Ein Kampf ums überleben

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Stille. Lediglich ein bösartiges Knurren ist zu hören. Altena starrt ihn einfach nur sprachlos an und lässt unkontrolliert ihren Löffel fallen. Mit einem lauten Geräusch fällt das Besteck in den Teller zurück. Sie kann wieder die Schmerzen in den Fingern fühlen, das ekelhafte Knacken hören, wie die kleinen Knochen unter seinem feigen Angriff nachgegeben haben. Komplett unfähig sich zu bewegen starrt sie ihn einfach nur weiterhin an während sie sich fragt, wie er sie bloß gefunden hat. Chloe sowie ihre Eltern sind ebenso fassungslos und können nichts anderes tun außer ihn anzustarren. Altena muss schnell und überlegt handeln. Angriff oder Flucht – eine andere Option hat sie nicht. Mit einem lauten Schrei, der das Blut in den Adern gefrieren lässt schnappt sie sich völlig unüberlegt die Schöpfkelle, um ihm diese brüllend an den Kopf zu werfen. Das ist definitiv die falsche Entscheidung gewesen. Mit spielender Leichtigkeit weicht er dem fliegenden Geschoss aus, um sich im nächsten Moment wutverzerrt auf sie zu stürzen. Sofort löst sich ihre Paralyse und ihr Körper schaltet in den Fluchtmodus um. Adrenalin wird freigesetzt. Wenn der Feind zu stark ist, ist weglaufen keine Schande. „Altena, warte!", brüllt Chloe ihr hinterher. Doch da ist sie schon im hinteren Teil des Hauses verschwunden. „Komm her, du Miststück, damit ich dich abmurksen kann!" Alles was die junge Frau tun kann ist vor ihm wegzulaufen. Johannes ist aufgesprungen und versucht zittrig das Schloss zu seinem Gewehr zu öffnen, während Marianne in Panik geraten ist und die Polizei verständigt.

„Lass mich in Ruhe, du geisteskranker Psychopath!" Altena kennt sich in dem kleinen Häuschen besser aus als er. Daher kann sie einen kleinen Heimvorteil genießen. Immer wieder bewirft sie ihn mit Gegenständen oder legt andere Hindernisse in den Weg, um ihn kurzzeitig auszubremsen. Völlig unter Schock stehend, handelt sie komplett irrational und ist nicht mehr in der Lage über ihre eigentlich dummen Handlungen ordentlich nachzudenken. Mit schwer pfeifenden Lungen flüchtet sie weiter vor ihm. „Altena, komm hierher." Chloe winkt ihr zu und sie rennt so schnell sie kann die Kellertreppe nach unten. Die schwere Eisentür wird verriegelt. „Eine Tür kann ihn nicht aufhalten, wir müssen weg von hier." Zum Glück gibt es noch einen Hinterausgang den sie benutzen. „Es tut mir Leid, dass ich dich und deine Eltern da mit reingezogen hab. Ich hätte niemals herkommen dürfen..." Unter einem Baum kann sie sich kurz ausruhen. Verstört beginnt sie sich die Arme blutig zu kratzen. „Ich hab Angst...er wird mich töten..." Eine neue Panikattacke sucht sie heim. Plötzlich ertönt ein lauter Schlag. Able hat die Tür aufgebrochen. „Er kommt! Lass uns abhauen." Chloe packt sie an der Hand und zieht ihre Freundin schwerfällig hinter sich her. „Ich kann nicht mehr...", stöhnt sie und wäre fast hingefallen. „Gleich hab ich dich...", faucht der Schwarzhaarige bösartig. Ein neuer Energieschub durchströmt Altena. Sie richtet sich wieder auf, um Chloe nun zu folgen. Doch von seiner Beinverletzung ist nichts mehr zu sehen, weshalb er um einiges schnelles ist. Unbehindert stürmt er auf sie zu, bereit um sie anzuspringen und zu Boden zu reißen.

Plötzlich geht Able zu Boden. Ein lauter Schuss hat sich gelöst. „Schnell, lauft weg!" Johannes hat auf ihn geschossen und kurz ausgebremst. „Kugeln machen ihm nichts aus", bellt Altena, bevor sie von Chloe mitgezogen wird. Sie geht davon aus, dass Able sie weiter verfolgen wird, doch er hat seine Aufmerksamkeit auf Johannes gerichtet. „Papa!" Der ältere Mann legt erneut an, um eine weitere Kugel auf ihn abzufeuern. Es fällt ihm auf einen Menschen zu schießen, doch er muss seine Familie beschützen. Das Geschoss bohrt sich durch seinen Brustkorb und bleibt schließlich in einem Baum stecken. „Scheiße...das ist doch nicht möglich..." Altena hält sich geschockt die Hand vor den Mund, wie Able auf Johannes losgeht. „Misch dich nicht ein, alter Mann..." Die beiden rangeln kurz am Boden miteinander als es Johannes gelingt seinem Angreifer den Lauf seines Gewehrs in den Mund zu stecken. „Fahr zur Hölle, du Bastard. Du wirst meine Töchter nie wieder bedrohen", sagt er und drückt ab. Able beginnt zu lachen, als er in das blasse Gesicht seines Gegners sieht. „Nein, nicht jetzt..." Er drückt nochmal ab und nochmal. Doch nichts passiert. Ausgerechnet jetzt muss sein Gewehr unter Ladehemmung leiden. Die verdammte Kugel hat sich im Lauf verkeilt und ist stecken geblieben. Mit brachialer Gewalt, reißt Able ihm das Gewehr aus den Händen und versucht ihm dann den Hals umzudrehen. Chloe kann ihren Vater nicht im Stich lassen. Sie hat sich die alte Holzaxt geschnappt und will auf ihn losgehen. „Nein, tu das nicht. Lauf weg, Chloe."

Plötzlich lässt Able von Johannes ab, um sich der Brünetten zuzuwenden. Mit einem geschickten Handgriff nimmt er ihr die Axt weg. Tatsächlich hat sie ihn unterschätzt und wird nun von ihm gejagt. Altena will nicht wahrhaben was gerade passiert. Keine fünf Sekunden später hat er Chloe erwischt. Sie traut ihren Augen nicht, als er wie aus dem Nichts eine pechschwarze Klingenwaffe zieht, um ihrer besten Freundin den Kopf abzuschlagen. Altena schreit und fängt an zu weinen. „Ich komm freiwillig mit!" Able hält in der Bewegung inne. Er drückt Chloe weiter zu Boden und richtet dann seinen Blick zu Altena herüber. Plötzlich reißt er sie nach oben und hält die Brünette fest umklammert. „Lass mich los...", röchelt sie. „Komm her, du elendes Miststück...", knurrt er bösartig. „Tu das nicht, Altena...", wimmert Chloe leise. „Halt dein Maul", faucht er und festigt seinen Griff etwas. „Bitte lass sie los! Ich komm freiwillig mit, aber bitte tu ihr nichts..." Ihr laufen die Tränen aus den Augen. „Es tut mir Leid, Chloe, ich wollte dich da nicht mit reinziehen." Erst als Able die Weißblonde zu fassen bekommt, lässt er Chloe wieder los und schubst sie unsanft von sich. Grob legt er seinen Arm um sie und zerrt Altena mit sich. „...Es wird dir sehr Leid tun, dass du abgehauen bist...", knurrt er. Sie sträubt sich dagegen und kann nicht glauben, dass er sie wieder erwischt hat. Gerade will sie den Mund öffnen und etwas sagen, doch bevor sie dazu kommt, schneidet Able ihr vorher das Wort ab. „Sei still! Wenn ich auch nur ein Wort von dir höre werd ich dir den Kiefer ausrenken." Altena will das nicht. Sie will nicht den Rest ihres Lebens von ihm tyrannisiert werden. Oder wie ein altes Spielzeug entsorgt, wenn es ihm zu langweilig geworden ist. Lieber wäre sie tot, als weiterhin so leben zu müssen. Plötzlich greift Able ihr an den Hals. Direkt an die Stelle, wo der dunkelrote Knutschfleck ist.

Das erinnert sie wieder an die Demütigung, die sie erdulden musste. Nein – er soll sie nie wieder anfassen. Sie will nie wieder Angst vor ihm haben müssen. Mehr als sterben kann sie nicht, also wird sie einen letzten, verzweifelten Versuch wagen. Mit aller Kraft, rammt sie ihren Ellbogen in seine Seite und tritt ihm so heftig gegen das angeschossene Bein, sodass der Knochen teilweise nachgibt. Able hat mit so einem Widerstand nicht gerechnet und lässt sie los. Überrascht jault er kurz auf, während Altena davonläuft. „Du hinterfotziges Miststück, dass wirst du mir büßen..." Ohne auf seine Verletzung zu achten sprintet Able los. Er ist ungewöhnlich schnell, weshalb er Altena schon bald eingeholt hat. Alles geht drunter und drüber und sie weiß, dass sie heute noch ihr Ende finden wird. Doch bevor er sie tötet, wird er sie noch ziemlich lange leiden lassen. Able streckt die Hand nach ihr aus und ist nur noch eine Armlänge von ihr entfernt. „Jetzt hab ich dich...", grollt er und will sie gerade packen. „Runter!" Altena wirft sich auf den Boden. Das hat Able nicht kommen sehen. Kaum ist die junge Frau aus der Schusslinie, eröffnen die Polizisten das Feuer, die in letzter Sekunde noch aufgetaucht sind. Voller Angst presst sie sich auf den Boden und hält sich wegen dem Kugelhagel die Ohren zu. Ein Dauerfeuer wird auf den Schwarzhaarigen gerichtet. Dank wertvoller Informationen einer Geheimorganisation schaffen es die Beamten zusammen mit ein paar Agenten eines Sondereinsatzkommando Able zu Fall zu bringen. Das erste mal hat man ihn unterschätzt, doch diesen Fehler wird man kein zweites mal mehr machen.

Altena schreit schmerzverzerrt auf, als sie von einem der schwer kalibrigen Geschosse in den Unterarm getroffen wird. Nun kann sie Able das erste mal schreien hören und danach wird es sehr still. Der Kommandant gibt den Befehl das Feuer einzustellen. Ein Agent kommt zu Altena, um sie in Sicherheit zu bringen. „Bist du verletzt?" Blut läuft ihr über den Unterarm herunter. „Aua...es tut so weh..." Anders als Able kann sie nämlich keine Schmerzen ignorieren. Wobei sich die Weißblonde nicht sicher ist, ob ihr Körper oder ihre Psyche mehr wehtut. „Altena...!" Sofort wird sie von Marianne in den Arm genommen. „Oh mein Gott, ich hatte solche Angst um dich..." Sofort klebt sie an der älteren Frau und weint sich die Augen aus. Ein Krankenwagen und ein Arzt wird bestellt. Noch immer voller Adrenalin gepumpt, lenkt sie ihren Blick auf Able, der am Boden liegt und sich nicht mehr rührt. Zwei der schwer bewaffneten Agenten nähern sich ihm vorsichtig. Sie drehen ihn auf den Rücken, sodass man sein Gesicht sehen kann. In seinen grauen Augen ist der Glanz verschwunden. Einer der Männer fühlt seinen Puls und schüttelt dann den Kopf. „Er ist tot..." Für andere mag das grausam klingen, doch Altena ist sehr glücklich darüber das zu hören. Sie löst sich von Marianne, um sich von seinem Tod selbst zu überzeugen. Zittrig streckt sie ihren unverletzten Arm aus, um ihre bleichen Finger an seinen Hals zu legen. Es ist vorbei...es ist endlich vorbei. Jetzt kann sie endlich in ihr altes Leben zurück. Voller Erleichterung lächelt sie ein letztes mal, bevor sie dem Agenten bewusstlos in die Arme fällt. Chloe rennt zu ihrer Freundin und drückt sie an sich. Sie will einfach für sie da sein und beschützen, solange der Notarzt noch nicht eingetroffen ist.

...

Ein regelmäßiges Piepsen holt Altena in die Realität zurück. Benommen öffnet sie die Augen, um in drei vertraute Gesichter zu blicken. Chloe lächelt einmal sehr breit, nachdem ihre beste Freundin aufgewacht ist. „Hey...wie geht es dir?" Die Weißblonde macht einen verwirrten Eindruck, was die Auswirkungen der Vollnarkose sind. „...Wo...bin...ich...?" Sie bewegt ihre Augen leicht hin und her. „Du bist im Krankenhaus", antwortet Chloe sanft. Altena hebt ihren Arm, der von einem Verband und einer Schiene fest umschlossen ist. „Das haben sie erst vor ein paar Stunden operiert. Anscheinend warst du schlimmer verletzt als zuerst angenommen." Sie senkt ihn wieder. „...Was ist...mit ihm...?"

„Der Notarzt hat seinen Tod bestätigt. Er wird dich nie wieder belästigen." Altena fällt ein Stein vom Herzen. Endlich ist dieser Alptraum vorbei. Sie ist so glücklich, dass sich Tränen in ihren Augen bilden. Nie wieder wird sie so dumm sein und einfach blind einem Verrückten das Leben retten. „Wir haben eine kleine Überraschung für dich." Marianne gibt ihr ein kleines Geschenk. Ungeschickt macht Altena es auf und lächelt dann breit. „Sie wurde ja doch abgegeben..." Es ist ihre Handtasche – inklusive Handy und Schlüssel. Die Weißblonde könnte in diesem Moment wirklich heulen. Alles ist noch da, sogar der kleine Handspiegel, den sie sogleich herausnimmt. Sie klappt ihn auf und schaut sich im Spiegel an. Der rote Knutschfleck ist noch immer zu sehen. „Schau ihn dir nicht mehr an. Er wird bald gar verschwunden sein." Altena legt den kleinen Handspiegel in ihre Tasche zurück. „Ich bin froh, dass Able tot ist. Dennoch hätte ich gerne gewusst, was ihm durch den Kopf gegangen sein mag." Altena lächelt Chloe liebevoll an. „...Endlich ist alles vorbei. Jetzt muss ich nur noch gesund werden." Manchmal mag das Schicksal wirklich grausam sein. Doch das Leben hat ihr eine wertvolle Lektion erteilt. Eine Woche später wird Altena aus dem Krankenhaus entlassen. Es wird noch eine Weile dauern, bis ihre körperlichen Wunden verheilt sind und danach wird es für sie Zeit endlich ein neues Leben anzufangen.


Allein mit einem MonsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt