3- Es ist surreal, dass du hier stehst

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Niko oder doch Haru?

Der golden schimmernde Umschlag lag noch immer ungeöffnet auf dem Küchentresen, genau dort wo ich ihn vor einer Woche hingelegt hatte. Die geschwungenen Buchstaben meines eigenen Namens, den eigentlich nur noch mein Vater in den Mund nahm, prangten überdimensional darauf. Haru, der Name, den meine Mutter mir einst gab und den ich seit ihrem Tod komplett verbannt hatte. Aber auch davor war ich im Grunde immer nur Niko gewesen. Niko, die ihren Namen nicht mochte und als Kind lieber die Rolle ihres kleinen Bruders gehabt hätte. Den anders als mir, hatten ihm alle Türen, alle Freiheiten offen gestanden. Kurzerhand hatte ich mich, als sechsjährige, in Niko umbenannt. Einen Namen, den ich, aus mir mittlerweile unerklärlichen Gründen, schön gefunden habe. Und die Menschen um mich herum nahmen ihn tatsächlich an. Und doch lag dieser Umschlag da und erinnerte mich daran, dass ich hier vielleicht mehr Haru war, als es mir lieb war. Generell war es nicht die allerbeste Idee gewesen, nach all der Zeit wiederzukommen. Zurück in die Stadt, in der ich damals aufgewachsen bin und nie so recht verlassen wollte, zumindest damals als 18-Jährige. In einer dummen Nacht-und-Nebel-Aktion bin ich mehr oder weniger abgehauen. So stellte es meine Familie gerne dar und vergaßen gekonnt den Fakt, dass meine Stiefmutter mich mehr oder weniger herausgeworfen hatte, nachdem sie mich dabei erwischt hatte, wie ich ein Mädchen küsste. Ein Mädchen, das irgendwie Ähnlichkeiten mit Chili Girl hatte. Wieder musste ich bei dem Gedanken an ihr schockiertes Gesicht schmunzeln, als sie gut und gerne 100 Dosen zu Boden befördert hatte. Es war fast so amüsant, wie ihre Aktion am Abend zuvor. Ich war mir sicher, dass sie das Mädchen von dem Dach war. Das Mädchen das alles irgendwie in ein kleines Chaos zu stürzen schien. Sie war irgendwie seltsam, auf eine nicht erklärbare Art und ich fragte mich, wie sie so durchs Leben kam und noch alle ihre Gliedmaßen zu haben schien. Sugar lag auf der Couch und würdigte mich keines Blickes mehr, seit dem wir gestern nach Hause gekommen waren. Noch nie zuvor hatte er ein solches Verhalten gezeigt. Er mochte keine Fremden, oder andere Hunde und war eigentlich viel zu schüchtern, um wegzurennen. Doch anscheinend hatte sie es ihm angetan. Schon damals an der Kreuzung hat er wie wild gezogen, um zu ihr zu kommen. Seltsam, dass ich ihr so oft begegnete.

„Jetzt schmoll doch nicht so theatralisch." Ich rieb über sein Gesicht und kraulte ihn hinter seinen langen Ohren, etwas, was in der Regel immer half. Jedoch nicht heute. Sugar trottete von der Couch und rollte sich am anderen Ende des Wohnzimmers zusammen. Gegessen hatte er auch nichts. „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, du hast Liebeskummer."
„Wer hat Liebeskummer?" Theo steckte seinen Kopf ins Wohnzimmer, bepackt mit einem riesigen Rucksack.
„Sugar."
Kritisch zog er seinen Mund schief und schüttelte seinen Kopf. „Als ob das kleine Monster sich verlieben könnte."
Theo und Sugar waren, wenn man so wollte, Feinde. „Sei nicht so gemein, du liegst halt immer auf seinem Platz, deswegen mag er dich nicht."
Auf Theos Gesicht lag noch mehr Zweifel als in seinen Worten, als er sprach. „Nein nein, das Biest ist einfach herzlos. Hör zu, ich habe gerade mit der Auftraggeberin telefoniert, sie ist damit einverstanden, dass du einspringst, bis ich zurück bin."
„War sie wütend?" Ich hatte kein Nerv auf wütende, reiche Hausfrauen, die meinten, die ganze Welt würde sich nur um sie drehen.
Er schüttelte seinen Kopf erneut. „Gar nicht, sie hat mir sogar angeboten es so lange zu verschieben und alles. Die hatte absolutes Verständnis und stell dir vor, sie wollte sogar den Ausfall bezahlen!"
Ungläubig zog ich meine Augenbrauen hoch. „Warum muss ich dann einspringen?"
„Weil du Feuer und Flamme gewesen bist für das Projekt und außerdem tat sie mir leid. Sie hatte sich so gefreut. Bitte Niko, sie ist wirklich super Umgänglich und du hast alle Freiheiten." Er faltete seine Hände zusammen und schaut mich flehend an, mit seinen riesigen Augen, die fast so groß waren wie die von Sugar.
Ich winkte ab und zog den Ordner zu mir, den er mir gestern Abend präsentiert hatte. Er hatte recht, ich liebte die Designs.
„Sobald es Paps wieder besser geht und er alleine zurechtkommt mit der Farm, bin ich ja wieder da." Theo kam zu mir und drückte mich an sich. „Außerdem wird dir das ganz guttun, mal wieder mit Menschen zu arbeiten."
„Tz, du bist doch derjenige, der nichts mehr für Privatleute macht." Ich erwiderte seine Umarmung. „Bestellt deinem Vater gute Besserung und sei vorsichtig."
Egal wie ich das Projekt gefunden hätte, ich hätte Theo niemals etwas abschlagen können. Nicht nachdem er mich Jahrelang mit meiner Arbeit unterstützt hatte und mir meine ersten Jobs nach der Ausbildung zugespielt. Auch wenn er es immer abstritt.
Außerdem wusste ich, dass sein Vater niemanden mehr außer ihm hatte, der sich um ihn kümmern konnte. Uns war beiden bewusst, dass es lange dauern würde, bis sein Vater die Farm wieder alleine bewirtschaften konnte.
Ich winkte ihm zum Abschied und fühlte mich irgendwie einsam, nachdem er die Wohnungstür hinter sich zuzog.
Ablenkung würde mir tatsächlich ganz guttun. Mein Blick fiel wieder auf den Umschlag. Ablenkung, bevor ich mich bald etwas stellen würden müsste, das ich absolut als meinen eigenen persönlichen Alptraum betiteln würde.
„Sugar komm!"

Sommergewitter RegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt