⸻𝔞𝔩𝔱𝔢𝔯 𝔫𝔢𝔲𝔢𝔯 𝔟𝔢𝔨𝔞𝔫𝔫𝔱𝔢𝔯

199 24 2
                                    

Den Rest des Tages verbringe ich damit, irgendwie das Haus auf Vordermann zu bringen, denn irgendwie sieht es falsch aus, das Haus so verstaubt zu sehen.

Nicht dass meine Eltern einen Putzfimmel hatten, dennoch war es immer sauber und wenn man 10 Jahre nicht mehr anwesend war, dann wird die Staubschicht immer größer. Als das Wohnzimmer einigermaßen wohnlich war, zumindest, dass ich dort die Nacht verbringen kann, ohne eine Stauballergie zu entwickeln, gehe ich in die Küche.

Sie sieht immer noch so aus wie vor 10 Jahren. Der Einkaufszettel für den wöchentlichen Einkauf hängt an dem grauen Kühlschrank. Eier, Mehl, Milch, Zitronen. Ich seufze leise aus, als ich die wenigen Zutaten lese, die auf dem Zettel stehen. Meine Mutter wollte wieder ihren legendären Zitronenkuchen machen, doch dazu kam sie nie. Den Geschmack werde ich nie vergessen. Wann ich den Kuchen zuletzt gegessen habe? Ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, dennoch spüre ich immer noch den zitronigen Geschmack in meinem Mund.

Bei dem Gedanken an den wunderbaren Kuchen meiner Mutter fängt mein Bauch an zu knurren und ich beschließe, mit dem Bus zum Supermarkt zu fahren.

Ich könnte genauso gut mein Auto nehmen, doch damals hatte ich noch kein Auto. Vielleicht will ich mich noch einmal wie das 16-jährige Mädchen fühlen, das ich war, bevor meine Eltern gestorben sind und meine Kindheit somit beendet war.

Außer meine Geldbörse, mein Handy und dem Hausschlüssel, lasse ich alles stehen und liegen, wie es war, schnappe mir aus Instinkt den alten Jutebeutel, der an der Türklinke hängt, verstaue die Sachen in dem Beutel, ehe ich in die kühle Luft trete.

Tief atme ich ein, lasse die Luft in meine Lungen fließen, während ich kurz meine Augen schließe und den Moment in mich aufnehme.

Während ich im Haus war, habe ich nicht gemerkt, wie stickig die Luft darin wirklich ist. Wahrscheinlich war ich so in Gedanken, dass ich es gar nicht mitbekommen habe.

Ich schlendere die Straße entlang, die ich früher etliche Male lang gelaufen bin, ohne auf meine Umgebung zu achten. Anders als heute.

Neugierig sehe ich mich um, bemerke, wie alles anders ist. Wie sich alles um mich herum verändert hat, während mein Haus so geblieben ist, wie es früher war.

Ob meine Eltern immer noch darin wohnen würden? Ob ich sie am Wochenende besucht hätte, um dem stressigen Stadtleben zu entfliehen? Doch die wichtigere Frage ist wohl, wohin mich mein Weg geführt hätte, wären meine Eltern nicht umgebracht worden. Wäre ich nicht von einer in die andere Pflegefamilie geschickt worden.

Ich seufze und schüttle meinen Kopf, als ich die alte Bushaltestelle erreiche, die gute fünf Minuten vom Haus meiner Eltern entfernt ist.

Ich studiere den Plan und nach einem Blick auf meine rot-blaue Michael Kors Uhr stelle ich fest, dass in drei Minuten der nächste Bus vorbeikommt.

Wenn das kein gutes Timing ist.

Während ich auf den Bus warte, starre ich auf die gegenüberliegende Seite, wo eine Koppel angrenzt, auf der einige wenige Kühe grasen.

In meinen Gedanken versunken, beobachte ich sie, als mein Blick durch den einfahrenden Bus gestört wird. Ich greife zu dem Geldbeutel in meinem Jutebeutel, bezahle schnell ein Ticket bei dem Busfahrer, bevor ich mich mittig in den Bus setze und die vorbeiziehende Landschaft beobachte.

Auch wenn es anders ist, viel mehr bebaut, fühlt es sich an, als wäre ich endlich wieder zuhause angekommen.

Die Fahrt dauert nicht lange, ich verabschiede mich bei dem Busfahrer automatisch, als ich hinten aussteige. In der Stadt gibt es diese Freundlichkeit nicht, dort kommen und gehen Leute, ohne dass man ihnen große Beachtung schenkt, doch hier auf dem Dorf ist es etwas anderes. Als würde man eine komplett andere Welt betreten.

blood & water - chris evansWo Geschichten leben. Entdecke jetzt