wird einfach gar nicht hinterfragt. Der Prinz hat etwas getan, was vielleicht unakzeptabel ist. Doch hier liegt der Fokus auf der Beziehung der beiden Figuren und nicht auf dem Konflikt. Deshalb werden Schuld und Reue ausgeblendet.« Ich strich mir meine Tunika glatt. »Kurz gesagt habe ich keine Antwort auf deine Frage. Ob diese Person ihm verzeihen kann? Wenn das Märchen glücklich ausgehen soll, dann ja.«

Noar schaute mich weiterhin an. Noch immer waren seine Lippen fest aufeinander gepresst und das Gesicht weit weg von einem entspannten Ausdruck. Das Feuer schenkte seinen Augen eine schon fast undefinierbare Farbe. Als würde jede seinen Platz haben, die Gefühle in ihm repräsentierend.

Oder ich bildete mir das nur ein. Interpretierte einfach viel zu viel.

»Ihr sagt, dass Märchen ein winziger Teil unserer Wirklichkeit sind. Doch was, wenn die Wirklichkeit zum Märchen gemacht wurde?«

Ich zog die Augenbrauen hoch. »Du verwirrst mich, Noar.«

»Ihr mich auch, Prinzessin Zara.«

Ich lachte nur auf. Obwohl das ganz und gar nicht meine Absicht war. Woher das plötzliche Lachen kam? Keine Ahnung.

Mit zusammengedrückten Lippen schaute ich den Mann vor mir an. Doch etwas war anders an ihm. Etwas, was mich komisch fühlen ließ.

Noar lächelte.

Und das schon zum zweiten Mal.

»Du musst öfters lächeln«, flüsterte ich leise. »Es steht dir.«

Er sagte nichts mehr. Doch seine Augen redeten für ihn. Das Glitzern in ihnen zeigte mir, dass dieses Lächeln auf seinem sonst so hartem Gesicht real war. Und das machte mich glücklich. Sehr sogar.

»Hört auf damit«, meinte er plötzlich.

»Mit was?«

»Mich so anzuschauen. So mit mir zu reden. Sonst besteht die Gefahr, Kontrolle zu verlieren. Und das darf ich nicht. « Auf einmal war er wieder auf Beinen und sah auf mich herab. »Nicht als Noar. Nicht als Eure Wache.«

Du hast das Ende der veröffentlichten Teile erreicht.

⏰ Letzte Aktualisierung: Apr 29, 2023 ⏰

Füge diese Geschichte zu deiner Bibliothek hinzu, um über neue Kapitel informiert zu werden!

Trust & BetrayalWo Geschichten leben. Entdecke jetzt