Familie

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Am nächsten Morgen kroch Romina aus dem Bett und zog sich ihren Bademantel über. Sie hatte Kopfschmerzen und ihr war leicht übel, aber sie hatte den gestrigen Abend sehr gut in Erinnerung. Viel zu gut.
Sie war gedemütigt worden. Ob von Tarik oder sich selbst, da war sie sich nicht ganz sicher. Aber sie wusste, dass sie ungefähr so aussehen musste, wie sie sich fühlte.
Sie setzte sich auf die Couch, zog die Knie hoch und schlang die Arme darum.
Es war doch genau das passiert, was sie sich sehnlichst herbei gewünscht hatte. Wo war also ihr Problem? Tarik war Sex pur und noch dazu unglaublich erfolgreich. Damit hatte er alle Kriterien erfüllt, die ihr bei einem Mann wichtig waren, doch das sie ihrem Ziel somit näher war, befriedigte sie nicht so, wie sie dachte, das es sein würde.
Ihre Absicht war es, eine feste Beziehung, im besten Fall sogar eine Ehe, doch war Tarik dafür der richtige Mann? Sie wollte es schaffen, ihn an sich zu binden, ihn dazu zubringen sich in sie zu verlieben. Nur dann würde ihr Plan aufgehen.

Den Vormittag verbrachte Romina damit, Fernsehen zu schauen, mit Kahleesi zu kuscheln und einfach nur nichts zu tun. Sie hatte Tarik ihre Nummer gegeben und sie würde wohl abwarten müssen, ob er sich meldete und wie es sich weiterentwickeln würde.

Es war bereits früher Nachmittag, als sie sich von ihrem Sofa aufraffte, um wie jeden Sonntag bei ihren Eltern anzurufen. Ihr Bruder Kai war es, der den Hörer abnahm.
„Hey, Romi, wie geht es dir? Was gibt es neues?", fragte er freundlich.
"Hier ist alles gut. Viel Arbeit", antwortete sie lachend.
"Und, was macht dein Plan, einen Millionär zu Daten? Oder bist du doch noch vernünftig geworden und suchst jetzt nach der wahren Liebe?". Der Tonfall, in dem Kai sie das fragte, klang neutral, als würden sie über das Wetter reden, doch Romina wusste, wie zwiegespalten er eigentlich war. Als großer Bruder, sorgte er sich natürlich um seine kleine Schwester. Er liebte sie und wollte nicht, das man ihr weh tat. Sie wusste das er ihren Plan alles andere als gut fand. Er war der Meinung, sie würde sich verkaufen und wäre sich selbst nicht treu. Er hatte seine Art damit umzugehen und Romina ihre.
Die Diskussion, ob ihre Art richtig war oder nicht, hatten sie schon unzählige Male geführt, daher beantwortete Romina seine Frage ebenso neutral, wie er sie gestellt hatte.
"Ich war gestern im H1. Ein Kunde hat mich dorthin eingeladen und es war ein schöner Abend. Er ist wirklich nett."
Das was letzte Nacht noch geschehen war, ließ sie aus. Es ging ihren Bruder nichts an, mit wem sie Sex hatte und sie befürchtete zudem, er würde es nicht sonderlich gut aufnehmen, wenn sie ihm erzählte, das sie mit Tarik in einer Seitengasse einen Quickie hatte.
"Ach, Schwesterchen." Sie hörte Kai leise seufzen.
"Nett und reich ist doch nicht alles."
"Musst du wieder damit anfangen? Ich dachte, wir hätten das geklärt?", unterbrach sie ihn bissig.
Ein erneutes Seufzen klang durch die Leitung, bevor er antwortete.
"Ist ja gut. Ich sage ja nichts mehr. Aber bitte pass auf dich auf."
"Natürlich passe ich auf mich auf. Ich hänge ja nicht in irgendwelchen gefährlichen Gegenden ab."
Sie zog seine Sorgen beabsichtigt ins Lächerliche. Er musste sich nicht um sie sorgen, sie konnte gut selbst auf sich aufpassen.
"Wie geht es Mama und Papa?", fragte Romina, bevor Kai weiter nachhaken konnte. Einen Moment lang herrschte Stille in der Leitung.
"Heute ist ein guter Tag, aber gestern..."
Kai klang so ernst, das Romina sofort alarmiert war.
"Was war gestern?"
Sie hörte wie ihr Bruder mit den Tränen kämpfte.
„Papa ging es nicht gut. Er hatte richtig schlechte Laune. Es tut weh ihn jeden Tag zu sehen und zu wissen, das es nicht besser wird. Und Mama...sie macht und tut, aber ich merke wie sehr sie mit ihren Kräften am Ende ist. Ich höre sie oft heimlich weinen...ich helfe so gut ich kann, aber auch ich weiß nicht, wie lange ich dass noch schaffe."
Schweigend nickte Romina, obwohl ihr klar war, das Kai es nicht sehen konnte. Doch sprechen ging in diesem Moment einfach nicht. Sie hatte einen Kloß im Hals, der verhinderte das Worte ihren Mund verlassen konnten.
Ihr wurde noch einmal bewusst, wie wichtig es war, den Fokus auf ihr Ziel zu richten. Sie brauchte einen Millionär und das so schnell wie möglich!

Seit ihr Vater vor knapp zwei Jahren einen schweren Schlaganfall erlitten hatte, veränderte sich Romina's Leben schlagartig. Seitdem versuchte sie alles, um ihre Mutter zu unterstützen, die neben der Pflege ihres Vater auch noch ein Hotel leiten musste. Kai hatte seinen Job gekündigt und die Aufgaben übernommen, die ihr Vater seit dem Schicksalsschlag nicht mehr machen konnte.
Der Moment, als die Ärzte mitteilten, dass Peter, wie ihr Papa hieß, nie wieder der Alte werden würde, hatte Romina bis heute vor Augen. Ihre Mutter war zusammengebrochen, während sie und ihr Bruder wie erstarrt waren und nicht begriffen, was die Ärzte erzählt hatten.
Eine monatelange Reha brachte kaum eine Verbesserung seines Zustands. Er konnte seitdem nicht reden, kaum laufen, nicht alleine essen und musste rund um die Uhr gepflegt werden.
Trotz dass das Hotel gut lief, reichte das Geld hinten und vorn nicht. Das Haus, in dem ihre Eltern wohnten, musste Rollstuhlgerecht umgebaut werden und hatte ein riesiges finanzielles Loch hinterlassen. Eine professionelle Pflegekraft konnten sie sich nicht leisten, also hatte Iris, ihre Mutter, sich entschieden, es alleine zu machen.
Romina unterstützte sie dabei, als sie noch zuhause wohnte.
Monatelang hatte sie ein schlechtes Gewissen, weil sie nach Hamburg gezogen war. Sie hatte Lotto gespielt, Überstunden gemacht und sogar einen Nebenjob begonnen, nur um ihre Familie finanziell unterstützen zu können, doch all das reichte nicht aus. Sie hatte ja auch ein eigenes Leben und musste ihren eigenen Lebensunterhalt finanzieren.

Aus Spaß sagte ihr Bruder eines Tages: „Such dir doch einem Millionär."
Sie wusste das er dies unbedacht daher sagte, doch diese Idee ließ sie nicht mehr los und so beschloss sie, es einfach zu versuchen.

Only one millionnaire (Marten Ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt