06 | Die Sieger

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Als wir den Speisewagen für das Frühstück betreten, sind die anderen bereits da. Auf dem Tisch häufen sich wie auch schon gestern Abend unzählige Leckereien. Zumindest herrscht eine nicht mehr ganz so bedrückte Stimmung wie vor ein paar Stunden, Yuvan unterhält sich mit Saphire, Rivenna und Sohail sind ebenfalls in ein Gespräch vertieft und bloß Finnick stochert lustlos in seinem Pancake herum, als Jinia und ich die verbliebenen zwei Stühle füllen.

Aus dem Augenwinkel grinst der Sieger Jinia jedoch schelmisch an und wendet den Blick erst ab, als sie unangenehm berührt wegsieht. Mir entlockt er damit bloß ein Kopfschütteln. Manchmal verstehe ich wirklich nicht, was Atala in ihm sieht.

Während Jinia und ich uns ein paar Obstspieße teilen, eröffnet Saphire das Gespräch. „Also, heute ist euer großer Tag! Ihr wisst, dass heute Abend die Wagenparade ist?" Jinia und Yuvan starren bloß wortlos zurück. „Ach, natürlich wisst ihr das, als Siegerkind und als Karrieretribut bekommt man schließlich einiges mit, nicht wahr?" Erneute Stille. Dass keiner von uns Saphires Enthusiasmus teilt, scheint Jinia wohl etwas Mitleid für sie empfinden zu lassen. Matt lächelt sie der Betreuerin zu. „Freut euch schon einmal auf eure Stylisten, ich bin mir sicher, sie haben ein großartiges Outfit für den Abend entworfen!" Zum dritten Mal Stille.

„Nun, dann macht euch doch jetzt noch einmal ein wenig schick für die Kameras. Schließlich werden wir in etwa einer Stunde ankommen!" beendet Saphire ihren Monolog und stöckelt schließlich, ein wenig beleidigt, aus dem Abteil.

„Ich würde vorschlagen, wir gehen heute die erste Lektion durch?" Ich lache auf, als der Satz aus Finnicks und meinem Mund gleichzeitig kommt. Die Avoxe, stumme Diener des Kapitols, nutzen dies als Aufforderung, den Tisch abzuräumen. Daraufhin schiebt jeder von uns mit einem Knarzen seinen Stuhl zur Seite und wir stehen auf.

Wenig später sitzen wir vier Sieger mit Jinia und Yuvan zusammen. Die beiden haben sich auf zwei großen Polstersesseln sinken lassen und wir Mentoren sitzen ihnen gegenüber auf der Couch. Sohail eröffnet das Gespräch.

„Zuallererst: wollt ihr gemeinsame oder getrennte Lektionen?" Einen Moment lang tauschen Jinia und Yuvan Blicke aus. „Ich hab nichts gegen gemeinsame." sagt Yuvan schließlich und Jinia nickt. „Ich genauso."

Und damit beginnt die erste Lektion der beiden. Die erste Lektion für die Arena, die erste Lektion fürs Überleben, die erste Lektion fürs ... Töten. Ein Fischernetz scheint sich um meine Kehle zu schnüren. Ich soll also meinem eigenen Kind Ratschläge erteilen, die allesamt damit zutun haben, anderen das Leben zu nehmen.

Doch ich muss es tun. Für Jinia. Also atme ich tief durch und beginne: „Also, was ihr immer im Kopf behalten müsst, ist, dass ihr wahrscheinlicher durch natürliche Ursachen ... umkommt, als dadurch, dass andere Tribute das erledigen. Also vergesst niemals, dafür zu sorgen, dass ihr Vorräte und vor allem Wasser habt. Ja, Wasser ist das wichtigste, was ihr habt."

„Fokussiert euch aber nicht nur auf euch selbst.", knüpft Sohail an meine Worte an. „Die anderen Tribute haben genau das selbe Ziel vor Augen, wie ihr es habt - aus dieser Arena wieder herauszukommen. Lebend. Und ihnen ist es egal, den meisten jedenfalls, dass sie euch dafür töten müssen. Und nur so gewinnen sie."

Jinias Miene verdüstert sich und sie stützt nachdenklich den Kopf auf die Hände. Ihr Distriktpartner scheint sich mit den Worten bereits auseinandergesetzt zu haben, doch es muss etwas anderes sein, sie von jemanden zu hören, der tatsächlich einmal in der Arena war.

Nervös trommelt Rivenna mit ihren Fingernägeln auf dem Glastisch und es klingt beinahe genauso wie das Platschen der Regentropfen an der Fensterscheibe. Ihr Blick fokussiert sich auf einen Punkt in der Ferne und schließlich seufzt sie. „Wisst ihr, woran beide Tribute im letzten Jahr gestorben sind?" fragt sie und blickt erwartungsvoll zu Jinia und Yuvan.

Tribute von Panem | Flammendes MeerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt