KAPITEL ZWEI
"On sunny days I go out walking
I end up on tree-lined street
I look up at the gaps of sunlight
I miss you more than anything"(mitski – francis forever)
Frühjahr 2020
Stegi bekam die Nachricht von seiner Uni vor Tim und schrieb ihm so etwas wie „Lol, das kriegen die doch nie hin" und „Immerhin ausschlafen!" und „Lasst doch ausfallen, wäre einfacher??". Tims Mail kam zwei Tage später: Informationen für alle Universitätsmitglieder über den Lehrbetrieb während der Covid-19-Pandemie. Sie trudelte drei Tage vor Semesterstart ein, als Tim bereits den Reifen seines Fahrrads geflickt hatte, nachdem es während des Wintersemesters ausschließlich Staub gesammelt hatte. Jetzt manövrierte er das Fahrrad wieder die Treppen hinab und klopfte danach an Oskars Zimmertür. (Er war ein guter Mitbewohner, und er hatte kein Interesse daran, Oskar beim Masturbieren zu erwischen, danke auch.)
„Komm rein!", rief Oskar.
Tim öffnete die Tür. Oskar saß auf der Lehne des Schlafsofas, das er nur alle Jubeljahre mal zum tatsächlichen Bett ausklappte. Eines seiner Beine hing aus dem geöffneten Fenster, das direkt hinter dem Sofa lag, und er zog an einem Joint, den er ebenfalls aus dem Fenster hielt. Um den Rauch auszuatmen, lehnte er sich mit ihm nach draußen. „Meine Uni ist online", sagte Tim. (Zumindest für einen Teil des Semesters, und die Situation konnte sich täglich ändern, und man sollte sich bereithalten, jederzeit wieder auf der Matte zu stehen. Las man jedenfalls zwischen den Zeilen der Mail, laut der sich die Uni als „Präsenzuniversität" verstand.)
Oskar lachte auf, drehte den Kopf in seine Richtung und pustete Rauch ins Zimmer. „Kriegt ihr auch Arbeitsblätter?"
„Ne. Online-Meetings und sowas. Jedenfalls ist das der Plan – Ich hab' nicht das Gefühl, dass irgendjemand schon so richtig weiß, wie das aussehen soll."
Oskar nickte. „Und?", fragte er dann, Augenbrauen leicht zusammengezogen, als erwartete er eine schreckliche Nachricht.
„Ich dachte, ich informiere dich, dass wir uns noch weiter auf der Pelle hocken." Tim fand diese Nachricht semi-schrecklich. Das hieß, dass man nicht allein Mittagessen musste, und das war doch einiges wert.
„Bald ist der Berufsschulblock vorbei", sagte Oskar mit einem Grinsen. Er drückte die Überreste des Joints in einem Aschenbecher aus, den er ebenfalls auf der Fensterbank aufbewahrte. (Tim überlegte, mal über eine Kein-Kiffen-In-Der-Wohnung-Regel zu sprechen. Ärger mit dem Vermieter war das Letzte, das sie gebrauchen konnten.) „Dann bin ich endlich wieder bei der Arbeit und belästige dich hier nicht mehr." Oskar machte eine Ausbildung als Mechatroniker, von der er erstaunlich begeistert war, solange es nicht an die Berufsschule ging. Von Schule, behauptete Oskar, hatte er mehr als genug.
„Und ich dachte, du könntest mich ablenken. Online-Uni wird bestimmt furchtbar langweilig."
„Lad doch einen Kumpel ein, aus der Uni. Ihr könnt euch zusammen bunte Bilder auf dem Laptop anschauen. Ist wie ein Filmabend."
Tim lachte. Für einen Moment dachte er über Oskars Vorschlag nach, entschied sich dann aber doch dagegen. Während der Semesterferien hatten er und seine Uni-Kumpels nicht viel miteinander zu tun; die meisten seiner Kontakte während der vorlesungsfreien Zeit waren, abgesehen von Stegi, Partys, auf die Oskar ihn mitnahm. Stegi bezeichnete dieses Phänomen als „Tims Stegifizierung", aber Tim wollte klarstellen, dass das hier komplett anders war. Immerhin hatte er Kumpels. Sie sahen sich nur nicht so unfassbar oft.
*
„Du glaubst das nicht", jammerte Stegi am Telefon, während Tim auf seinem Bett lag, Augen geschlossen, „Wir haben unser Chemielabor online gemacht, und das wäre ja okay, alles kein Problem, aber" – und bei diesen Worten seufzte er so tief, als läge die Last der Welt auf seinen Schultern – „Du solltest mal das Programm sehen, mit dem wir das machen. Ich weiß nicht, in welchem Jahrzehnt sie das ausgegraben haben. Du klickst auf Chemikalien und Bechergläser oder weiß der Teufel was, und dann klickst du darauf, wo du sie hinhaben willst. Sachen zu titrieren ist ein Minispiel, und ich wünschte, das wäre ein Witz. Titrieren ist ja sowieso schon absolut nervig, aber das..."
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Punkt Nemo [Stexpert]
FanfictionTim und Stegis Fernbeziehung läuft den Umständen entsprechend gut - Und das seit mehr als drei Jahren. Aber mit dem Beginn der Pandemie muss Tim nicht nur das ewige Vermissen aushalten, sondern das Leben selbst ist darauf bedacht, ihm zu beweisen, w...