Vio
Man konnte wirklich nicht sagen, dass ich die Arbeit im Supermarkt nicht gerne machte. Im Grunde machte es mir sogar Spaß. Die Kunden waren alle in der Regel nett, stellten selten Fragen und wussten meistens bereits, was sie wollten. Was wahrscheinlich daran lag, dass es ein niedlicher Biomarkt war und die Kunden seit gefühlt Jahrzehnten hier herkamen. Das hatte mir zumindest Klaudia, meine Chefin, an meinem ersten Tag erzählt. Und es war bei weitem eine bessere Arbeit, als bei Alexander im Büro das Mädchen für alles zu spielen. Die einhergehenden Kommentare ertragen zu müssen, ich hätte mir einen großen Fisch geangelt. Hatte ich nicht, nicht absichtlich zumindest. Doch diese Menschen hinterfragten nichts und mir war es bereits in den ersten drei Tagen zu blöd geworden. Also sollte ich mich über das Kisten schleppen und das Regale auffüllen heute wirklich nicht beschweren.
Klaudia vertraute mir den Laden oft an, obwohl wir uns nur wenige Monate kannten und ich keinen Familienbonus oder der gleichen bei ihr hatte. Eine der Sachen, die ich so sehr hier mochte war, das ich hier nur Vio war, die „das Obst so schön stapeln konnte". Nicht gerade eine Eigenschaft, die ich meinen Lebenslauf schreiben würde, aber das war schon in Ordnung. Heute jedoch zog sich meine Schicht. Das Wetter war gut und die Leute schienen Besseres zu tun zu haben, als einkaufen zu gehen. Und es missfiel mir, sehr sogar, denn eigentlich sollte mich die Arbeite heute ablenken. Hauptsächlich von dem peinlichen Vorfall gestern Abend, der sicherlich nur in meinem Kopf peinlich gewesen war, aber das reichte aus. Ich schämte mich, in Grund und Boden. Auch darüber, dass ich nicht aufhören konnte, mir Szenarien vorzustellen, bei denen ich mir ausmalte, was sie wohl gedacht haben mochte. Sonderlich gut weg, kam ich dabei nie weg und merkte erschrocken, dass es mir nicht einmal egal war, was ein mir vollkommen fremder Mensch von mir dachte. Langsam zeigten die Worte meiner Mutter also doch Wirkung, dachte ich mir und donnerte die Dose Chili Bohnen etwas zu fest in den Stapel hinein.
„Entschuldigung, könnte ich Sie etwas fragen?"
Es kam unerwartet, absolut wie aus dem Nichts. Gerade als ich meine letzte Dose hinstellen wollte, um mich umzudrehen fing er an zu wanken, mein Turm aus Dosen, den ich mit meinen tollen Stapelfähigkeiten errichtet hatte. Und er wankte nicht nur, nicht sehr lange zumindest, den mein kläglicher Versuch den Turm zu stützen, führt dazu, dass die erste Dose fiel. Ihr folgten gleich drei weitere und innerhalb weniger Sekunden, sah ich nur noch Dosen auf mich zufallen. Das würde unschön, besonders weil meine Reflexe nicht vorhanden waren und alles, was ich tat, war einfach die Hände vor mein Gesicht zu pressen.Der erwarte Schmerz blieb aus. Mir wurde auch nicht schwarz vor Augen. Eigentlich geschah nichts, bis auf das Fallen und demonstrative hin und her rollen der Dosen. Ein erstaunlich glimpfliches Ende, wie ich fand und so traute ich mich ich, endlich meine Hände zu lösen. Doch etwas schmerzte, mein Oberarm. Kritisch blickte ich nach unten und sah eine Hand, die eindeutig nicht meine war.
„Alles ok?" Fragte mich die gleiche Stimme, die auch eben gesprochen hatte.
„Ja." Brachte ich hervor und konnte meinen Blick nicht von der Hand lösen, die etwas zu fest um meinen Arm lag.
