Eine unerwartete Wendung

81 6 0
                                    

Altena weicht seinem Blick aus, nachdem er sie zu dieser Sache aufgefordert hat. „...Ich...ähm..." Sie umarmt sich selbst und fürchtet sich davor. „...Will nicht...", fügt sie noch hinzu. „Und du glaubst wirklich mich interessiert das? Wird's bald?" Die Weißblonde zuckt stark zusammen, als er sich so im Ton vergreift. „...Aber...was ist mit deinem Bein...? Das schaffst du doch bestimmt nicht..." Able schnauft einmal wütend. „Das ist ja wohl nicht dein Problem", knurrt er. „Schon, aber ich will trotzdem nicht." Nur eine Sekunde später schnellt er nach vorne, um ihr Handgelenk unsanft zu umfassen. Sofort schießen ihr die schrecklichen Bilder ihres nächtlichen Traumes durch den Kopf. Sie kann den Schmerz regelrecht schon fühlen. „...Ist ja gut, ich mach ja schon!" Total schlecht gelaunt lässt er sie wieder los. „Ich habe keine Lust mehr noch länger zu warten, also beeil dich gefälligst." Für Altena ist das ein wahr gewordener Alptraum. Doch wenn sie nicht kuscht, wird er seinen Dickschädel mit Gewalt durchsetzen. Wie konnte sie dieses Ungeheuer nur als schönen Mann bezeichnen? Dennoch ist ihr das eine Lehre für ihr ganzes Leben gewesen. Könnte man die Zeit zurückdrehen, würde sie ihn einfach liegen lassen und davon laufen. Das kommt davon, wenn man immerzu an das Gute von anderen Menschen glaubt. Wenn er überhaupt ein Mensch ist. Widerwillig steht sie vom Bett auf und sucht ihre wenigen Sachen zusammen. Vor lauter Angst wagt sie es nicht zu trödeln, während sie ihre Schuhe und ihre Jacke anzieht. Able hat den Schlüssel unter dem Kopfkissen hervorgeholt. Verzweifelt presst die Weißblonde ihre Lippen zusammen. Das war es dann mit ihrem geplanten Fluchtversuch gewesen.

Er steckt den Schlüssel in das Schloss, um die verschlossene Tür zu entriegeln. „Gib mir deine Hand", befiehlt er. Sie gehorcht und kann seinen festen Händedruck spüren. Zusammen verlassen sie das Zimmer. Able braucht etwas länger als gewöhnlich, bis er die Treppen nach unten gestiegen ist. Noch immer kann er sein Bein nicht voll belasten. Trotzdem ist Altena extrem erstaunt, wie schnell seine Verletzungen doch verheilt sind. Ohne ein Wort zu sagen, wirft er dem Besitzer den Schlüssel entgegen, als dieser ihm zufällig über den Weg läuft. Natürlich fragt er die beiden, ob sie auschecken wollen, doch Able ignoriert ihn. Schon bald haben sie das Gelände verlassen. Altena bleibt nichts anderes übrig, als sich seinem Willen zu beugen. „Also dann, du führst, kleines Mäuschen. Und denk nicht einmal daran abzuhauen..." Er festigt seinen Griff nochmals um ihr zu zeigen, dass Widerstand zwecklos ist. Sie seufzt einmal frustriert und beginnt damit ihn zu führen. „Keine falschen Spielchen, sonst kannst du was erleben", grollt er leise. Erneut presst sie ihre Lippen fest zusammen. Trotz all seiner Warnungen denkt sie darüber nach, wie sie aus dieser Hölle doch noch entkommen kann. Da sie ihre Handtasche und somit auch ihren Autoschlüssel verloren hat, müssen sie auf die Straßenbahn zurückgreifen. Able ist nicht dumm. Ironischerweise hat er sich die Kleider angezogen, die Altena ihm gekauft hat. So erregt er weniger Aufmerksamkeit.

So wie es aussieht scheint er sich auch keine Sorgen darüber zu machen in der Öffentlichkeit von jemanden erkannt zu werden. Altena will eigentlich gar nicht wissen, wie viele Menschen durch ihn schon ihr Leben verloren haben. Genauso wie sie sich fragt, warum es ausgerechnet sie erwischt hat. Able hat seinen Arm um ihre Schulter gelegt, da sie beide Hände braucht um die Fahrscheine zu ziehen. Mit der Straßenbahn geht es quer durch die Stadt, bis an die Endstation. „Versuchst du etwa Zeit zu schinden?" Der bedrohliche Unterton in seiner Stimme ist wahrlich nicht zu überhören. „...Nein...", antwortet sie knapp. „Wirklich nicht..." Der Schwarzhaarige hat ihre Hand wieder fest gepackt. Zusammen müssen sie noch ein ganzes Stück laufen, doch plötzlich wird sie ganz unerwartet von jemanden angesprochen. „Altena?" Sofort erstarrt sie und bleibt stehen, bevor sie sich in die richtige Richtung dreht. Es ist Chloe, ihre beste Freundin. Sie grinst die Weißblonde verschmitzt an. „Daher weht also der Wind, du willst Zeit mit deinem neuen Freund verbringen. Kein Wunder, dass du meine Anrufe ignoriert hast." Able drückt ihre Hand einmal sanft. Er erlaubt ihr kurz mit dem Mädchen zu reden. „Äh...ja...tut mir echt leid." Sie lacht einmal nervös. „Bist du böse auf mich?"

„Nee, wieso auch? Ich kann das verstehen, ist doch ganz normal. Ich an deiner Stelle würde auch Zeit mit meinem Freund verbringen wollen. Trotzdem hättest du es mir sagen können. Wo habt ihr euch denn kennengelernt?" Verdammt – sie braucht eine Ausrede und zwar schnell.

Plötzlich löst Able seine Hand von ihr und legt ihr den ganzen Arm um die Schulter. „Sie hat mich beim einkaufen um Hilfe gebeten. Nicht wahr, mein kleines Mäuschen?"
„J...Ja...du hast wie immer Recht..." Chloe pfeift einmal. „Das ist so typisch für dich. Ich meine, sieh doch mal wie groß er ist. Ein echter Riese im Gegensatz zu dir." Altena grinst einmal schief. Sie spürt, dass Able weitergehen will. „Wenn ich mir das so überlege, dann habe ich gar nicht gewusst, dass du auf dunkelhäutige Kerle stehst." Die Weißblonde schluckt einmal bitter. „Nun, ich...stecke eben voller Überraschungen...du kennst mich ja. Ach übrigens...wie geht es denn eigentlich deiner Blumenwiese?" Chloe schaut im ersten Moment überrascht, lächelt dann aber. „Sehr gut. Sie wachsen und gedeihen." Die beiden Freundinnen verabschieden sich voneinander. Ihre beste Freundin sieht ihr einmal lange nach und kramt dann ihr Handy aus ihrer Handtasche heraus. Sie wählt ziemlich eilig eine Nummer, um ihren eigenen Freund anzurufen. „Marcus, ich bin's. Ich habe Altena gerade auf der Straße mit so einem komischen Typen getroffen. Sie steckt in Schwierigkeiten. Sie hat das Codewort gesagt." Genau deswegen ist die Weißblonde so nervös. Able hat noch immer seinen Arm um sie gelegt und läuft neben ihr her, als ob es das normalste auf der Welt wäre. Natürlich fragt sie sich, warum ihn niemand erkannt hat, obwohl im Fernsehen sooft von ihm berichtet wurde. „Du zitterst. Ist dir etwa kalt?" Er grinst und drückt sie etwas näher an sich. „Besser?" Sie nickt nur, als sie an einem älteren Ehepaar vorbeigehen. Insgeheim ist sie einfach nur froh, dass er ihren Trick nicht durchschaut hat. Nun hofft sie, dass Chloe so schnell wie möglich die Polizei benachrichtigt und man sie aus dieser Hölle holt. „Wir sind da..."

Able hat sie dazu gezwungen, ihn in ihr Zuhause zu führen. Das ist für sie ein wahr gewordener Alptraum, denn ihre Wohnung hat ihr immer Zuflucht und Schutz geboten. „Mach die Tür auf", knurrt er. „...Geht nicht...ich habe meinen Schlüssel verloren..." Able schnauft einmal genervt. Er macht keine halben Sachen, weshalb er die Haustür einfach mit roher Gewalt aufbricht. „Na also, geht doch..." Widerwillig steigt sie ein paar Treppen nach oben. Altena bleibt vor einer Tür im dritten Stock stehen. „Ähm..." Sie weiß, dass das ein wirklich erbärmliches Versteck ist, aber sie hebt ihren Fußabtreter hoch, unter dem ein Ersatzschlüssel für ihre Wohnung versteckt ist. Die Weißblonde sagt nichts. Sie will aber nicht, dass Able sich Zutritt in ihre Wohnung verschafft. Doch wenn sie sich weigert, dann wird er sich diesen mit Gewalt holen und zusätzlich wird sie nur weitere Schläge kassieren. Noch immer bereut sie, dass sie ihm geholfen hat. Nun hat sie den Salat und muss das Monster in ihre geheiligte Zuflucht lassen. Altena hat wirklich nur eine recht kleine Wohnung. Bestehend aus einem Wohnzimmer, einem Schlafzimmer, ein Bad und eine Kochnische. „Das ist alles? Nicht gerade beeindruckend", spottet er. Able hält sofort die Hand auf. „Schlüssel", fordert er. Sie kann seinen Blick sehen. Er ist so kalt, dass sie ihm diesen ohne Widerstand aushändigt. Er sperrt die Tür wieder ab und steckt sich den Schlüssel in seine Hosentasche. Augenblicklich macht er sich bei ihr breit und legt die Beine auf dem Sofa hoch. „Kaffee", fordert er sofort.

Altena schießt der Schmerz wieder durch ihre Finger. Wieso hat sie diese vor Chloe versteckt? Das erinnert sie wieder daran, wie brutal Able vorgeht, also kuscht sie lieber vor ihm und beginnt damit in der Küche einen frischen Kaffee zu kochen. Zwei Minuten später stellt sie ihm eine Tasse mit dem schwarzen Gold auf den Tisch. Able greift nach dem Gefäß und trinkt davon, verzieht aber sofort angewidert das Gesicht und spuckt ihn direkt wieder aus. „Das ist ekelhaft", faucht er. „Hab ich dir nicht gesagt du sollst ihn doppelt filtern?" Sie wird leichenblass im Gesicht. „Aber...das habe ich...", piepst sie leise. Er mustert sie einmal feindselig. „Komm her..." Altena schluckt einmal. Alle ihre Instinkte raten ihr dazu es nicht zu tun, doch ihre Beine bewegen sich von allein. Sie weiß ganz genau, dass er ihr nun das heiße Getränk über den Kopf schüttet. Überraschenderweise hält man ihr stattdessen die Tasse hin. „Probier", fordert er sie auf. Zaghaft nimmt sie den Kaffee entgegen und trinkt davon. Sie verzieht dabei auch das Gesicht. „Igitt...der ist wirklich eklig..." Angewidert schüttet sie das ungenießbare Gesöff weg und versucht herauszufinden, warum er so widerlich schmeckt. Die verantwortliche Quelle ist schnell gefunden. Die gemahlenen Kaffeebohnen sind schlecht. Altena wechselt sie aus, reinigt die Maschine und brüht dann einen neuen Kaffee auf. Nervös reicht sie ihm die neue Tasse und diesmal ist er zufrieden. Able beginnt durch ihre Wohnung zu wandern und reißt dabei sämtliche Schubladen und Schränke auf. Er durchwühlt ungeniert ihre privaten Sachen, wobei er ein paar sehr interessante Dinge findet. Alles was Altena dagegen tun kann, ist hilflos dabei zuzusehen.

In der darauffolgenden Nacht kann sie nicht schlafen. Genau wie in dem Motelzimmer hat Able sie ins Bett gezwungen, wo sie von ihm als Seitenschläferkissen missbraucht wird. Es fühlt sich gut an wieder im eigenen Bett zu liegen, allerdings könnte sie auf seine Anwesenheit wirklich gut und gerne verzichten. Altena seufzt einmal. Sie fragt sich wirklich was in seinem Kopf vor sich geht. Stundenlang tut sie nichts anderes außer die Wand anzustarren, bis sie dann doch vom Schlaf eingeholt wird. Bevor sich Able hingelegt hat, hat er den Schlüssel aus seiner Hosentasche genommen und ihn irgendwo in ihrer Wohnung versteckt. Jedoch wird er am nächsten Morgen eine böse Überraschung erleben, denn Altena hat es zum ersten mal geschafft, sich aus seinem nächtlichen Griff zu befreien. Sie ist weg. Sofort schießt er nach oben und kontrolliert, ob die Tür noch abgeschlossen ist. Sie ist fest versperrt, also eilt er zähnefletschend ins Wohnzimmer. Da liegt sie – auf dem Sofa in eine Decke eingekuschelt. Sie schläft. Auf dem Esstisch steht ein fertig angerichtetes Frühstück mit einer Tasse Kaffee auf einem Stövchen. Doppelt gefiltert und extra stark aufgebrüht. Sein wuterfüllter Körper entspannt sich langsam wieder. Er setzt sich an den Tisch, um zuerst den Kaffee zu probieren. „Hmm...das kleine Mäuschen lernt wirklich schnell." Vielleicht sollte er sie noch härter bestrafen, wenn sie einen Fehler macht. Immerhin scheinen seine Bestrafungen durchaus Wirkung zu zeigen.

Eigentlich hatte er ja den Wunsch sie einfach nur abzumurksen, doch nun hat Able wirklich Gefallen daran gefunden sie zu seiner eigenen Belustigung zu terrorisieren. Es wirkt beinahe so als wolle er austesten, wie viele Schläge sie von ihm noch einstecken kann. Dennoch muss er zugeben, dass sie ihn teilweise auch beeindruckt hat. Sie ist die erste und Einzige gewesen, die sich je mit ihm beschäftigt hat. Die es gewagt hat ihm mit Klebeband den Mund zuzukleben. Solch einen Mut kennt er von den Menschen gar nicht. Oder vielleicht ist es auch einfach nur Dummheit gewesen. Jedenfalls hat sie mit dieser Aktion ein kleines bisschen Respekt verdient. Auch wenn sie ihm inzwischen hörig ist – Able hat durchaus vor ihre persönlichen Grenzen auszutesten. In aller Ruhe frühstückt er erst einmal, bevor er ihr die Decke wegziehen und sie unsanft aufwecken will. Doch plötzlich stockt er und hält inne als er sieht, was sie die ganze Zeit fest umklammert hält. Es ist ein kleines, flauschiges Schäfchen. Able starrt das Stofftier an. Dieser unerwartete Anblick hat in seinem Gehirn etwas ausgelöst. Eine längst vergessene Erinnerung durchströmt ihn. Auf einer imaginären Wiese, kann er das laute Blöken von Schafen hören. Kurz wird er in eine längst vergangene Zeit zurückversetzt, in der er noch nicht den Verstand verloren hat. Plötzlich erinnert er sich wieder. Es war der Verrat seines eigenen Bruders gewesen, was ihn zu einem Monster gemacht hat. Der bestialische Schmerz und die Narben auf seiner Seele sind daran Schuld gewesen. Altena rollt sich enger zusammen, da sie zu frieren beginnt. Schweigend deckt Able sie wieder zu. Er lässt sie tatsächlich weiterschlafen. Zwar hat sie es nicht mitbekommen, doch in seinem Kopf hat gerade eine unerwartete Wendung stattgefunden.


Allein mit einem MonsterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt