3. Kapitel: Like Caramel on Teeth

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KAPITEL DREI

"Look into my eyes
Lock your fingers into mine
I cling to every word you say
Like caramel on teeth"

(destroy boys – sweet tooth)

Frühjahr 2020

Egal, wie viel Übung Tim in der ganzen Wiedersehen-Am-Bahnhof-Sache hatte, sie überwältigte ihn jedes Mal aufs Neue. Um ihn herum die Menschenmenge, das Quietschen der bremsenden Züge, Durchsagen (Einfahrt: ICE aus Karlsruhe auf Gleis 3), während Tim es außer Atem gerade so rechtzeitig zum Bahnsteig schaffte und gespannt beobachtete, wie sich die Türen öffneten.

Stegi sprang als einer der ersten aus dem Zug (oder sprang so gut ihm das sein übergroßer Rollkoffer ermöglichte), während Tim ihm schon entgegeneilte und ihn in eine Umarmung schlang. Der Griff des Koffers, den Stegi immer noch in der Hand hielt, bohrte sich in Tims Seite, während er ihn nah an sich heranzog.

„Ich habe dich vermisst", murmelte Stegi in Tims Schulter hinein.

Tim atmete den Geruch von Stegis Haaren so gut ein, wie das durch seine Maske möglich war. Dann zog er Stegi noch etwas näher an sich heran, bis er das Gefühl hatte, dass ihre Körper zusammenkleben mussten wie Kaugummi.

Es war Stegis leises Lachen, das ihn endlich loslassen ließ. „Ich kriege keine Luft, Tim", sagte er, aber seine Beschwerde fehlte der Biss. Er trat einen halben Schritt zurück, richtete sich und den halb auf einer Seite kippelnden Rollkoffer wieder richtig auf. Sein Lächeln strahlte bis in seine Augen, die Tim musterten: Hell, aufgeweckt, so liebevoll, dass es eines Tages Tims Herz sprengen würde.

„Ich dich auch", antwortete Tim etwas spät auf Stegis Bemerkung. Er behielt für sich, wie sehr seine Rippen noch wehtaten. Und weil er sein bestes tat, ein guter Freund zu sein, griff er den grausamen Koffergriff sogar aus Stegis Hand; genoss das Gefühl von Fingern, die die seinen streiften.

Stegis Grinsen musste noch ein bisschen breiter werden, als er den Koffer losließ und ein zweites Mal die Arme um Tims Hals schlang. „Und danke für's Abholen", sagte er, als würde Tim ihn nicht jedes Mal abholen. (Und Stegi Tim, wenn er mal nach Karlsruhe fuhr.)

„Kein Problem", sagte Tim wie immer, während ein Lachen seine Kehle nach oben kletterte. Mit seiner freien Hand griff er Stegis und drehte sich um, vom Bahnsteig Richtung Bahnhofsausgang. „Wollen wir gehen?"

„Auf jeden Fall", entgegnete Stegi, „Ich habe verdammt Hunger."

„Das trifft sich gut. Ich auch."

„Darf ich Euch auf ein Festmahl einladen?", fragte Stegi, deutete eine Verbeugung ein, während ein Kichern bereits aus ihm herausplatzte. Beim Verbeugen neben Tim herzugehen bereitete ihm eindeutig Probleme, und er stolperte beinahe über seine eigenen Füße, während er mit Tims schnellerem Tempo mithielt.

„Bei McDonalds?", fragte Tim, dem Stegis Blicke auf das Fast-Food-Restaurant am Ende des Bahnhofs nicht entgangen waren.

„Ganz recht."

„Aber ich bezahle."

„Aber dann würde ich ja gar nicht dich einladen."

„Der Gast ist König", sagte Tim und zog Stegi Richtung McDonalds.

„Ich glaube, so geht das Sprichwort nicht", protestierte Stegi.

„Du kannst mich zu etwas anderem einladen?"

Woraufhin Stegi für eine Sekunde zu überlegen schien, den Kopf leicht schief gelegt, ehe er nickte. „Alles klar. Aber dann musst du die Einladung akzeptieren."

Punkt Nemo [Stexpert]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt