August, 2021
Es war schlimm. Schlaflose Nächte folgten, bis endlich die Gewissheit folgte. Es ist kein bösartiger Tumor. Kein Malignom in meinem Kopf. Dennoch sollen wir vorerst abwarten, um die richtige Möglichkeit zur Bekämpfung wahrnehmen zu können. Warten, um zu schauen, ob er wächst , ob er mich beeinträchtigt in irgendeiner Hinsicht. Mein Haarausfall hat sich wieder eingekriegt, doch leicht kahle Stellen sind erkennbar, zumindest für mich selbst. Auf ihn bin ich nicht ansprechbar, ich bin mehr als verletzt. Jihan hat es auch nicht mehr erwähnt.
Heute bin ich mit Azad und seiner Verlobten, sowie Miran und seiner Freundin zum Essen eingeladen.
Wir fahren nach Köln, essen dort etwas und spazieren dann am Rhein entlang. Ich bin gerade im Auto und fahre gerade erst in Richtung Autobahn. Gähnend öffne ich die beiden Fenster vorne und klemme mir eine Zigarette zwischen die Finger. Der Rauch öffnet mein Herz, öffnet meine Augen. Es entspannt mich mehr als alles andere auf der Welt momentan. Mehr als jemand mich je entspannen könnte. Mehr, als Amir dich damals bei Jade unterstützt hat? Mischt Cindy sich ein. Du hast kein Mitspracherecht. Nicht mehr.Sollen wir dich wirklich nicht abholen?
Leuchtet Amina's Nachricht auf meinem Handy auf. Ich habe gelogen und gesagt, dass ich bereits vorher in Köln sei wegen eines Termines, damit ich nicht mit ihnen fahren muss. Keinesfalls hat es etwas mit ihnen zu tun. Sowohl Amina, als auch Dicle sind mehr als nett und ich hab die beiden auch sehr gerne, doch ich bin lieber alleine. In einer Woche steht mein Kontrolltermin an, der Termin, der alles weitere entscheiden wird. Schnell rauche ich die Zigarette zu Ende, um auch ja kein Stück zu verschwenden, genieße jeden Rauch, jeden Atemzug mit ihr, ehe ich den Rest aus dem Fenster werfe und Amina eine Sprachnachricht aufnehme. Zunächst bedanke ich mich bei ihr, ehe ich ihr erkläre, dass ich bereits da bin und dann vor dem Restaurant auf sie warten werde. Zahlreiche Gedanken verfolgen mich, viele Sorgen, doch alles führt wieder zu einer Person zurück. Amir. Ich glaube, dass das letzte Aufeinandertreffen mehr wehgetan hat, als damals der Abschied auf dem Abiball. Die kindische Beschuldigung, das kindische konfrontieren, die Respektlosigkeit? Es ist nicht einmal die Tatsache, dass er mir nicht geglaubt hat, sondern die, dass er mir nicht einmal zugehört hat. Er hat mich quasi einfach abgewehrt und zur Seite geschoben. Man nehme alles beiseite, aber tut man so etwas als fast - als ein guter Freund? Einer Freundin hört man zu, versucht sie zu verstehen und dann, selbst wenn man sie nicht versteht, redet man. Man spricht gemeinsam darüber und klärt die Sache. Aber Amir.. Er war mehr als ein Freund und tat weniger als ein Fremder. Meine Ärztin war sehr euphorisch. Bleibt es dabei und der Tumor wächst nicht weiter, kann es sein, dass ich für eine Gamma-Knife-Behandlung in Frage komme, hierbei wird der Tumor durch starke Röntgenstrahlen herausgeschnitten, ohne die Haare entfernen zu müssen und sogar ohne Narkose. Es ist, als sei der Traum zum greifen nahe, doch es kann nicht sein. Der Traum kann nicht zum greifen nah sein, wie denn auch? Ich erhielt vor zwei Monaten die Diagnose, wie viel Glück könnte ich denn dann haben, dass es sich um einen gutartigen Tumor handelt, welcher dann ohne schwere Beeinträchtigungen nur durch ein paar Strahlen entfernt werden kann und ich dann sogar nach 24h wieder komplett einsatzbereit und fast ohne Tumor bin? Es klingt zu gut, zu schön, um wahr zu sein. Bei mir kann es nicht so einfach sein.
Zum Glück war auf der Autobahn nicht viel los, so dass ich in weniger als 40min in Köln angekommen bin und nun Ausschau nach einem Parkplatz halte. Meine Spotify Playlist ist auf Shuffle, als plötzlich Ellie Goulding's Stimme ertönt und mir das Herz in die Hose rutscht.
,,Fire and ice
This love is like fire and ice
This love is like rain and blue skies
This love is like sun on the rise"Roermond. Die Eisbahn. Er. Der Fall. Der tiefe Fall, der darauf folgte. Das schwarze Loch, in dem ich mich befand. Unsere Tour. Seine Berührungen- das Klingeln meines Handy unterbricht sowohl das Lied, als auch meine Gedanken. Ohne nachzusehen, wer angerufen hat, nehme ich den Anruf entgegen. ,,Hallo?"
,,Hey! Wir stehen hier davor, wo bist du?" Er ist auch da? Wieso wusste ich das nicht?
,,Mina?" fragt Jihan erneut, da ich ihm noch immer nicht geantwortet habe. ,,Ich bin fast da." stoße ich hervor und lege auf. Es ist absolut, absolut nicht schlimm, dass Jihan da ist. Wieso sollte es auch? Es ist nur.. merkwürdig. Es wirkt anders. Ich habe einfach ein merkwürdiges Bauchgefühl und Angst davor, was der Abend bereithält. Mit einem verhältnismäßig zu schnell schlagendem Herz steuere ich direkt auf Jihan zu, welcher draußen am Eingang steht. Vermutlich sind die anderen bereits reingegangen, da er alleine dort ist. Er hat etwas in der Hand. Ist das ein Blumenstrauß? Ich glaube schon. Ja, es ist ein Blumenstrauß! Für wen ist denn wohl der Blumenstrauß? Für wen denn wohl, ruft Cindy dazwischen. Er schaut in die andere Richtung, blickt in die Sonne und scheint in Gedanken verloren zu sein. Bitte schau nicht hierhin, denke ich mir, doch im selben Moment fällt sein Blick auf mir. Mein Gang wird schräg, unsicherer. Bei seinem Anblick würde ich lügen, wenn ich sagen würde, dass ich nicht nervös werde. Er trägt eine beige Stoffhose mit einem hellblauen Leinenhemd, welches er reingesteckt hat. Das Outfit ist schlicht, aber es steht ihm sehr gut. Durch das blaue Hemd wird der Blauton seiner Augen noch mehr hervorgehoben, der Kontrast zu seinen dunklen Haaren wird betont. Sein Griff um den Blumenstrauß verfestigt sich. Auch, wenn ich nicht wusste, dass er kommt, bin ich froh, einen Rock anzuhaben und mich fertig gemacht zu haben. Ich habe einen Midi-Rock an, welcher blau-weiß geblümt ist und an der Seite einen Seitenschlitz hat. Dazu trage ich ein enganliegendes weißes Tshirt und goldenen Schmuck. Seine Kette ebenso, den Schmetterling. Meine Haare habe ich du einem hohen Pferdeschwanz gebunden und gelockt, durch den Pferdeschwanz werden die Lücken an meinem Ansatz etwas verdeckt. Nervös spiele ich mit meinem Ohrring am linken Ohr, als ich dann plötzlich schon vor ihm stehe und sein Geruch in meine Nase steigt. Er hat ein neues Parfüm. Er riecht anders. Er riecht wie er. Er riecht wie Amir. Der Druck auf meinem Herzen nimmt wieder zu. Der Schmerz sitzt ohnehin tief, doch nun fühlt es sich so an, als würde ich ihn betrügen. Ihn verraten. So, wie er mich verraten hat und dass nicht nur einmal. ,,Mina." sagt er glücklich und kommt mit kleinen Schritten auf mich zu, samt Blumenstrauß in der Hand. Kurz legt er seine Arme um mich, ehe er mir den Blumenstrauß vor die Augen hält. ,,Für dich." rosane Hortensien. So schön! ,,Oh dankeschön! Wieso denn das? Das wäre wirklich nicht notwendig gewesen, wirklich!" nehme ich diesen entgegen und atme den Duft tief ein. ,,Ich wusste gar nicht, dass du heute kommst." versuche ich ein Gespräch mit ihm zu beginnen, um meine Nervosität zu überspielen. Kaum berührt meine Hand den Türgriff, legt sich von hinten eine weitere Hand auf meine, ,,Ich mach schon." Nickend nehme ich meine Hand weg und bemerke nun, wie nah er mir ist. Wie nah er hinter mir steht. ,,Es sollte eine Überraschung werden Mina." antwortet er gegen meine Halsbeuge, während er mir nun die Tür aufhält. ,,Ach ja.. da war noch etwas, was ich dir sagen wollte." hält er mich auf, so dass ich nun im Eingang des Restaurants stehenbleibe. ,,Was denn?"
,,Mina. Ich will einfach nur, dass du es weißt. Es wird sich zwischen uns nichts verändern-" fängt er an, doch meine Ohren hören bereits für einen Moment auf, zuzuhören. Ich weiß, was er sagen möchte. Ich weiß, worauf er hinaus möchte und weiß nur allzu gut, was es anrichten und verändern wird. Er soll aufhören zu reden, den Satz nicht zu Ende sprechen.
,,Hm?" antworte ich.
,,Also erstmal: du siehst wunderschön aus. Wunder-
schön. Dein Outfit ist sogar auf meines abgestimmt, hm?" sagt er lachend. Blau weiß, blau beige. ,,Danke Jihan." sage ich und schaue im seine meeresblauen Augen. ,,Natürlich, habe extra nachgedacht, was du denn theoretisch tragen würdest, wenn du heute mitkommen würdest." antworte ich keck.
,,Diese Vorstellung gefällt mir sehr." grinst er, ehe er sich räuspert und sich dann sein gesamter Gesichtsausdruck ändert. ,,Also-"
,,Scheiße alter - ich weiß gerade nicht so ganz, wie ich anfangen soll." stammelt er vor sich hin.
,,Du hast immer viel gelacht Mina, das liebe ich. Ich liebe es, wie du deine Haare nach hinten wirfst, wenn du nervös wirst und dann mit deinen Ohrringen spielst. Wie du nie nein sagst, wenn man dich um etwas bittet. Wie du-" mein Hals wird staubtrocken. Ich kann nicht einmal meinen Speichel runterschlucken. Er soll aufhören. Ich will es nicht wissen. Zwei Herzen werden brechen, wenn er weitermacht. Er tritt näher. ,,Ich weiß, was Sache ist und will auch gar nichts vorschlagen oder verlange auch nichts von dir, wie könnte ich auch? Ich wollte einfach, dass du es weißt, denn so fällt mir eine riesige Last von den Schultern. Ich weiß, dass du etwas anderes noch nicht los lassen kannst, ich will mich keinesfalls aufdrängen. Wallah ich will das nicht! Ich fand einfach nur, dass es richtig wäre, wenn du es weißt. Das ist alles." sagt er und das große Lächeln, das Leuchten in seinen Augen ist fort, nachdem sein Blick auf meinen fällt. Ich bin der Grund, dass das strahlen erlischt worden ist. ,,So, wollen wir dann rein?" fragt er, räuspert sich und setzt sein aufgesetztes Lächeln auf. Stumm lege ich meine Arme um ihn und ziehe ihn an mich. ,,Es tut mir so, so unfassbar leid Jihan." flüstere ich atemlos. ,,Ich weiß." antwortet er.
,,Dass reicht mir bereits." sagt er lächelnd, löst sich von mir und hält mir seinen Arm hin, damit ich mich einhaken kann. ,,Irgendwann vielleicht."
,,Du solltest nicht warten."
,,Das werde ich aber wohl oder übel tun müssen, nicht? Aber genug davon, die anderen warten bereits auf uns." Perplex nicke ich und folge ihm stumm.
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Herzblut
Teen FictionJasmin kämpft Tag für Tag gegen die üblichen schulischen Probleme mit ihren Freunden an ihrer Seite an. Ihre Welt ist farblos und nur auf Familie, Freunde und Schule gerichtet, bis sie ihn trifft. Er bringt zwar Farbe in ihre farblose Welt, aber ge...