Prolog

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Alle Erinnerungen wieder hervorzukramen, ist eine Herausforderung. Nicht wegen dem Schmerz, der widerfahren ist, sondern aufgrund der Tatsache, dass die Zeit sein Ende fand. Ich würde jede Last auf mich nehmen, um noch einmal in meiner Jugend zu sein. Ich würde gerne mit ihnen zusammen lachen, weinen und Spaß haben. Aber ich muss mir auch bewusstwerden, dass ich mich gegen so einen Weg entschieden habe.
  Ich wollte letztendlich, doch den sicheren Pfad beschreiten. Er ist schlicht, eine halbe Zeichnung von dem, was es hätte werden können. Es ist nicht farbenfroh und auch nicht so vielfältig wie die heutige Musik.
  Nein, ganz im Gegenteil. Mein Lebensweg gleicht einem Land, dass unter einer dicken Wolkendecke liegt. Tropfen um Tropfen fallen auf die modrige Erde und schenken der Flora das durchsichtige Gold unserer Welt. Für mich im Kontrast bietet es nur schaurige Regentage. Anfangs sah ich in ihr keine unverwechselbare Schönheit, doch jenes erschließt sich mir heute in all seinen Ausstrahlungen. Sie hat mich wachsen lassen. Sie veränderte mich.
  Nein, sie war nur ein Nebeneffekt und nicht der Auslöser. Dieser liegt in einer längst verdrängten Zeit.

In einer Zeit bei der mein Mond weit über den Köpfen erstrahlte.
  Er beeinflusste ohne Zweifel jede Kleinigkeit in meinem Leben. Ich richtete alles nach ihm. Er war mein stetiger Begleiter.

Heute kann ich wohl darüber lächeln, auch wenn es kein Ausdruck der Freude ist. Aber es war Glück im Unglück.

Seit meiner Geburt besaß ich ein Merkmal, auf das ich erst mit meinen zweiundzwanzig Jahren stolz bin. Kleine Sternchen, wie meine Mutter es früher liebevoll betitelte, schmückten mein Gesicht. Sommersprossen, die wie Farbtupfer, mein Gesicht belebten. Sie brachten Abwechslung rein, allerdings schenkten sie mir auch eine unwiderrufliche Tatsache. Ich tanzte mit ihnen aus der Reihe, in jungen Jahren war das das Ende.
  Dazukommend war ich wohl sehr zierlich. Na ja, das bin ich bis heute. Es gilt als ein Schönheitsmerkmal in diesem Land, solange es gesund ausschaut und in die Normwerte passt. Weicht ein Wert ab, ist deine Zierlichkeit nur noch ein Dorn im Auge. Wenn man das alles zusammenrechnete, konnte man mich die ideale Beute nennen. Die Beute von grausamen Kindern, denn das waren sie ohne Zweifel. Leider tragen Kinder nicht die Intelligenz mit sich, die einen bewusst werden lässt, dass man andere nicht nieder macht. Doch das bringt nun mal Macht mit sich, das Begehren Menschen seit jeher, dieses Wissen haben die Kinder. Und so erwählten sie mich in der Mittelschule zum Idioten.
  Sie drängten mich in die Ecke. Zerstörten jeden Funken an Selbstliebe, Akzeptanz und Selbstbewusstsein. Ich bereue es, nie jemanden davon erzählt zu haben. Ich rief nicht nach Hilfe. Es ist Fakt, dass ich ihnen ohne Wehr gehorchte. In dem Fall war ich schlimmer als sie selbst und feiger als ihr Dasein.

Aber ein Wunder geschah.

Mein Wunder geschah.

In Märchen wäre er ein edler Ritter auf einem weißen Pferd. Doch in meiner Geschichte war er ein gleichaltriger Junge.
Blond, groß und kühl. Das waren seine Merkmale. Obwohl er so schlicht klang, schien er für mich besonders. Dieser Junge faszinierte mich mit jeder Ecke seiner selbst.
  Er wollte nicht viel über mich wissen, aber er machte mich auch nicht nieder. Er tolerierte mich in seiner Umgebung. Ich war sicher bei ihm, denn er rettete mich vor meinen Schikanen. Ich fühlte mich so wohl, endlich nahm einer mein Wesen wahr. Ich wurde von Emotionen ergriffen und der Wille flammte auf. Der Wille ihm nahezu sein. Es passte, ein kleiner Stern neben dem riesigen Mond.

Viele betrachten ihn falsch. Für sie war er arrogant, genervt und hinterlistig. Ein jemand, der hinter dem Rücken anderer lachte, doch das war nur der Schein. Bekanntlich trügt der Schein. Leute, die ihn nicht erkennen konnten, wie er wirklich war, waren es nicht wert gewesen, seine Aufmerksamkeit zu erhalten. Ich kannte ihn. Ich analysierte ihn so eindringlich wie ein Kunstwerk. Für mich war er die Definition eines Meisterwerkes. Dieser Junge gab eine Sicherheit vor, obwohl in ihm ein geringes Selbstwertgefühl brodelte. Er baute eine dicke Mauer auf, um sich selbst zu schützen, denn er wollte keinen Schmerz der Welt ertragen. Dieser Mond nahm alles gelassen und zeigte das geringste Interesse, obgleich er ein Teil des Geschehens sein wollte. Er wollte genauso der Mittelpunkt sein und nicht immer ein Mond. Ich hörte in der Öffentlichkeit kein Ton von ihm, doch das benötigte ich nicht. Ich konnte sein Gestikulieren deuten. Als einziger verstand ich sein Charakteraufbau. Er betitelte sich als lahm. In ihm wuchs die Angst der Enttäuschung, weshalb er geliebten Dingen, wie den Volleyball, kaum Platz schenkte.
  Ihn so zu beschreiben, in so einem Lichteinfall, fühlt sich wie Verrat an. Ich war so fokussiert auf diesen Menschen, den ich als mein Vorbild benennen wollte. Er spielte eine Gelassenheit, die ich haben wollte. Er kannte seine Fehler und wie er sie beheben konnte, daneben wollte er, dass jeder seine Stärken anerkannte. Dieser ehemalige Begleiter war die Harmonie in sich selbst. Zwei Seiten ließen ihn in Frieden existieren. Und diese beneidete ich.

Ich wollte auch so sein. Ich wollte auch eine Stärke besitzen, die anerkannt wird. Genauso wollte ich endlich gegen meine Ängste ankämpfen und besser werden. Ich wollte gut genug für ihn werden. Deshalb begann ich seine Interessen zu teilen.
  Das Auge für die Kunst besaß er ohne Einspruch. Die Wortgewandtheit lag ihm auf der Zunge. Das Interesse an der Historie malte seine Zukunft. Die Fitness unterstrich die Liebe zum Volleyball. Und ich glich mich dem an, denn mehr hatte ich nicht. Ich war zu schlicht, um selbst etwas zu werden.
So folgte ich ihm mit in eine Arbeitsgemeinschaft im Bereich Sport, besser gesagt dem Volleyball-Klub. Jeder, der ein Teil dieser war, trug Können mit sich. Selbst der kleinste war agil, der dümmste wurde zum Genie auf dem Feld und der lauteste behielt die Ruhe in sich. Alle waren in ihrem Element, da war es kein Wunder, dass die drei von vier Neulingen eine Stammposition erhielten. Und ich war der vierte, derjenige ohne Talent, ohne Können und ohne Wissen. Ich sah immer zu und nun tat ich es wieder.
  Nun auch in der Oberschule wurde ich zum Bankwärmer ernannt.

Aber wie die Pflanzen mit Wasser, Sonne und Kohlenstoff wachsen, gedieh ich mit Kraft, Hoffnung und Ehrgeiz. Ich nahm mir vor, der Aufschlagsprofi zu werden. Es war ein Projekt, dass wortwörtlich Schweiß und Blut abverlangte. Jedoch kann ich mit Stolz sagen, dass ich es schaffte.
  Ich schaffte es und erhielt die Anerkennung meines Begleiters. Mein Selbstbewusstsein baute sich auf. Mut keimte heran. Ich gab mein bestes. In dieser Zeit wurden Träume war, denn ich wurde irgendwann der Kapitän dieses Teams.
  Jeder sah mich. Ich war im Mittelpunkt. Respekt, Vertrauen und Freundschaft verband uns. Es war die schönste Zeit. Es war die Zeit, in der ich, ich wurde.

Mein Ich war hell und bunt. Farben über Farben zeichneten abstrakt die Wirklichkeit. Der Ausdruck war so essentiell. Ich fühlte mich frei. Auf meinem Gesicht war nichts anderes als ein Lächeln zu sehen. Ein ideales Bild kreierte sich nach der Zeit.

Es war zu schön, um wahr zu sein.

Mit der eigenen Akzeptanz, lernte ich zu lieben. Ich verstand mich und auch meine Gefühlswelt. Mir wurde bewusst, wie stark die Farbe Rot repräsentiert war. Ich fühlte mich so stark angezogen, erhellt und erwärmt. Meine Zeit sollte nur an seiner Seite verlaufen. Ja, das war mein Wunsch. Die erste jugendliche Liebe nimmt man so dominant wahr. Es war ein Bann, der mich komplett einbezog.
  Jedoch muss ich sagen, dass zwischen Mut und Übermut eine schmale Grenze ist, die man schnell überschreitet. Eine Grenze, die ich nicht einhielt. Ich war so gefestigt und überzeugt, schließlich war ich nun präsent in den Köpfen und stark ausgeprägt in dem meines Freundes, dass ich dachte, es könnte klappen.

Ich tat das, was ich hätte nie tun sollen.

An einem sonnigen Tag bestellte ich ihn in den nahegelegenen Park. Die Wolken zogen über den Himmel. Die Sonne schickte ihr Licht hinaus. Die Vögel sangen ihr Lied.
Alles war so idyllisch. Und er stand mitten in dieser Symphonie. Sein blondes Haar wehte im Wind. Sein Blick schien verträumt im Blau des Himmels zu hängen und seine Körperhaltung markierte den Frieden der Person. Die Begrüßung von mir war heiter, wie immer.
  Alles schien so einen guten Lauf zu nehmen, dass mein Mut aus dem Damm brach und das gesamte Tal unter den Wassermassen begrub.

„Ich wollte dir sagen, dass ich dich liebe."

Diese Worte leiteten das graue Musikstück ein, in dem mein Leben nun tanzt. Es ist ein einsamer Tanz nur für mich und ohne ihn. Denn ich hätte mir denken können, dass dieser Mond nicht mein Licht reflektierte, schließlich war ich nur ein mickriger Stern oder doch nur ein bedeutungsloser Himmelskörper.

Seine Liebe für mich war nicht real. Ich malte sie mir nur aus und interpretierte dieses Gemälde zu fantasievoll. Übermut, ganz klar.

Aber es hatte sich nicht geändert. Er blieb meine erste Liebe.
Dieser Junge hieß Kei Tsukishima.
Und ich war Tadashi Yamaguchi.

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