4- Schnall dich an, Buttercup

193 22 4
                                    

Vio

Mir war schlecht, körperlich und geistig schlecht und ich kämpfte gegen das Gefühl der aufkeimenden Übelkeit an so gut es ging an. Wollte ich sterben? Gewiss! Ein paar Pillen einwerfen, von einer Brücke springen, vielleicht auch aus der fahrenden Straßenbahn springen, egal was. Mit meinem Glück würde sie dann auch noch auftauchen und wenn ich alles, was mir heilig war verwetten müsste, dann würde sie es auch noch schaffen mich vor dem Tod zu retten, mit ihren Händen, die mich irgendwie ständig am Fallen hinderten. Ich sah ihr Gesicht vor mir, hörte ihr brummendes Lachen, ihre hellen, funkelnden Augen, die mich verwundert anschauten, sah das Grübchen auf ihrer rechten Wange, wenn sich ihre Mundwinkel nach oben zogen. Selbst die kleine Narbe, die eine ihrer Augenbraue wie ein Blitz teilte. Jedes Detail hatte ich mir in meiner Schockstare eingeprägt, von ihr, der Person, der ich nun sieben ganze Male begegnet war in den vergangenen drei Tagen und mich bei jedem einzelnen Aufeinandertreffen auf irgendeine Art und Weise blamiert hatte. Sie war die Person, die sich in meinem Kopf, meinem Gedanken eingenistet hatte und die ich mit allen Mitteln versucht hatte zu vergessen. Eine meiner Sternstunden war wahrscheinlich meine galantes wegrennen, als ich sie heute wieder an unserer Kreuzung gesehen hatte. Unsere Kreuzung? Mehrfach schlug ich mir mit der flachen Hand gegen die Schläfe, ein kläglicher Versuch meine Gedanken auszutreiben. Besonders unvorteilhaft, wenn einem bereits so schlecht war wie mir gerade. Stöhnend lehnte ich den Kopf gegen das Fenster der Straßenbahn und kassierte einen unfreundlichen Blick von dem alten Mann, der mir gegenüber saß. Naserümpfend zog er seine Beine näher zu sich, als würde von mir irgendeine ansteckende Seuche ausgehen. Und ich konnte nicht anders, als die Augen zu verdrehen und ihm einen furchteinflößenden Blick zuzuwerfen. Woher ich den Mut dazu nahm, wusste ich nicht, doch es half und der Mann sprang an der nächsten Station auf und verließ fluchtartig den Wagon. Triumphierend streckte ich meine Beine aus, bis mir wieder einfiel, was eben passiert war und was es eigentlich bedeutete.
„Verdammte Scheiße." Leise fluchend ließ ich meinen Kopf wieder gegen die Scheibe knallen.

Ich war enttäuscht gewesen, als ich die Mail von Theo gelesen hatte. Sehr sogar, doch ich verstand ihn auch und eigentlich war es kein Problem. Ein späterer Umbau, hieß ein späterer Zusammenzug mit Alexander und das war nicht das schlimmste, was mir passieren konnte. Doch Theo bot an, dass eine, in seinen Worten, begnadete Freundin, von ihm das Projekt so lange übernehmen könnte. Er schickte mir Fotos von ihren Arbeiten und sie waren umwerfend. Ich verliebte mich sofort in die einzigartigen, filigranen und so unglaublich ausdrucksstarken Arbeiten. Am Telefon bekam ich den Namen der Schöpferin dieser Arbeiten, Haru. Von ihm wusste ich auch das sie eigentlich Schreinerin war und gar keine Architektin, anders als er. Aber es kümmerte mich nicht, ich wollte um jeden Preis, dass sie den Umbau umsetzte. Als Theo mir dann verkündete, dass sie mit meinen Ideen, meinen Skizzen arbeiten wollte, konnte ich mein Glück kaum fassen.
Bis zu dem Moment, an dem Komtenaugenfrau vor mir stand. Wusste sie eigentlich, wie unglaublich einschüchternd und einnehmend ihre ganze Ausstrahlung war? Umso stolzer war ich auf mich gewesen, dass ich überhaupt ein Wort rausgebracht hatte. Ja, es war mehr als holprig gewesen und wahrscheinlich hatte ich mich wieder in Grund in Boden blamiert, aber ich dachte tatsächlich für zwei Sekunden, dass ich es unbeschadet überleben könnte. In meinem Kopf malte ich mir aus, wie ich nach dem Treffen nur Alexander vorschicken würde, oder alles per Mail regelte. Alles machbar! Doch dann fragte sie nach der Designerin. Selbst wenn ich vorgehabt hätte, die Wahrheit zu sagen, wie hätte ich sie ausgerechnet der Kometenaugenfrau sagen können? Ausgeschlossen! Aber ihr deine uralte E-Mail-Adresse aufschreiben das geht oder was, fluchte ich innerlich weiter.
„Verdammt!" Rief ich laut aus, als ich die Straßenbahn verließ und fing mir direkt weitere verächtliche Blicke ein.
Warum habe ich ihr es nicht einfach gesagt? Wie viel schlimmer hätte es werden können? Wahrscheinlich sehr viel, sehr, sehr viel schlimmer, wenn ich schon nicht mit ihrer bloßen Anwesenheit umgehen konnte.

Sommergewitter RegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt