Jeder zieht jeden in den Dreck

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Valeria

Im Gang der Santiago tummeln sich die Schüler. Die Jungs tragen ihre nachtblauen Blazer, darunter ein weißes Hemd und die Mädchen eine weiße Bluse und einen - eigentlich - knielangen, ausgestellten Faltenrock in dem selben Blau, dazu Kniestrümpfe. Eigentlich soll heißen, dass viele ihre Blusen so weit aufgeknöpft und den Rock so kurz abgeschnitten hatten, das sie auch gut und gerne in einem der Strippclubs in Tepito hätten unterkommen können. Wohlgemerkt ein Ort, den man besser meiden sollte.

Endlich entdecke ich unter diesen ganzen, förmlich nach Geld stinkenden Schülern meine beste Freundin.

Rosa.

„Rosa oh Gott, es tut so gut einen normalen Menschen zu sehen."

„Ach Süße, wem sagst du das." Sie seufzt und wedelt mit ihren blauen Strähnen herum.

„Na gefällt's dir?"

„Sieht super aus, gibts einen besonderen Anlass?" Rosa ist der Paradiesvogel schlecht hin. Kein einziges Mädchen an der Schule sieht so aus wie sie und kein Einziger legt sich so schnell mit ihr an.

Ich bin nur zurecht stolz, sie meine bessere Hälfte nennen zu dürfen.

Vor drei Jahren verlor ihr drogensüchtiger und zu Aggressionen neigender Bruder die Beherrschung. Er schlug sie krankenhausreif, nachdem sie eine Stunde später als geplant nach Hause gekommen war. Er war der Meinung er sei der Mann im Haus und müsse alles unter Kontrolle halten. Seither geht sie jede freie Minute ins Boxtraining und sie ist gut, sehr gut sogar.

„Süße, du willst mir nicht sagen dass du das Fest heute vergessen hast. Es findet jedes Jahr am letzten Schultag vor den Sommerferien statt. Gutes Essen, süße Jungs und ein paar Drinks."

„Ja und die V's." Ich verdrehe die Augen und verschränke trotzig meine Arme.

Das jährliche Sommerfest...Die Ansammlung aller Vollidioten, die sich an dieser Schule befinden und deren Eltern natürlich. Hauptsächlich geht es darum, die neuesten Skandale und Gerüchte wie ein Lauffeuer zu verbreiten. Es ist dabei total egal, ob zwei Elternpaare befreundet sind, sich leiden können oder hassen, sich kennen oder auch nicht. Sie könnten sogar die dicksten Freunde sein. Doch an diesem Abend zieht jeder, jeden ausnahmslos in den Dreck, nur um selbst glänzen zu können.

„Ich komm nur mit um meinen Bruder im Auge zu behalten." Hab ich das gerade wirklich gesagt? Wen juckt es schon, was der Typ macht, der mir schon Beleidigungen ins Gesicht schleudert, bevor ich am Morgen überhaupt die Augen richtig geöffnet habe.Es juckt dich doch, meldet sich irgend eine piepsige, aufdringliche Stimme in der hintersten Schublade von meinem Kopf. JA, es juckt mich aber auch nur, weil ich die einzig weibliche und vernünftige Ansprechpartnerin in seinem Leben bin, seitdem Mà tot ist und er, wenn ich nicht wenigstens ein bisschen auf ihn aufpassen würde, wahrscheinlich schon über ihr im Familiengrab liegen würde.

„Ok, soll mir recht sein. Hauptsache du bist dabei", meint Rosa.

**

Während Rosa vor meinem Spiegel steht und zum zehnten Mal das selbe Kleid probiert, spiele ich gedankenverloren mit dem mindestens zweihundert euro teuren Lieblingswhisky von Papà herum.

„Wie kann man für so eine Plörre so viel Geld ausgeben?"

„Du sollst nicht damit spielen, sondern es trinken Süße."

Sie reißt mir die Flasche aus der Hand und nimmt einen großen Schluck.

„Ja, du hast ja schon recht." Mir ist jedes Mittel recht um Pá zu verärgern und um ihm zu zeigen was passiert, wenn man seine eigenen Kinder an Dreihundertsechzig Tagen im Jahr vernachlässigt. Dieses Mal ist es nur der heiß geliebte Whisky, nächstes mal vielleicht sein Auto, wer weiß.

„Schmeiß mir das mal rüber." Ich deute mit dem Finger auf ein türkisfarbenes Kleid.

„Oho Val, hast du vor heute jemanden aufzureißen?"

„Nö, aber die wie-kann-ich-Pà-ärgern-Aktion geht in die zweite Runde."

Ich ziehe mir das Kleid über und betrachte mich kritisch im Spiegel. Es bedeckt zwar noch gut meinen Hintern und ich muss mir keine Sorgen darüber machen, das die gesamte Santiago meinen Allerwertesten sehen könnte, wenn ich mich bücke, aber es ist so weit ausgeschnitten, das ich auch gleich oben rum ohne gehen könnte.

Ich streiche mir ein paar Strähnen aus meinem von Sommersprossen bedeckten Gesicht.

Die Farbe steht mir und im Allgemeinen betont das Kleid meine Figur, die nicht perfekt ist aber auch nicht unbedingt die Schlechteste. Eine Bohnenstange bin ich jedenfalls nicht, ich habe definitiv Hüften und Rundungen, um die mich schon sehr viele beneidet, aber wiederum andere schräg angesehen haben. Vor allem die ganzen Püppchen auf meiner Schule, mit ihren platinblond gefärbten Haaren, die Sorte, welche Salatblätter als Hauptnahrungsmittel ansieht.

Ach, wen juckt das schon.

„Komm, wir gehen. Ich hab plötzlich unheimliche Lust auf dieses Fest bekommen", träller ich und schnapp mir den Whisky wieder.

Rosa scrollt etwas in ihrem Handy herum und schaut dann zu mir auf.

„Gerade hat jemand ein Bild in unsere Gruppe geschickt, auf dem sind dein Bruder und Juan auch drauf. Sie sind schon da und anscheinend ziemlich am Bechern und Leute aufmischen."

Juan, natürlich.

Mein Bruder, klar.

Am Leute aufmischen, sympathisch wie immer.

„Habe ich gerade gesagt, dass ich Lust habe dahin zu gehen? Ich habe mich irre getäuscht!"

he saved meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt