Abgeschleppt

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Kaum hatte sie ihre Pumps von ihren Füßen gezogen, kam auch schon ihre Mitbewohnerin um die Ecke.
"Hey, Kahleesi. Hattest du einen schönen Tag?", fragte sie, als sie sich runter beugte und ihre Hand ausstreckte.
Kahleesi war ihre Katze. Eine türkisch Angora in schwarz-weiß und ihr ganzer Stolz. Ihren Namen verdankte sie der Tatsache das Romina ein riesiger Fan von Game of Thrones gewesen war. Sie konnte sich gar nicht erinnern, wie oft sie alle Staffeln geschaut hatte. Fünf mal, vielleicht auch sechsmal. Sie wusste es nicht. Es reichte jedenfalls aus, das sie jede Folge und jeden Namen der Darsteller auswendig kannte.

Nachdem sie ihrer Katze ein paar Streicheleinheiten gegönnt hatte, stand sie auf und tauschte ihr Bürooutfit, gegen einen warmen Sweater und eine Jogginghose ein. Ganz so sehr unterschied sie sich dann doch nicht von Krümel. Auch sie mochte es, sich nach der Arbeit in gemütlichen Klamotten auf die Couch zu fläzen.
"Hast du Hunger, mein Schatz?".
Ja, natürlich sprach sie mit ihrer Katze. Wer tat das nicht? Auch wenn es wohl wirklich Menschen gab, die es merkwürdig fanden. Für Romina war Kahleesi ein Teil ihres Lebens, eine Mitbewohnerin und Freundin.
Als sie in die Küche ging, tippelte Kahleesi ihr hinterher. Manchmal glaubte Romina, sie sei ein Hund in einem Katzenmantel. Sie wich ihr kaum drei Meter von der Seite und wenn sie sich auf die Couch legte, dauerte es keine Minute, dann hüpfte der flauschige Vierbeiner zu ihr hoch, um zu schmusen. So oft passierte es, das sie aneinander gekuschelt auf dem Sofa einschliefen.
Seit vier Jahren hatte sie ihren Liebling mittlerweile an ihrer Seite. Bereits als sie noch bei ihren Eltern auf dem Dorf gelebt hatte, war sie ihre treue Begleiterin.
Sie füllte den Napf ihrer Katze, holte sich aus dem Kühlschrank die Schüssel Salat, der vom Vortag übrig geblieben war und verzog sich auf die Couch.
Während sie aß, zappte sie sich durch das Fernsehprogramm. Ein Film lief, den sie zwar bereits kannte, aber trotzdem gerne nochmal schauen wollte. Als sie ihre leere Schüssel wegstellte, war es eine Art Startsignal für Kahleesi. Sofort hüpfte sie auf das Sofa und machte es sich auf Rominas Schoß bequem. In einer Hand eine Flasche Bier, die andere in ihrem Fell vergraben, genoss sie den Feierabend und die Kuschelzeit.

Es war bereits beinah Mitternacht, als sie den Fernseher ausschaltete und sich bettfertig machte. Kahleesi lief ihr natürlich hinterher und lag schon im Bett, als Romina das Schlafzimmer betrat.
Manchmal dachte sie daran, ihr Bett gerne auch mal wieder für eine Nacht mit einem Mann teilen zu wollen. Als sie in der Dunkelheit an die Decke starrte, überlegte sie, wie lange es her war, dass sie das letzte mal einen Mann im Bett hatte. Seit sie nach Hamburg gezogen war, hatte sie nur ein paar Affären und One-Night-Stands gehabt. Sie wollte keine Beziehung und sich erst recht nicht verlieben. Sie hatte einen Plan, den sie unter keinen Umständen aus den Augen verlieren wollte. Aber der letzte Sex war einfach viel zu lange her. Womöglich fand sie auf der Party jemanden, der aufgeschlossen für etwas unverbindliches war. Nur Sex, keine Gefühle, nichts, was ihren Plan in Gefahr brachte.
Sie dachte an Tarik, bevor sie ihre Augen schloss. War er ein Kandidat für ihren Millionärsplan? Seine dunklen Haare, mit den Locken und dazu diese unglaublich leuchteten grünen Augen. Auf ein bisschen Spaß mit ihm würde sie sich in jedem Fall einlassen.
"Verdammt, Romina. Reiß dich mal zusammen." Sie rief sich selbst zur Ordnung und zog sich in ihre Decke über den Körper.
Seufzend schloss sie die Augen und drehte sich auf die Seite.

~~~

Romina blickte zufrieden auf ihre Hände.
„Danke, Jessi. Die sind mal wieder toll geworden." Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ihre Nagelfee war einfach eine Göttin.
„Sehr gerne, Liebes. Jetzt hast du erstmal wieder Ruhe".
Mit den Worten umarmten sich die Frauen und Romina verließ, nachdem sie bezahlt hatte, den Laden.
Als sie an ihrem Parkplatz ankam, schaute sie sich verwundert um. Wo war ihr Auto? Sie hatte genau dort, wo sie stand, geparkt, doch es stand nicht mehr da. Suchend lief sie die Straße auf und ab, überlegte ob sie sich vielleicht vertan hatte, aber sie war sich sicher, das sie genau an diesem Platz ihren alten grauen Audi A3 geparkt hatte. Wieder sah sie auf das Straßenschild. Sie war richtig.
„So eine verfickte Scheiße", fluchte sie laut. Ein Mann der an ihr vorbeiging, drehte sich erschrocken zu ihr um, aber sie beachtete ihn nicht weiter.
„Wo ist mein verdammtes Auto?".
Genervt trat sie gegen einen Pfosten am Straßenrand.
„Abgeschleppt", rief der Mann, den sie vor wenigen Minuten mit ihrem Ausbruch erschreckt hatte.
„Nein...Nein...ich stehe doch nicht im..." Mit offenem Mund sah sie im Wechsel zwischen dem Mann und dem Parkverbotsschild hin und her.
„Das stand da vorhin noch nicht", hielt sie ihren Finger zu dem Schild und sah den Fremden mit großen Augen an.
„Das steht da schon so lange, wie ich hier wohne". Die Worte des Mannes ließen Übelkeit in ihr aufkommen.
„Was mache ich denn jetzt?". Sie war den Tränen nah, als sie sich gegen eine Hauswand lehnte und verzweifelt im Internet nach einer Anschrift eines Abschleppdienstes suchte, der für diese Gegend zuständig war, aber sie wurde nicht fündig.
„Du musst Abschleppdienst Meier googeln, aber beeil dich besser, die sind nur noch bis 18 Uhr da". Sie sah dem Mann nach und schnaufte.
„Danke".
Sie blickte auf ihre Uhr am Handgelenk. 17:21. Sie fragte sich, ob sie es zu Fuß dorthin schaffte. Sie schob ihr Handy zurück in ihre Tasche und stieß sich von der rauen Wand ab. Das sollte sie schaffen!

Keine zwei Schritte später prallte sie gegen etwas Hartes und stürzte auf ihren Hintern. Als sie aufblickte, sah sie was oder besser gesagt wer sie da gerade umgerannt hatte. Es war das klassische Bild, das man in Hamburg Tag für Tag sah.
Menschen die es eilig hatten, meistens, wie in diesem Fall auch, mit Handy am Ohr und keinen Sinn für die Mitmenschen drum herum.
An diesem Tag hatte Romina echt das große Los gezogen und scheinbar bei allem hier gerufen.
"Bleib kurz dran", sagte der Typ, blieb stehen und reichte ihr seine Hand, um ihr aufzuhelfen.
"Kannst du nicht aufpassen, wo du hinläufst?", fauchte sie ihn an. Sein Erscheinungsbild schreckte sie ein wenig zurück, aber sie ließ es sich nicht anmerken. Dann stand sie, seine Hand ignorierend, auf und schob eine Strähne, die sich gelöst hatte, zurück hinter ihr Ohr. Sie klopfte sich den Staub von ihrem Hintern und schaute dann in die blausten Augen, die sie je gesehen hatte.
Er hob entschuldigend die Hände und sprintete frech grinsend weiter, ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen. Zumindest nicht zu ihr.
"Bleib ruhig, ich bin gleich da", hörte sie ihn ein wenig atemlos ins Telefon keuchen. Dann war er auch schon um die Ecke verschwunden und sie stand da und fragte sich ehrlich, ob der Tag noch schlimmer werden konnte.

Schniefend wischte sie über ihre Augen und zog ihr Smartphone aus ihrer Handtasche. Als sie das Display entsperrte, leuchtete ein Hinweis auf. Akku fast leer. Sieben Prozent mussten reichen, um das Abschleppunternehmen telefonisch zu bitten, auf sie zu warten, denn durch den Zusammenprall mit dem Mann, hatte sie wertvolle Minuten verloren. Gerade als sie auf Anrufen drücken wollte, tippte ihr jemand auf die Schulter und sprach sie an.
„Sorry wegen vorhin. Kann ich dir irgendwie helfen?" Erstaunt und auch ein wenig erschrocken blickte sie auf. Da waren sie wieder, diese blauen Augen. Vor ihr stand der Mann, mit dem sie zusammengeprallt war. Er musste ungefähr in ihrem Alter sein, höchstens Anfang dreißig. Besorgt sah er auf sie herab und musterte sie. In diesem Moment fiel ihr ein, was sie für einen Anblick abgeben musste. Eigentlich wollte sie längst in ihrem Minikleid und ihren teuren High Heels stecken.
Ihre langen, von Natur aus blonden Haare, hatte sie zu einem unordentlichen Knoten zusammengebunden. Ihre Jeans war an mehreren Stellen gecuttet, darüber trug sie ein Pinkes Tanktop. Ihre Nike's hatten schon bessere Tage gesehen.
Wie es in ihrem Gesicht aussah, wollte sie erst gar nicht wissen. Ihr Make-up hatte sich sicherlich wegen der Heulerei aufgelöst und ihre Wimperntusche hatte bestimmt Schlieren auf ihren Wangen hinterlassen, so viel wie sie in den letzten Minuten geweint hatte.

Only one millionnaire (Marten Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt