Haru
Wohl möglich war das hier ein Fehler. Einer, den ich bis an mein Lebensende bereuen würde. Vielleicht war es auch das genaue Gegenteil, unvermeidlich und unumgänglich. Vio war wie ein Tornado, der mich anzog und nicht mehr losließ. Nur genau im Auge dieses Tornados war Stille, Ruhe. Eine Sicherheit die in jeder Sekunde verschwinden konnte. Sie war wie das Meer, ruhig und unschuldig und doch brauchte es nur wenige Windböen um sie aufzuwühlen. Dies musste auch der Grund sein, warum ich ihr tatsächlich gesagt hatte, was mich in den letzten Tagen umhertrieb. Ich wollte sie sehen, ohne zu wissen, warum eigentlich. Immer wieder hatte ich mich dabei ertappt, extra langsam an der Kreuzung vorbeizugehen, an der ich sie bereits so oft getroffen hatte. Ich schrieb ihr, ohne eine Antwort zu erhalten. Und obwohl mich ihr Verhalten hätte zurückstoßen müssen, suchte ich weiterhin etwas, das sie dazu brachte, mir all ihre Geheimnisse zu verraten. So kannte ich mich nicht. Zwar war ich nie ignorant oder gleichgültig gewesen, aber andere Menschen interessierten mich nie sonderlich. Nicht in dieses Ausmaß. Es musste an der Tatsache liegen, dass sie sich so sehr verschloss. Rätsel zu lösen hatte mich schon immer fasziniert.
Sie heute im Club zu treffen war... was war es eigentlich? Hatte ich mich nicht bewusst dazu entschlossen dort hinzugehen, um meinem Kopf eine Auszeit zu verschaffen? Doch da hatte sie gesessen, ihre Hände um ein kleines Glas geklammert, den Blick teilnahmslos auf ihr Gegenüber gerichtet, als würde sie gar nicht anwesend sein. Sie trank, viel und definitiv mehr, als ich ihr zugetraut hätte. Ihre Freundin mit den bunten Haaren schickte sie weg, oder ließ sie allein, ich hatte es nicht deuten können. Aus der Ferne schaute ich immer wieder zu ihr und irgendwann verschwand sie. Ohne die Blondine, die eindeutig zu zweideutig ihr gegenüber war.
Erst als sie wiederkam und den Alkohol regelrecht in sich hinein kippte, überkam mich das unstillbare Verlangen einzugreifen.Und jetzt stand ich hier, in ihrer kleinen Wohnung, die nach ihr roch und so gar nicht zu dem ordentlichen und adretten Auftreten passen wollte, das sie sonst zu verkörpern schien.
Überseht mit Skizzen und Büchern, die sich die Wände hochstapelten, alten Ölbilder, Decken und Kissen, wild verteilt in den Raum, den ich als Wohnzimmer deutete, stand sie da und reichte mir ein Glas, bevor sie sich in einen Stapel Kissen fallen ließ.
„Du liest viel." Stellte ich fest und nahm mir ein Buch aus dem obersten Stapel.
Vio starrte in den kleinen dunklen Flur, bevor ihre warmen Augen auf mich trafen. So mochte ich sie lieber, halbwegs, nüchtern und vor allem nicht so wütend.
Sie summte nur eine Antwort, die fast schon wie eine Entschuldigung klang. Unweigerlich fragte ich mich, warum sie das tat.
„Hast du ein Lieblingsbuch?"
Ihre Augen fingen das wilde Licht der Lampe an, die sie angemacht hatte. „Nein, dafür gibt es einfach zu viele."
Nachdem ich mir zwei weitere Bücher angeschaut hatte, setzte ich mich ihr Gegenüber, in einen weiteren Berg Kissen, die wohl die Couch ersetzten.
Vio knetete wieder ihre Hände. „Ich gehe sonst nicht dorthin, also in den Club. Das war Naomis Idee."
„Ich war das letzte Mal mit 18 dort, eigentlich hat sich nichts verändert. Bis auf die Musik, die früher wesentlich besser war. Naomi ist die mit den bunten Haaren?" Mir war bewusst, dass ich nicht besonders subtil war mit meiner Frage, aber die Neugier zu erfahren, wer und was diese Person für Vio war, ließ mich schon seit einiger Zeit nicht zur Ruhe kommen.
„Hm, ja." Ihre Stimme klang nachdenklich, fast schon so, als müsste sie erst überlegen, ob es auch wirklich der Wahrheit entsprach. Ein undefinierter Ausdruck schlich sich auf ihr Gesicht und sie schaute mir zum ersten Mal seitdem ich in ihrer Wohnung war in die Augen. „Das eben tut mir leid, ich weiß auch nicht, was mit mir los war."
Es kostete sie einige Überwindung die Worte auszusprechen, obwohl es im Grunde eigentlich gar nicht notwendig war. „Schon gut."
Wir schwiegen, solange bis ich mein Glas geleert hatte und der Moment gekommen war um zu gehen.
„Darf ich dir etwas zeigen?"
Überrumpelt nickte ich bloß und schaute ihr dabei zu, wie sie auf wackligen Beinen aufstand und mir andeutete ihr zu folgen. Sie wankte etwas und mich beschlich das Gefühl, das es irgendwie nicht am Alkohol lag. Sie Verlies ihre Wohnung und schlich auf Zehnspitzen zu der Tür am anderen Ende des Hausflures. Der Raum ähnelte mehr einer Abstellkammer und ich verstand nicht, was genau sie mir zeigen wollte. Mit einem Ruck stieg sie die Holzstufen hinauf, die anscheinend noch eine Etage höher führten. Vio wankte wieder und für meinen Geschmack viel zu sehr, sodass ich ihr kurzerhand meine Hände auf die Hüften legte, so wie ich es schon im Club gemacht hatte. Vielleicht bildete ich es mir ein, aber ich meinte ein kurzes Zucken zu spüren, bevor sie langsam weiter ging, um die Tür vor uns zu öffnen.
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Sommergewitter Regen
RomanceManchen Menschen begegnet man ein einziges Mal im Leben, anderen sieben Mal in drei Tagen. Ein flüchtiger Blick, ein Lächeln, nicht mehr als ein paar wenige Worte. Und doch reicht eine einzige Begegnung aus, um ein ganzes Leben zu verändern. *** „Er...