Der Mächtige ist gefallen

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Lautlos schweben weiße Schneeflocken vom Himmel herunter. Altena heftet ihren völlig verstörten Blick an einer der gefrorenen Tränen fest und folgt ihr mit den Augen, bis sie den Boden erreicht hat. Dort angekommen, nimmt sie eine dunkelrote Farbe an. Blut. Überall war Blut. Voll angewiderter Abscheu, zieht er seine pechschwarze Klingenwaffe aus seinem letzten Opfer und lässt es achtlos zu Boden fallen. Nun lenkt er seine Aufmerksamkeit auf sie. Altena weiß, dass sie die nächste sein wird. Langsam geht er auf sie zu – bereit um ihr den Kopf abzuschlagen. „Nein, geh weg!" Sie ist vor Angst gelähmt, sodass ihre Beine nicht gehorchen wollen. Sie will aufstehen und davonlaufen. Sie öffnet den Mund und will schreien, doch es kommt kein Ton heraus. Nur noch wenige Schritte fehlen, bis er sie erreicht hat. Nie im Leben hätte sie gedacht ihm einmal persönlich zu begegnen. Altena hat immer nur im Fernsehen von ihm gehört. Able, ein gefühlskaltes Monster, das alles angreift, was ihn in den Weg kommt. Endlich löst sich ihre Paralyse, sodass sie im letzten Moment gerade noch zur Seite rollen kann und sein Angriff sie um Haaresbreite verfehlt. Able flucht einmal leise. Es gefällt ihm nicht, dass sein Hieb ins Leere gegangen ist. Ohne darüber nachzudenken steht Altena auf, lässt alles stehen und liegen und haut einfach ab. Ganz egal wohin, Hauptsache weg von hier.

Panisch läuft sie vor ihm davon und biegt in eine Seitenstraße ein. Doch das Monstrum wird sie nicht entkommen lassen. Able folgt ihr. Altena ist schleierhaft wie er ihre Spur verfolgen kann, doch schon bald kann sie Schritte auf sich zukommen hören. Natürlich kann es sich auch um einen harmlosen Passanten handeln, doch ihre nackte Angst lässt sie paranoid denken. Sie hat noch nicht einmal richtig ausgeatmet, biegt sie erneut um die Ecke und flieht in eine weitere Gasse hinein. „Oh nein...bitte nicht..." Altena starrt auf eine massive Mauer. Sie steckt in einer Sackgasse fest. Solange sie noch Zeit hat, sollte sie den Rückwärtsgang einlegen und sich einen neuen Fluchtweg suchen. Doch kaum hat sich die junge Frau umgedreht, kann sie ein böses und finsteren Lachen hören. „...Sieh an...die kleine Maus sitzt in einer Falle..." Altena bleibt für eine Nanosekunde das Herz stehen. Regen setzt ein, der ihr hellblondes, beinahe weißes Haar komplett durchnässt. „Hau ab! Verschwinde von hier!" Mit jedem Schritt den er näher kommt, geht sie einen zurück. „Wieso tust du das? Lass mich in Ruhe, du Monster!" Able lächelt nur einmal müde als sie versucht ihn zu vertreiben. „Du bist auch nicht besser als all die anderen. Sich feige zu verstecken und vor mir wegzulaufen weckt in mir den Wunsch euch alle niederzuschlagen." Altena empfindet gerade Todesangst. Sie kann die Mauer im Rücken spüren und sitzt nun endgültig fest. Sie hat keine Möglichkeit mehr, um Able jetzt noch zu entkommen. Allerdings fällt ihr auf, dass sein Gang inzwischen schwankend und träge geworden ist. Erst bei genaueren hinsehen fällt ihr auf, wie viele Kugeln eigentlich in seinem Körper stecken. „Das kann doch nicht sein...wie kannst du in dem Zustand überhaupt noch leben?"

