Ich hasse Menschen

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Triggerwarnung: Selbstverletzendes Verhalten

Song: Scars- No Name Faces

Mika

"Lass mich dir helfen, Mika!" Noahs Worte hallen immer noch in meinem Kopf nach.
Das altbekannte Kribbeln macht sich in meinem Magen breit. Es kotzt mich an!

"Worüber denkst du nach?" Der behaarte Therapeut bringt mich zurück in den Therapieraum. "Darüber, wie kacke hier alles ist", antworte ich ihm. "Warum?", stellt er mir eine Frage, auf die ich tausend Antworten parat habe. Das Essen zum Beispiel. Es schmeckt wie in diesen heruntergekommenen Jugendherbergen, als hätte der Koch einmal vor dem Servieren rein gespuckt. "Die Mayonnaise in Ihrem Bart ist ekelig", wechsle ich stattdessen aber das Thema. Es sieht wirklich abartig aus und ich würde ihm gerne auf den Tisch kotzen, aber mein Magen ist so gut wie leer. Er wischt sich einmal verlegen über sein gekämmtes Büschel Haare am Kinn und stellt erneut die Frage: "Warum?"
Ich verdrehe die Augen und verschränke die Arme, bevor ich den Blick abwende und mich wieder mal den Büchern im Regal widme.

"Mika, ich habe gehört, dass du Fortschritte gemacht hast." Ich schnaube. Wo soll ich bitte welche Fortschritte gemacht haben? "Wie sieht es mit Freundschaften aus? Seit Daniel weg ist, gehst du allen aus dem Weg. Nicht, dass du das schon vorher getan hättest, aber ich meine, du verschließt dich nur mehr." Ich zucke mit den Schultern. Ich will keine Bekanntschaften schließen oder Freunde finden.

"Was geht Sie das an, mit wem ich verkehre oder eher mit wem ich es nicht tue?!", fahre ich aus der Haut und blicke den Therapeuten argwöhnisch an. "Es ist wichtig, dass du Freundschaften schließt." Ich schnaube. "Dass ich nicht lache!" Wütend stehe ich auf und werfe dabei den Stuhl, auf dem ich bis gerade noch saß, um. Mit einem lauten Knall kommt er auf dem Boden auf. Ich zucke zusammen und schaue mich hektisch um.

Meine Lippen fangen an zu kribbeln, gefolgt von meinen Händen und Fingern, bis es schließlich in meine Beine gelangt. Meine Knie werden weich und wackelig, mein Blick verschwimmt. Ich versuche, mich an irgendwas festzuhalten, doch greife ich ins Leere. Noch bevor ich den harten Boden unter mir spüren kann, fühle ich, wie ich von zwei Händen gestützt werde. Mich übermannt sofort die Übelkeit. Ich halte mir den Magen, er brennt und krampft. Ich muss würgen, reiße mich los und falle auf die Knie. Mein Magen krampf weiter zusammen, es tut weh!
Es dauert nicht lange, da übergebe ich mich. Wenigstens habe ich heute nichts gegessen, das noch nicht verdaute Trinken ist ekelhaft genug, als es im Schwall aus mir heraus kommt. Ich atme stoßend, versuche, mich und meinen zitternden Körper zu beruhigen. Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn, augenblicklich wird mir kalt.

Eine Hand streicht ruhig über meinen Rücken. Ich will sie wegschlagen, will wegrennen. Das macht es einfach nicht besser. Ruckartig richte ich mich auf, sodass mir schwarz vor Augen wird und ich ins Regal hinter mir stolpere. Durch den Aufprall fallen ein paar Bilder und eine Blume runter. Als ich wieder sehen kann, erblicke ich den Therapeuten, der mit ausgestreckter Hand langsam auf mich zukommt. Ein leichtes Lächeln auf den vom Bart umrahmten Lippen. "Fass mich nicht an!", schreie ich und drücke mich gegen das Regal, in der Hoffnung, es würde mich beschützen, mich hinter sich schieben. In Sicherheit.

Doch leider passiert das nicht. "Mika", setzt der Kerl an. Augenblicklich keimt eine kleine Flamme in mir auf, bereit, mich zu verteidigen. Ich stoße mich mit aller Kraft vom Regal ab und ramme meine Schulter in die Magengrube meines Psychiaters. Er fällt rückwärts auf den Boden. Ich selbst kann mich gerade noch fangen, damit ich nicht auf ihm lande. Perplex schaut er mich von unten an. Wut übermannt mich. "Fass mich nie wieder an!", schreie ich erneut und gehe mit versucht selbstsicherer rückwärts zur Tür.
Eigentlich sollte ich wohl netter zu ihm sein und mich entschuldigen, immerhin habe ich vorhin noch sein Büro voll gekotzt, aber er respektiert mich nicht. Er hat keine Achtung vor mir.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt