Ich weiß nicht mehr genau, wann das Gefühl in meiner Brust begann --- es fiel mir stets schwerer, etwas in mir Heranwachsendes zu erfassen, als erst die fremdartige Leere zu spüren, die folgte, wenn es einging. Ich spürte weniger das Wachsen meiner Gefühle als ihren Nachklang, der mich anschließend doppelt in der Brust traf.
Ich weiß nicht, wann ich begann, Narziss länger, ausgiebiger zu betrachten, mich an seiner Schönheit zu berauschen und ich weiß auch nicht mehr, wann ich anfing, mich dafür nicht mehr zu schämen (mir war es stets unangenehm gewesen, anderen meine Zuneigung offen zu zeigen)
Anfangs nahm ich an, dass meine Gefühle nur ein Nachbild der seinen waren, ein schlichter Nachhall, ein Echo, wie es so viele Dinge an mir waren:
--- Die dunkel-lockigen Haare meiner Mutter, die wir teilen. Ihre Strähnen, die - wenn auch durch ihr Alter nun schneefarben verblasst - viel kräftiger geglänzt hatten als die meinen es taten.
--- Der Schwung meiner rosigen Lippen, der der gleiche war, den auch meine Schwester besaß, nur dass ihre Lippen voller waren, der Schwung feindunker an seinen zarten Rändern und präsenter in ihren Lächeln.
--- Die Sommersprossen an meinem Hals, die auch mein Bruder besaß, nur dass die seinen angeordnet waren, wie das Sternbild des großen Wagens, meine hingegen wahllos auf meiner blassen Haut verteilt waren.Ich weiß nicht mehr, wann das Gefühl in meiner Brust begann aber es war gekommen, um zu bleiben. Es war gekommen, um mich tiefgehend zu verändern.
DU LIEST GERADE
honig und rauch
Storie breviüber schönheit und verblendung, honig und rauch und schwanenfederhaar. über das bittere verbluten der sonne im horizont, narzissmus und einen mit knorrigen apfelbäumen bewachsenen berg, auf dem sich zwei seelen aneinander berauschen. eine geschichte...