6- Wem willst du etwas beweisen?

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Vio

Es war fast so, als würde ich träumen. Immer und immer wieder, unaufhörlich, zwischen Traum und Wirklichkeit gleiten, ohne zu wissen, was nun die Realität war. Mein Kopf spielte mir Streiche. Spielte mir etwas vor, das so süß, so verlockend war, dass ich keine Macht hatte ihm zu widerstehen. Der Versuchung, daran zu glauben. Jedes einzelne Mal, wenn ich wieder in diesen Zustand glitt, aus dem ich nicht wirklich heraus konnte, oder wollte. Doch es gelang mir nicht, mich komplett darin zu verlieren. Etwas sog mich heraus und schlug den Nebel, der mich berieselte, hinfort.
„Wo bist du mit deinem Kopf, Vio?" Alexander schnippte genervt vor meinen Augen mit den Fingern und lehnte sich über den Küchentresen zu mir vor. „Antwortest du mir vielleicht?"
Es hatte nicht geklappt. Mein kläglicher Versuch, alles auszublenden und in meine Traumwelt zu flüchten. Eine, in der die letzte Woche nie passiert waren. In der ich Haru nie getroffen hatte und sie nie rausgefunden hatte, dass es meine Skizzen, meine Zeichnungen waren. Eine, in der ich ihre Nachrichten nicht ignorieren musste, aus Furcht, sie würde das Thema ansprechen. Wieder stieg mir die alt bekannte Hitze in den Kopf, als ich an ihre Worte dachte. Sie war mir so nah gewesen, nicht nur körperlich... Viel zu nah.
„Vio?"
Nervös schaute ich zu Alexander, der erneut ansetzte, um mit den Fingern zu schnippen. „Wie war das?"
Stöhnend drehte er sich weg. „Wie es mit dem Umbau vorangeht? Hörst du mir den gar nicht zu?"
Dass ich die Antwort selbst nicht wusste, konnte ich ihm unmöglich gestehen. „Gut, denke ich."
„Dann können wir uns doch heute die Baustelle anschauen." Sagte er und wog irgendein Pulver ab, das er in sein Wasser kippte. „Oder bist du zu enttäuscht, dass es nicht dieser Thomas macht?"
„Theo." Korrigierte ich und schaute auf das Glas in seiner Hand. Die nun grüne Flüssigkeit verursachte bei mir Übelkeit. „Nein."
„Ist er gut? Der Ersatz mein ich." Alexander versuchte es. Interesse zu zeigen an dem Umbau, obwohl ich wusste, dass ihn das ganze nicht im Geringsten wichtig war. Er wäre auch so eingezogen, das hatte er mehrfach betont. Mein Magen rebellierte bei dem Gedanken, wie sehr er sich bemühte und wie wenig ich es wollte. Sein Interesse, seine funkelnden Augen, wenn er merkte, dass ich von etwas begeistert war. Begeisterung, die ich nie zeigte, wenn es um das eigentliche Zusammenziehen ging und erst recht nicht um unsere Hochzeit.
„Sie ist sehr", Mir fielen hundert Worte für Haru ein, doch keins davon schien passend zu sein, um es mit Alexander zu teilen. „Engagiert."
Sein Augen ruhten auf mir. „Sie?"
Ich nickte nur und hoffte, wir würden das Thema schnell fallen lassen.
„Sie baut aber nicht selbst um oder wie?" Bohrte er weiter.
Meine Schultern zuckten und ich drehte mich von ihm weg. „Warum willst du das wissen?"
Er seufzte nur. „Einfach so. Es ist halt immernoch selten, dass Frauen so einen Beruf ergreifen. Meine Schwester macht auch so was in die Richtung. Eigentlich ziemlich cool." Fügte er hinzu und ich konnte nicht anders als ihn anzusehen. Er sprach nie über sie. Seine Schwester. Keiner in seiner Familie tat es und wenn das Thema doch irgendwann Zusprache kam, wurde es unweigerlich im Keim erstickt. Ich wusste nichts über sie, hatte noch nie ein Foto gesehen oder mehr als zwei Sätze über sie gehört. Alexander mied es, sie zu erwähnen. Manchmal glaubte ich, Schmerz in seinen Augen zu sehen, wenn er es dann doch tat. Das einzige, was ich wusste, war, das ihre Mutter nicht seine war.
„Alexander", setzte ich an, doch er schaute mich mit einem traurigen Blick an, der mich verstummen ließ.
„Weißt du was? Lassen wir es mit der Besichtigung heute. Wollen wir zum See?"
„Ich muss heute Nachmittag arbeiten." Sagte ich und er schaute mich nur nickend an.
Vielleicht hatte ich es verdient. Diese schlechten Gewissen, das die Gedanken an Haru verdrängten, die mich komplett eingenommen hatten. Es war nicht fair, ihm gegenüber.

***

Alexander hatte kein Wort mehr verloren über den Umbau, oder seine Schwester. Genauso wenig wie über unser Wochenende, das wir eigentlich zusammen verbringen wollten. Irgendwann hatte er mir einen Kuss auf die Stirn gedrückt und war aus seiner Wohnung verschwunden. Er wollte mit Diego weg fahren, bis Morgen Abend, irgendwo hin um zu Golfen. Er wusste das ich kein Interesse hatte mitzukommen, selbst wenn ich gekonnt hätte. Jedoch hasste ich es alleine zu sein, in seiner Wohnung, die für mich mehr ein Ort des absoluten Unwohlseins war, als eine Zuflucht. Fast hätte ich die Minuten gezählt, bis ich endlich aufbrechen konnte, um meine Schicht im Supermarkt zu beginnen. Alles nur, um mich wieder dabei zu ertappen, wie ich an Harus Worte dachte ... An ihren Geruch, als sie ihre Lippen viel zu nah an mein Gesicht brachte.

Sommergewitter RegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt