6. Kapitel

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Eine Freundschaft mit wenig Worten und zu viel Bier.


Aber es war so kalt und das gelbliche Zeug aus den dunklen Glasflaschen wärmte, wie es keine Jacke tun konnte. Auch das Kind brauchte Wärme.

Das erste mal genügte eine halbe Flasche. Beim zweiten mal eine Ganze. Beim dritten mal fror es noch immer. Aber es wusste immer was es tat, es hatte sich unter Kontrolle. Der Mann nicht. Er trank und trank, schluckte die vermeindliche Wärme gierig hinunter, ließ sie in seinen Magen laufen, genoss das Gefühl endlich wieder etwas zu spüren.

Den kleinen Platz auf der Decke verdiente das Kind sich, indem es klaute. Es klaute Alkohol, mal stärkeren, mal schwächeren.

An manchen Tagen war der Mann nicht mehr er selbst. Dann lag er zusammegekauert auf der Straße und weinte graue Tränen in den Schnee. In solchen Momenten gab es nichts. Nur ihn. Das Kind vergaß er. Es hasste diese Tage. Vielleicht waren sie auch der Grund wieso es selber so wenig trank. Es graute ihm davor so ohnmächtig zu werden. Im Nichts zu versinken. Es fragte sich wie das Nichts aussehen mochte.


Eines morgens spuckte die Welt ihren Löffel Freundlichkeit wieder aus. Die Kälte kroch unbarmherziger als je zuvor über die Welt. Alle Wärme war verschwunden, so als hätte es sie nie gegeben.

Und der Mann verlor jegliche Hoffnung die er irgendwo, in den tiefen seines Körpers gehabt hatte. Er hielt es nicht mehr aus, für ihn war dieser Winter unendlich. Schon bevor das Kind erwachte, war er so betrunken wie noch nie. Und er trank immer weiter.

Es erwachte von einer Bierflasche die auf dem Bürgersteig zerprang. Tausend kleine Scherben flogen wild durcheinander.. Etwas in dem Körper des kleinen Menschen flatterte heftig. Zog und zertte, sodasss sich das Kind zusammenkrümmte. Es lag da, zitterte und weinte leise. Eine Träne kullerte seine Wange hinunter und hinterließ einen weißen Streifen auf dem dreckigen Gesicht. Dann knallte eine Glasflasche auf den runden zerzausten Kopf. Die kalte Haut des Kindes brannte. Ein explodierender Schmerz übermannte es. Millionen Splitter bohrten sich in den jungen Körper. Die Decken wurden mit rotem Blut besprenkelt. Das Kind öffnete die Augen. In einer Art Schockstarre sahen die beiden sich an, unfähig etwas zu tun. Dann fing der Mann an zu weinen. Laut und unbeholfen. Er brüllte, so laut wie es das Kind vorher noch nie gehört hatte.

Die Decke wurde immer schwerer. Er öffnete die nächste Bierflasche. Dann schaute er in den Himmel. Nur kurz. Als er seinen Blick wieder senkte, war das blutende Kind verschwunden. An seiner Stelle lag ein verwundetes Tier. Es lief nicht weg. Der Mann schon.


Das Tier lag sehr lange da, blutete und hatte Angst. Es lag da, bis es gänzlich eingefroren war. Es bestand nur noch aus Eis. Es würde nie wieder auftauen, das wusste es nun.


Leer und taub schleppte das Tier sich durch die Straßen. Das Licht des grauen Himmels blendete es. Der weiße Schnee stach wie Messer in seinen Augen. Dann knickten seine Beine unter dem Gewicht, das es zu tragen hatte, weg. Ein Schnitt platzte auf. Ein kleiner roter Fleck bildete sich. Aber schmilzen tat der Schnee nicht. Das Tier versuchte verzweifelt sich wieder aufzurichten, doch es zitterte zu sehr. Es hätte wohl geweint, wenn es Wasser in seinem Körper gehabt hätte, aber es war voller Eis.


Das Tier starb. Mitten auf der Straße. Am hellichten Tag. Aber gefunden wurde es nie. Die Menschen liefen einfach über es hinweg. Wen interessierte das schon, ein so kleines Tier?



Meine Wangen sind nass. Mir laufen die Tränen, ohne das ich sie bemerkt habe. Scheiße, denke ich. Scheiße. Dabei hat das ganze hier nichts mit Scheiße zu tun. Es ist einfach nur traurig. Und wahr. Das Kind vor mir auf der Straße lügt nicht. Ohne es noch einmal anzuschauen laufe ich davon. Mir ist so kalt.



Ein KindWo Geschichten leben. Entdecke jetzt