Es war Winter. Tiefer Winter. Und in diesem Winter lebte ein Kind. Ein sehr kleines Kind. Es lief durch eine Welt, die nicht weiß war. Sie war grau. Durch und durch. Der Himmel war grau, die Luft war grau. Die Häuser auch. Die Straßen waren voll mit alten Silvesterknallern, die den zermatschten Schnee braun und rot färbten. Auf dem Bügersteig, neben einem Baum lag ein Tisch. Eigentlich nur eine Tischplatte, die Beine lagen verstreut auf der Straße herum. Das Kind sammelte die Tischbeine auf. Eins zerbrach. Mit fünf Tischbeinen lief es durch den toten Park, über die Hauptstraße und bog in eine kleine Nebenstraße ein. Dort, auf einem Grünstreifen, der die Straße zerteilte, hielt es an und legte die Beine auf den matschigen Boden. Im Sommer wäre der Boden voller Gras gewesen. Vielleicht hätten bunte Blumen geblüht. Aber es war Winter. Das Kind lief zu der Tischplatte zurück und versuchte sie hochzuheben. Sie war groß. Und schwer. Zum Schluss landete sie auf seinem kleinen Kopf. Vorsichtig machte das Kind ein paar Schritte nach vorne, strauchelte ein bisschen. Die Tischplatte wackelte von der einen Seite zur anderen. Das Kind unter ihr auch. Dann lief es langsam zu seinen Tischbeinen zurück.
Auf dem Grünstreifen versuchte es die Tischbeine in die Erde zu rammen. Aber die Erde war gefroren und das Kind war nur ein Kind. Es dauerte lange bis drei Beine in der Erde waren. Noch länger dauerte es, die zwei zerbrochenen Teile so zu positionieren, sodass sie aussahen als wären sie eins. Zum Schluss wuchtete das Kind die Tischplatte auf die vier Beine. Es stand kurz da, zauberte kleine Atemwölkchen in die kalte Luft und schaute sich sein Werk an. Hätte ihm jemand in die grauen Augen geschaut, hätte er Stolz aufblitzen sehen. Dann ging das Kind.
Es war schon dunkel geworden als es wiederkam, eine neonorange Fließdecke unter dem Arm. Die grelle Farbe schmerzte in den Augen. Die Decke wurde unter dem Tisch ausgebreitet, dann rollte sich das Kind in seinem neuen Haus zusammen.
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Ein Kind
Teen FictionMeine Haare wehen im Wind, der Mond scheint, ein kleiner Vogel singt, meine nackten Füße fliegen nur so über die Straße und vor mir, auf dem grauen Teer, sitzt ein kleines dreckiges Kind. Ist es normal, wenn man nachts auf der Straße ein Kind findet...