„Bist du verletzt?"
Augenblicklich schüttelte ich den Kopf und wagte es, hoch zu blicken und mir das gesamte Chaos anzusehen. Wenn man die Umstände betrachtete, war es nicht so schlimm. Keine absolute Katastrophe.
„Bist du dir sicher?" Die Stimme war jetzt ganz nah, direkt neben meinem Kopf. Schwarze Haare tauchten neben mir auf, gefolgt von grauen Augen. Graue Augen, die mir seit gestern die ganze Zeit meine Laune verdarben.
Kleine Kometen, schoss es mir durch den Kopf und ich wollte mich Ohrfeigen, doch alles, was ich stattdessen machte, war rückwärts zu stolpern. Wieder eine motorische Meisterleistung, wenn man bedachte, dass sie mich noch immer festhielt, war mein Vorhaben zum scheitern verurteilt. Ich machte nur einen Schritt zurück, selbstverständlich trat ich dabei auf eine der Dosen. Hätte mich auch schwer gewundert, wenn ich das nicht auch noch fertig gebracht hätte. Wahrscheinlich wäre ich spätestens jetzt gefallen, doch sie hielt mich. Da war er wieder, dieser komische amüsierte Blick und es machte mich wütend, dass sie die Frechheit besaß mich auszulachen. Nun gut, vielleicht lachte sie gerade nicht, doch ich war mir sicher, dass sie es getan hätte, wäre in dem Moment nicht Klaudia herbei gestürzt.
Panisch warf sie ihre Hände in die Luft und entriss mich dem Griff der Fremden. Sie redete auf mich ein, zu schnell als dass es mein verwirrter Verstand überhaupt verstehen konnte.
„Mir gehts gut." Murmelte ich schließlich und um sie zum schwiegen zu bringen, deutete ich auf die Fremde, die schamlos immer noch neben uns stand. „Ich glaube, die wollte was wissen." Flüsterte ich Klaudia zu, die im ersten Moment nicht verstand, was ich ihr sagen wollte. Erst als ich meinen Kopf, der galube ich, nichts abgekommen hatte, hielt, machte es bei Klaudia klick und sie drehte sich zu der Frau. Die Fremde lachte jetzt und brachte mich damit dazu, rot zu werden.
Meine Manieren hatte ich aber nicht vergessen und so drehte ich mich zu ihr, bevor sie mit Klaudia weggehen konnte und irgendein Gemüse holen, von dem ich noch nie gehört hatte.
„Dankeschön." Und weil ich fand, das würde nicht genügen, schob ich ein, „Das war nett.", hinterher. Ich bereute augenblicklich, dass ich nicht vom Dosenturm erschlagen worden bin, nachdem die Worte meinen Mund verlassen hatten.
Sie legte ihren Kopf schief und schenkte mir ein Lächeln, das irgendwie nicht mehr amüsiert aussah, sondern aufrichtig.
„Immer wieder gern, Chili Girl." Antwortete sie, „Du solltest wirklich an deinem Gleichgewicht arbeiten." Und dann folgte sie Klaudia, die zwischen den Gängen verschwunden war.
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so geschämt. Es war ausgeschlossen, dass sie das gestern gesehen hatte und wusste, dass ich der Trottel gewesen war, der heute noch einen draufgelegt hatte. Selbstverständlich meinte sie nur den Vorfall eben. Natürlich! Wahrscheinlich musste mich doch eine Dose getroffen haben, anders konnte ich mir nicht erklären, warum mein Kopf anfing zu rauschen und mir irgendwie schummrig wurde.
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Sommergewitter Regen
RomanceManchen Menschen begegnet man ein einziges Mal im Leben, anderen sieben Mal in drei Tagen. Ein flüchtiger Blick, ein Lächeln, nicht mehr als ein paar wenige Worte. Und doch reicht eine einzige Begegnung aus, um ein ganzes Leben zu verändern. *** „Er...