Plötzlich kann sich Altena an die Einheiten erinnern, die schwere Geschosse auf ihn abgefeuert haben und dennoch spielend leicht von ihm auseinandergenommen wurden. Able hat sie alle ohne mit der Wimper zu zucken niedergemäht und das trotz schwerer Schäden im Kleinhirn. Von früheren Berichten weiß die Weißblonde noch, dass er äußerst zäh sein soll. Aber das er so zäh ist hätte sie nun wirklich nicht gedacht. Ein letzter Schritt, dann hat Able sie erreicht. „...Noch irgendwelche letzten Worte?" Altena starrt ihn bewegungsunfähig und unter Tränen einfach nur an. Sie schluckt ein allerletztes mal. „...Du hast...so wunderschöne Augen...", presst sie leise hervor. Dieser äußerst unpassende Satz scheint Able tatsächlich für einen kurzen Moment zu verwirren. Damit hat er nun wirklich nicht gerechnet. Allerdings ist es dieser äußerst kurze Moment, den Altena ausnutzt. Mit aller Kraft stößt sie ihn zur Seite und schafft es tatsächlich an ihm vorbeizukommen und aus der Gasse zu rennen. Able flucht laut und nimmt sofort erneut die Verfolgung auf. „Du elendes Miststück, du entkommst mir nicht." Altena kann regelrecht die Wut in ihm brodeln spüren. Anscheinend hat sie ein geheimes Talent vor anderen wegzulaufen, denn schon bald kann sie seine Schritte nicht mehr hören. Schwerfällig kommt sie bei einem kleinen Brunnen zum stehen und muss dringend nach Atem ringen. Noch ein paar Meter weiter und sie wäre nicht an einer Stichverletzung, sondern an Sauerstoffmangel gestorben. „...Ich glaub....ich hab ihn....abgehängt....", keucht sie sichtlich erschöpft. Für einen kurzen Moment, gönnt sie sich eine kleine Verschnaufpause, schreit im nächsten aber wieder laut auf, als sich plötzlich das Gesicht von Able im Brunnenwasser spiegelt. „Hab ich dich..."

Altena bückt sich blitzschnell, um den tödlichen Stoß nochmals zu entkommen. Man sieht Able richtig an wieviel Spaß es ihm macht mit seiner Beute zu spielen. So wie eine Katze mit einer Maus spielt, bevor sie diese auffrisst. „Du bist ein flinkes, kleines Ferkelchen, das muss ich dir lassen..." Ihr ganzer Körper ist mit Adrenalin vollgepumpt, doch lange wird Altena nicht mehr durchhalten. Sie ist bereits an ihre Grenzen gekommen. Ihre Beine fühlen sich mittlerweile wie Wackelpudding an und können sie kaum noch tragen. Vielleicht sollte sie einfach aufgeben und ihr Schicksal akzeptieren. Sie kann nicht mehr. Ihre letzten Kraftreserven sind verbraucht. Able kommt mit erhobenen Arm auf sie zu, bereit um sie auszulöschen. Eine letzte Träne fällt, bevor Altena die Augen schließt und auf ihr bevorstehendes Ende wartet. Doch kurz bevor er sie erreicht hat, beginnt Able stark zu schwanken. Plötzlich lässt er seine Waffe fallen, die sich im Nichts auflöst. Erschrocken öffnet sie ihre meerblauen Augen wieder und stößt in der nächsten Sekunde einen lauten Schrei aus. Anscheinend hat Able seinen schwer verletzten Körper doch zu sehr beansprucht. Er fällt auf sie drauf, reißt sie zu Boden und begräbt sie unter sich. Bei dem schwerfälligen Aufprall hat sie sich den Kopf gestoßen, weshalb sie einige Augenblicke stark benommen ist. Erst nachdem sich ihr Gehirn von dem Schlag erholt hat, realisiert sie, was eigentlich gerade passiert ist. „So ein verdammter...", flucht sie leise. Altena versucht Able von sich herunterzuschieben, doch mit seinen fünfundachtzig Kilo hat sie das Gefühl ein Wasserbüffel würde auf ihr liegen.

Sie bringt momentan einfach nicht die Kraft auf, um ihn loszuwerden. Der kalte Regen der ständig auf sie einprasselt, macht die Situation auch nicht besser. Unter seinem Gewicht fällt ihr das Atmen schwer, doch zumindest stellt er keine Gefahr mehr dar. Altena legt zwei Finger an seinen Hals und kann einen schwachen Puls bei ihm fühlen. Er ist also nur ohnmächtig und nicht tot. Egal wie zäh Able auch sein mag. Am Ende ist er ebenfalls der Erschöpfung zum Opfer gefallen. Die Weißblonde stöhnt einmal erleichtert. Solange er ausgeknockt ist versucht er auch nicht sie umzubringen. Allerdings wird Able nicht ewig bewusstlos bleiben, also muss sie einen Weg finden, um ihn so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Angespannt legt sie ihre Hand auf seinem Rücken ab. Seine dunkle Haut fühlt sich warm und rau an. Zumindest muss sie dank seiner Körperwärme nicht frieren. Wobei sie sich auch etwas besseres vorstellen kann, als mit einem verrückten Massenmörder zu kuscheln. Unter vereinzelten Strähnen seines nassen, schwarzen Haares, kann sie etwas seltsames erfühlen. Sie schiebt es zur Seite und tastet über die kleine Stelle. Es ist eines der Einschusslöcher. Noch immer neue Kraft tankend, beginnt sie damit über seinen Rücken zu streichen und dabei die vielen Schusswunden zu zählen. „Einundzwanzig...zweiundzwanzig...dreiundzwanzig..." Altena zuckt einmal kurz zusammen. Sie könnte schwören, dass Able sich gerade bewegt hat. Was zur Hölle macht sie da eigentlich? Darauf warten, dass er wieder zu sich kommt und ihn direkt dazu einladen da weiterzumachen wo er aufgehört hat? Alleine schon weil sie ihn befummelt hat gehört sie schon verprügelt.

Unter großer Anstrengung, legt sie beide Hände an seine Schultern und versucht sich unter ihm hervorzuzwängen. Sie dreht und windet sich wie ein Aal, bis der massige Körper endlich ein Schlupfloch zulässt und sie es tatsächlich schafft unter ihm hervorzukommen. „Na endlich..." Der ständige Druck auf ihrem Brustkorb ist endlich weg, worauf sie wieder normal atmen kann. Allerdings tun ihr dafür die Knochen ganz schön weh. Altena fühlt sich, als wäre sie von einer Dampfwalze überrollt worden. Ihr nächster Gedanke besteht darin die Beine in die Hand zu nehmen und von hier zu verschwinden. Allerdings hält ihr Gewissen sie davon ab ihn so einfach liegen zu lassen und Reißaus zu nehmen. Langsam kommt sie näher und stupst ihn vorsichtig an um zu testen, ob er noch immer ohne Bewusstsein ist. Able rührt sich nicht. Unter enormer Kraftanstrengung, braucht sie mehrere Versuche, um ihn auf den Rücken zu drehen. Sie legt ihr Ohr auf seine Brust und kann seinen Herzschlag hören. Er ist sehr schwach, aber vorhanden. Altena stöhnt leise. Jeder andere wäre an ihrer Stelle aufgestanden und davongelaufen. Doch bei ihr ist es etwas gänzlich anderes. Plötzlich sorgt sie sich um den Mann, der sie vor ein paar Minuten noch um die Ecke bringen wollte. Das ist so typisch für Altena. Sie hasst es einfach nur wenn Vernunft und Gewissen sich nicht einig sind. Entweder ganz oder gar nicht. Gehen oder bleiben. Doch lange sollte die Weißblonde nicht mehr darüber nachdenken. Sie muss eine Entscheidung treffen.

Allein mit einem MonsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt