⸻ 10 𝔧𝔞𝔥𝔯𝔢 𝔰𝔭𝔞̈𝔱𝔢𝔯

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Übermorgen ist es genau 10 Jahre her, dass ich meine Eltern in ihrem eigenen Blut gefunden habe. 10 Jahre, in denen ich die Bilder nicht aus meinem Kopf verbannen konnte.

Egal, mit wie vielen Psychologen ich gesprochen hatte, keiner konnte die Dämonen, die schrecklichen Bilder, aus mir vertrieben. Das kann nur eine Sache. Die Gewissheit, was vor 10 Jahren passiert ist. Doch auch nach den ganzen Jahren tappt die Polizei nur im Dunklen und umso weiter der Tod in Vergangenheit gerät, umso unwahrscheinlicher ist es, ihn aufzuklären.

Doch ich werde herausfinden, warum meine Eltern sterben mussten, wer es war. Und dann werde ich denjenigen leiden lassen, so wie er meine Eltern leiden lassen hat.

Es ist keine Lösung, Leid mit Leid zu vergelten, doch der Hass ist in mir über die Jahre gewachsen. Und langsam droht er aus mir herauszubrodeln, wie ein Vulkan. Wunderschön und dennoch gefährlich.

Die letzten 10 Jahre waren eine Qual. Für mich hieß es nur, irgendwie zu überleben. Ich habe von Tag zu Tag gelebt. Von Pflegefamilie zu Pflegefamilie, ehe ich alt genug war und nicht mehr in wildfremde Familien geschickt wurde, die auf Krampf versuchten mich aufzunehmen. Ein neues Familienmitglied aus mir zu machen, als wäre ich ein Hund, den sie sich im Tierheim ausgesucht haben.

Nach dem Motto: Oh, die ist süß! Ihre Augen sind so traurig, lass sie mitnehmen, dann wird sie wieder glücklich! Doch das wollte ich nicht. Ich brauche keine neue Familie. Ich hatte meine eigene. Auch wenn sie alle nicht mehr lebten, sind sie immer bei mir. Zu jeder Sekunde, jeder Minute, jede Stunde, zu jedem Tag.

Egal wo ich hingehe, oder was ich auch mache, ich weiß, dass sie bei mir sind. In meinem Herzen, bis ich irgendwann sterben werde und endlich wieder mit ihnen zusammen bin.

Nie habe ich mich zuhause gefühlt, nirgends bin ich angekommen, als wäre ich immer auf der Flucht. Doch vor was? Vor mir? Meiner Angst, neue Menschen an mich ranzulassen?

Ich weiß, dass ich hart war. Dass die meisten mir noch helfen wollten, doch ich war verdammte 16 Jahre alt, bin nichtsahnend nach Hause gekommen und habe in die leeren, toten Gesichter meiner Eltern geblickt.

Nie werde ich die erstarrten Gesichtszüge vergessen. Sie haben sich in mein Gedächtnis gebrannt, lassen mich viele Nächte nicht schlafen, suchen mich in einigen Alpträumen heim. Doch das Leben hatte mich so geformt, von außen kalt und innerlich so zerbrechlich.

Starr blicke ich auf den Brief in meiner Hand. Hätte dieser Brief nicht in meinem Briefkasten gelegen, dann hätte ich wohl verdrängt, dass übermorgen der 10. Todestag meiner Eltern ist.

Verdammte 10 Jahre ist es her, als sie das letzte Mal die kühlen Sonnenstrahlen auf ihrer Haut gespürt haben, dass sie für Halloween geschmückt haben, sie womöglich glücklich waren, sich an den bunten Blättern erfreut haben. Gefreut haben, dass ich nach Hause komme, um gemeinsam mit ihnen Kürbisse zu schnitzen – eine alte Tradition von uns.

Doch anstatt dieser eigentlich schönen Erinnerungen an Halloween wird diese von der düsteren überschattet.

Und wie es nun mal im Leben so ist, bleiben die schlechten Erinnerungen im Kopf, während die Guten allmählich verblassen, bis sie das werden, was sie sind. Einfache Erinnerungen.

Mit zittrigen Händen öffne ich den Brief. Ich will ihn nicht lesen. Will nicht an den Tag vor 10 Jahren erinnert werden, doch ich agiere automatisch. Als würde mein Unterbewusstsein zu mir sprechen: Doch Elena. Du willst das.

Vielleicht hat die Polizei etwas herausgefunden? Es ist unwahrscheinlich, dass man nach 10 Jahren etwas Neues herausfindet, doch plötzlich  wird mein Körper mit Hoffnung gefüllt.

blood & water - chris evansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt