Daniel

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Song: I Prevail - Scars


Die Frau führt mich in einen Raum, eine Etage höher, der spärlich eingerichtet ist. Lediglich ein Schreibtisch mit einem Monitor für einen Computer darauf und drei Stühle stehen in dem Raum. Die Wände sind kahl und laden nicht dazu ein, sich hier wohl zu fühlen. Die Frau setzt sich hinter den Schreibtisch und deutet mir mit einer Handbewegung, mich ebenfalls zu setzen. Widerwillig setze ich mich ihr gegenüber und warte darauf, was sie zu sagen hat.
"Ich muss einmal deine Daten vergleichen. Du bist 17 richtig?" Ich nicke knapp.
"Hast du dich selbst dazu entschlossen Abstinent zu werden?" Ja und nein.
"Mit Unterstützung", antworte ich gelangweilt. Was soll das denn? Sie hat doch meine Daten zugesendet bekommen.
"Gibt es psychische Erkrankungen, die zu deiner jetzigen Situation geführt haben?" Sie schaut mich kurz prüfend an.
"Borderline", erkläre ich knapp, mich unwohl fühlend, auch wenn es nicht die ganze Wahrheit ist. Es ist kein Thema, das ich gerne anspreche. Sie nickt verstehend und tippt auf der Tastatur vor sich herum.

Sie dreht sich wieder zu mir und faltet ihre runzeligen Hände auf dem Schreibtisch.
"Also gut, kommen wir nun zu deinem täglichen Tagesablauf. Es liegt bei dir, ob wir einen kalten oder warmen Entzug machen. Du hast dir doch sicher schon Gedanken darum gemacht oder?" Ich schüttle den Kopf .
"Nein, hab ich nicht. Bis jetzt wusste ich nicht mal, dass es eine andere Möglichkeit als den kalten Entzug gibt", antworte ich ehrlich.

"Gut, dann erkläre ich es dir kurz. Bei einem warmen Entzug werden wir dich bei den Entzugserscheinungen unterstützen, die Symptome durch Medikationen eindämmen und abschwächen. Du wirst die ersten Tage in einem Einzelzimmer verbringen, in dem eine Kamera installiert ist, um deinen Zustand zu überwachen. Wenn die Entgiftung vollzogen und beendet ist, wirst du umziehen in ein Zimmer mit zwei weiteren Jugendlichen, damit ihr euch während eures Aufenthalts stützen könnt. Es wird nicht leicht werden, das kann ich dir jetzt schon sagen." Sie macht eine kurze Pause, bevor sie weiterspricht.

"Du bekommst einen Paten, der dir unsere Einrichtung zeigen und erklären wird. Während und besonders nach der Entgiftung wirst du Einzelgespräche mit einem für dich persönlich ausgewählten Psychiater führen. Dann kannst du auch über dein psychisches Problem reden und es therapieren. In Gruppentherapien wirst du mit zehn weiteren über deine Sucht sprechen. Es wird dir helfen, dich abzulenken und auch jemanden zu finden, dem du dich anvertrauen kannst. Manchmal ist es auch gesünder, mit gleichaltrigen zu sprechen, als mit Spezialisten. Des Weiteren bieten wir Musik- und Kunsttherapien an, an denen du teilnehmen wirst. Die Teilnahme an den Therapien ist unverbindlich, ebenso wie die Teilnahme am täglichen Essen." Ihr Blick trifft meinen und ich erkenne die stille Frage, ob ich alles verstanden habe. Also nicke ich.

"Was ist mit der Zeit dazwischen?", frage ich.
"Die kannst du gestalten, wie du möchtest. Wir haben eine Bibliothek im Erdgeschoss, dort kannst du lesen oder dir auch ein Buch ausleihen und auf deinem Zimmer lesen. Dein Handy musst du allerdings abgeben. Der Kontakt zu deinen Freunden ist dir vorerst gänzlich untersagt, nach einer Woche bekommst du es für zwei Stunden nach dem Abendessen zurück." Ich ziehe meine Augenbrauen hoch.
"Und mein iPod? Ich habe ehrlich gesagt kein Interesse, mit irgendjemanden zu Hause zu kommunizieren. Mir geht es darum, Musik hören zu können." Sie seufzt kurz, setzt sich anders in ihrem Sessel hin, der dringend einmal geölt werden sollte.

"Wie wichtig ist dir diese Musik? Du wirst täglich die Musiktherapie besuchen." Nun ist es an mir, zu seufzen, leise.
"Sagen wir es so: ohne meine Musik würde ich schon lange nicht mehr leben." Eine Pause der Stille entsteht, in der wir einander in die Augen blicken. In ihren dunklen Augen sehe ich, wie sie mit sich ringt. Endlich willigt sie ein.
"Na schön, den darfst du behalten." Sie geht zur Tür und ich folge ihr.

Zwischen Licht und SchattenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt