Geküsst

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Es war ein keuscher Kuss. Geschlossene Lippen, kaum Bewegung gegeneinander.

Und doch war es das Aufregendste, was mir in den letzten paar Wochen passiert war. Ich hatte Oliver mehrmals geküsst und das war sehr viel leidenschaftlicher abgelaufen, als dieser Kuss mit Draco. Trotzdem war das Kribbeln in meinem Bauch jetzt gerade um einiges intensiver.

Nach wenigen Momenten löste sich Draco von mir, sein Gesicht nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt. Schnelle Atemzüge strichen über meine Wangen.

„Wow...", murmelte ich und schlug meine Augen auf. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie ich sie geschlossen hatte.

Draco starrte mich mit roten Wangen an. Sein nervöser Ausdruck brachte mich zum Grinsen und ich streichelte mit dem Daumen über seinen Nacken, denn meine Arme lagen noch immer um Dracos Hals. „War das...war das zu viel?", fragte er leise und sah über meine Schulter.

Das Getuschel um uns herum war verstummt, nur noch leise Hintergrundmusik war zu hören. „Nicht zu viel, nur unerwartet", gab ich zu. „War das...ähm, nur, wegen dem Outing?" Mein Herz klopfte wie verrückt.

Für einen kurzen Moment bildete ich mir ein, Enttäuschung in Dracos Blick zu sehen, doch dann setzte er wieder eine neutrale Miene auf. „Können wir das irgendwo anders besprechen?"

Sobald ich nickte, löste Draco die Arme um mich und griff nach meiner Hand, ehe er mich mit schnellen Schritten aus dem Raum führte. Wir sahen starr nach vorne, niemandem direkt in die Augen und die anderen Schüler machten uns wie von selbst Platz. Als wir die Große Halle hinter uns ließen, verschwand die geschockte Stille und das Getuschel und Gerede schwoll schlagartig an.

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„Woher weißt du, wo mein Zimmer ist?", fragte ich erstaunt, während Draco die Tür hinter uns schloss. Er zuckte nur mit den Schultern, dann stand er einen Moment lang unsicher vor dem Bett.

Auffordernd klopfte ich neben mir auf die Matratze und er setzte sich.

„Also: Ging es da gerade wirklich nur um mein Outing? Der Kuss...", begann ich, verlor dann aber den Faden, als ich mich an das Gefühl dabei erinnerte. Unwillkürlich hob ich eine Hand an meine Lippen und strich gedankenverloren darüber. Ein ferner Nachhall des Kribbelns von gerade eben ließ mich angenehm schaudern.

„Der Kuss wäre dafür wohl kaum noch nötig gewesen, oder?"

Mit großen Augen sah ich Draco an, der nervös die Unterlippe zwischen die Zähne gesogen hatte. „Dann war das...mehr? Heißt das du...stehst auf mich?" Dass Draco vermutlich schwul oder bi war, musste ich nicht erst nachfragen. So küsste man niemanden, wenn man ihn nicht begehrte.

Wieder antwortete mir ein Schulterzucken. „Ich glaube schon."

„Seit wann?"

„Unterbewusst? Vielleicht ein paar Wochen. Bewusst?" Draco legte eine Hand auf meinen Oberschenkel und mein Blick heftete sich darauf, während ich den Atem anhielt. „Seit ich dich heute auf dem Astronomieturm gesehen habe."

Das ließ mich aufschauen. Draco sah immer noch so verdammt nervös aus und es war seltsam, ihn so unsicher zu erleben. „Und jetzt willst du wissen, wie es mir damit geht?", fragte ich vorsichtig.

Draco nickte und ich schluckte schwer.

„Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Bis vor einer Stunde dachte ich noch, ich wäre mit Oliver zusammen. Und jetzt stellt sich heraus, dass er..."

„Dass er ein Feigling ist", ergänzte Draco hilfsbereit.

Ich zuckte mit den Schultern. „Irgendwie schon, ja. Und er hat mich im Stich gelassen. Das nehme ich ihm viel mehr übel, als dass er es sich anders überlegt hat. Er hätte mit mir darüber reden sollen. Stattdessen geht er ohne ein Wort zu sagen mit einer Frau auf den Ball." Schnaubend schüttelte ich den Kopf. Ich konnte es nicht fassen, dass ich mich so in ihm getäuscht hatte. Ich hätte den Kerl an meinen Körper rangelassen, verdammt. Der Beweis dafür lag immer noch auf dem Tischchen neben dem Bett.

Drarry: Versetzt (Smut)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt