Kapitel 1

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Riko Yamaguchi war eine Frau die hingabevoll sich um mich kümmerte. Sie war ohne Widerrede eine wunderbare Mutter. Wenn Tränen sich in meinen Augen sammelten, dann war sie schon zur Stelle und zauberte mir ein Lächeln zurück auf mein Gesicht. Sie tat alles für mich, als mein Vater immer nur die Arbeit im Kopf hatte. Damals war sie mein rettender Anker, diese Zeit ist leider vorüber. Sie zog weiter. Sie wollte einmal ihr Leben für sich selbst leben. Nach meinem achtzehnten Geburtstag gestand sie ihre Entscheidung mir und meinem Vater. Mit Tränen in den Augen und zitternder Lippe erklärte sie uns, wie gern sie die Welt sehen würde, dass sie diese Familie bis zum Ende halten wollte, allerdings ihr Herz andere Pläne hatte. Sie gestand uns ihre Liebe zu einem anderen Mann.
  Ich respektiere es. Sie hat es verdient, glücklich zu werden, nachdem sie ihre Lebenszeit für uns geopfert hatte. Dennoch kann ich es nicht leugnen, wie sehr es mich weiter zerstört hatte. Das geschah nachdem Tsukishima meine Liebe abwies und mich beiseite warf. Diese Komponente gemischt mit der Neuen beschleunigten den Prozess meines inneren Verwelkens. Als mir die Tränen kamen, war keine Mutter mehr an meiner Seite, denn sie genoss schon die helle Sonne in einem anderen Land, und Freunde meiner Schulzeit ließ ich linksliegen, um meiner Liebe nicht zu begegnen.
  Da stand ich nun mit meinem Vater, der zuvor nur seine Karriere im Kopf hatte und kaum Beschäftigung mit mir hatte. Seine Liebe ließ ihn los und brachte ihn auf den Boden der Tatsachen. Das Einzige, was er noch hatte, war ich und dazu sah ich meiner Mutter so unglaublich ähnlich. Wir beide waren bis an die Knochen zerrissen, was uns am Ende zusammenschweißte.
Einige Zeit vergingen und die Scheidung wurde offiziell. Und mit diesem Ereignis nahm ich den Geburtsnamen meines Vaters an. Er liebte Riko aus ganzem Herzen, weshalb er bei der Heirat ihren Namen akzeptierte und ich legte diesen Namen mit ihm ab, damit Riko Yamaguchi die letzte der Yamaguchis blieb. Ab da begann meine Reise zu einem neuen Tadashi.
Und dieser trägt den Namen Tadashi Watanabe.

Mein Vater entschloss sich seinen elendigen Bürojob, der ihm Kraft raubte, jedoch genug Geld einbrachte, niederzulegen. Zusammen entschlossen wir uns umzuziehen. Wir gingen zusammen nach Tokio. In dieser Metropole erfand ich mich neu, trotzdem behielt ich eine Sache fest an meinem Herzen und das war die Faszination zu Tsukishima. Ich hatte ihn als Person verloren, wodurch ich ihm noch geistig nahe sein wollte. Ich wollte so sehr wie er sein, damit ich ihn nie vergessen kann. Meine Kraft steckte ich in Bücher, Historik, Kunst und Musik. Es war keinesfalls langweilig. Es war schön, denn es nahm mir meine Einsamkeit. Und diese negativen Gefühle verdreckten mein Erscheinungsbild. Ich war in einem dunklen Loch gefangen. In meinem Kopf herrschte nur eine Möglichkeit, aus dem zu entfliehen.

Der, der ich einmal war, musste verschwinden.

Mit meinem Namen änderte sich somit auch mein Äußeres. Ich wollte nie wieder verletzt werden, aufgrund der Tatsache, dass ich schwach aussehe. Ich baute eine Mauer auf, um mich vor Schmerz zu schützen.
  Meine Haare wurden länger, reichten mir dennoch nur bis zu den Schultern. Die Farbe spaltete sich in zwei. Unten dominierte ein reines Weiß mein Schopf und der Obere, meist sichtbarer Teil, behielt die Naturelle Farbe. Es steht für die Spaltung meiner selbst. In den Teil, der gestorben war, und dem, der noch als Fünkchen existiert. Dazukommend versteckte ich meine Sommersprossen nicht mehr. Es war mir nun recht, aus der Reihe zu tanzen. Einige bemalte ich mit einem Stift, damit sie stärker herausstachen. Das war der einfachste Part an meiner Änderung, einbeschlossen den Piercings an meinen Ohren.
Das, was mehr Zeit kostete, war meine körperliche Fitness. Zu joggen, in ein Studio zu gehen und andere Beschäftigungen waren an meiner Tagesordnung. All das klingt in den Ohren von anderen gesund, fabelhaft und erstrebenswert. Doch es fühlte hoffnungslos eine Leere, die langsam in diesen zwei Jahren stärker herausbrach. Meine Erscheinung war noch eingefallener, als zuvor. Nicht so wie mein Vater ging ich nicht in eine Therapie. Ich wollte das nie. Ich verstand nicht, wieso ich das Gemälde, welches ich begann zu malen, überdecken soll, nur damit ich der Zeichnung gleiche, welche ich mal war. Es ist nicht das, was ich wollte. Tadashi Yamaguchi war nicht die Hauptfigur in dieser Geschichte, schließlich war das, was er erreichte, ein Reinfall. Darum setzte ich auch alles, um anders zu sein.
Das schaffte ich auch. Als zwei ehemalige Schulkameraden neben mir in der Uni auftauchten, erkannten sie mich nicht. Mein Vater bestätigt die Änderung. Meine Kindheitsbilder unterstreichen es noch mehr. Darum war ich schließlich auch einverstanden mit meinem Vater zurück nach Miyagi zu ziehen, in die Gegend zurück. Mit dem Ortwechsel begann ein neues Kapitel für uns beide. Wir eröffneten gemeinsam ein Café und in dessen zweiten Etage befand sich nun unser neues Zuhause und nicht wie damals in einem zweistöckigen Haus, in welches zwei Familien reinpassten.

Nun bin ich hier angelangt. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich so ausleben werde, nicht mal in meinen wildesten Träumen. Immer wollte ich ein Volleyballer werden, allerdings wurde daraus nichts. Dafür kann ich sagen, dass ich Student bin, zwar nicht sozialer als damals, aber es ist okay. Ich kann unsere Kundschaft bedienen, das reicht mir schon als Interaktion.

Regen prasselte gegen mein Fenster. Sie flossen dann hinab und lieferten sich ein Wettrennen, so mein kindlicher Gedanke aus meiner Jugend. Auf dem Land kann man den schönen Geruch des nassen Grases genießen, was damals in der Hauptstadt nicht möglich war. Wiederwertige Abgase zerstören das Schöne der Natur, die Menschenmassen schlucken das Grün der Erde und der starke Verkehr bereit so vielen Geschöpfen Angst. Zwar erhielt ich viele neue Optionen, mit denen ich mich neu erfinden konnte, jedoch baute sich auch ein Hass gegenüber dieser Metropole auf. Es war nichts für mich. Mein Herz ist hier heimisch und fühlt sich auch nur hier wohl. Hier kann ich so viele Fassetten des Lebens aufnehmen, die ich gebrauchen könnte, um meine Wunden zu heilen. Dieser Regen war wie eine Salbe, die tiefe Einschnitte kühlte. Ich liebe Regentage. Es kommen weniger Kunden, es ist ruhiger und friedlicher. Ich fühle mich mit der Welt als eins, schließlich bringen wir in diesen Stunden dieselben Emotionen zum Ausdruck.
  „Tadashi, kommst du runter? Die ersten Leute trudeln ein." Mein Vater hatte die Tür sachte geöffnet und lehnte nun am Türrahmen. Er wollte mir Freiraum geben, damit ich mich nicht eingeengt fühlte, doch ich merke, wie sehr seine Aufmerksamkeit auf mir klebt. Ich nehme es ihm nicht übel. Dieser Mann will nicht sein letztes Familienmitglied verlieren und wahrscheinlich schwirrt in ihm ein Gedanke wie es geschehen könnte. Ach, Vater, ich beende das Gemälde nicht abrupt. So ist nicht meine Art. „Ja, ich komme runter", antwortete ich. Der Mann lächelte leicht und ging dann wieder an sein Posten. Mit viel Kraft erhob ich mich aus meinem Bett. Meine Beine brachten mich an meinen Spiegel. Neben ihm auf einem Stuhl lag meine grün-braune Schürze ordentlich gefaltet. Mit schnellen Bewegungen warf ich sie mir um meinen Körper und band sie zu. Ein weiterer Arbeitstag kann beginnen. Ich verließ mein Zimmer. Im Flur der zweiten Etage hangen keine Bilder. Die Wände waren kahl, anders sah es im Café aus. Ich bog nach links ab, um die Treppen nach unten zu nehmen. Mit jeder Stufe wurde der Geruch von Kaffeebohnen intensiver. Es ist mein Lieblingsgeruch. In diesem Lokal bekam mein Leben kleine Farbspritzer. Nur hier pochte mein Herz wieder intensiv, wie damals in der Sporthalle meiner Oberschule. Diese beiden Orte gleichen sich in keinem Aspekt, jedoch verbindet sie irgendetwas undefinierbares.

Pflanzen hangen von der Decke oder standen irgendwo im Raum. Gegenüber der Tür war an der hintersten Wand eine Theke, auf der Gebäcke präsentiert standen. Es gab ein Schildchen mit den Angeboten und Empfehlungen. Hinter der Theke war eine Tür zur Küche, in der mein Vater Kuchen backt und leckere Süßigkeiten herstellt. Er entdeckte seine Liebe zu dieser Tätigkeit und das machte mich stolz. Dieser gebrochene Mann fand ins Leben zurück. „Ich übernehme jetzt die Kunden", sagte ich zu ihm, der gerade ein Kaffee für einen Gast zubereitete. „Vielen Dank, Tadashi. Dieses Getränk ist für den Mann an Tisch sechs bestimmt." Er reichte mir eine schwarze Keramiktasse. Tisch sechs befand sich direkt an einem Fenster mit grünen Gardinen. Es war einer von zehn Tischen. Ich geleitete sofort dahin. Der Mann hatte dichtes schwarzes Haar. Vor ihm war ein Laptop aufgestellt. Viele kommen hierher um zu lesen und zu arbeiten. Dafür bieten wir auch das Nötigste an. Jeder soll sich wohlfühlen. „Guten Tag, hier ist ihr bestellter Kaffee." Vorsichtig stellte ich es auf dem Tisch ab. Er bedankte sich. „Wenn sie weitere Wünsche haben, dann rufen sie mich." „Ja, dann hätte ich einen." Ich schaute ihn an. Ich hatte ihn hier zuvor noch nicht gesehen. „Wissen sie, von welchem Künstler dieses Bild ist?", er deutete auf ein Gemälde rechts von ihm an der Wand. Das erste Mal das sich jemand für eins der Bilder interessierte. „Dieses Gemälde stammt von mir." Seine braunen Augen funkelten. „Sie sind sehr begabt. Es ist vergeudetes Talent, wenn sie nur hier arbeiten. Ich liebe die Farbabstimmung und dieses Motiv erst recht. Es hat viele Emotionen in sich." Ich bedankte mich. Es sind kontrastreiche Farben, die das bunte Leben zeigen sollen. Es bietet so viel, von Glück bis Trauer ist alles vorhanden. Jede Farbe steht für etwas Besonderes.

Und Tsukishima war die beeindruckendste Farbe, die ich niemals mischen könnte.

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