»Dort oben. Seht! Edmund!«, rief Lucy, als sie ihr Zelt verließ.
»Nein, warte. Nicht!« Peter hielt seine kleine Schwester mit einem Griff zurück.
Edmund, der mit Aslan oben auf einem Hügel stand, drehte sich zu ihnen um. Sie hatten miteinander gesprochen - worüber, hatte Peter nicht hören können. Der älteste Pevensie trug ein braunes Lederwams, worauf ein goldener Löwe gestickt war, und darunter ein grünes Stoffoberteil. Susan, die kurz hinter Lucy aus dem Zelt gekommen war, hatte ein grünes Kleid an und Lucy ein blaues.
»Guten Morgen«, begrüßte sie jemand. Es war die Königin, deren Namen den Geschwistern immer noch unbekannt war. Genervt verdrehte Peter die Augen. Sie trägt ja immer noch dieses weiße Kleid. Denkt wohl, dass sie etwas Besonderes sei, dachte er. Er mochte sie nicht. War es aus dem Grund, dass sie ihnen immer folgte oder dass sie im Rang über ihm stand, obwohl sie genauso alt war wie er.
»Morgen«, grüßten Lucy und Susan zurück, die, im Gegensatz zu ihrem Bruder, das Mädchen sehr gern hatten.
Genau in dem Moment kamen Edmund und Aslan den Hügel hinuntergelaufen.
»Es ist nicht nötig, mit ihm über das Vergangene zu sprechen«, sagte der Löwe und ging ohne ein Geräusch zu verursachen davon.
»Hallo, Leute«, begrüßte Edmund sie mit einem verlegenen Ton. Er nickte der Königin demütig zu. »Eure Majestät.« Seine Unterlippe war aufgeplatzt - anscheinend war er im Lager der Hexe geschlagen worden.
»Nenn mich Belle«, sagte die Königin freundlich.
Edmund nickte wieder – ein leichtes Lächeln zierte seine Lippen.
»Ruh dich erst mal aus«, bestimmte Peter wieder mit dem Ton eines Erwachsenen. Als er dies merkte, fügte er jedoch hinzu: »Schön, dass du wieder da bist.«
Edmund lächelte ihn kurz an, dann ging er ins Zelt.Später frühstückten die vier Geschwister an einem flachen Tisch. Es gab keine Stühle, da er zu niedrig war. Deswegen knieten sie. Sie waren von der einen Seiten von dem Zelt geschützt, von der anderen von einer steinigen Felswand. Der Wind zerrte nur leicht an den Kleidern und Haare, der Duft von Toast und gebratenem Ei lag in der Luft.
»Hier in Narnia isst bestimmt keiner dein Toast weg«, lachte Lucy. Die anderen stimmten mit ein.
Plötzlich verstummte Peter und stand auf. Er lehnte sich gegen die Felswand, er trug einen wehmütigen Blick im Gesicht.
»Was ist?«, wollte Susan wissen.
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, begann Peter. »Ihr werdet zurück nach Hause gehen ...«
»Was?«, fragte Lucy ungläubig. »Aber -«
»Ich habe Mum versprochen, dass euch nichts passiert.«
»Aber sie brauchen uns doch hier in Narnia!«, entgegnete Lucy verzweifelt.
»Es wird Krieg geben. Lucy wäre beinahe ertrunken und Ed ist fast getötet worden. Ich kann nicht zulassen, dass noch etwas geschieht.«
»Zuhause herrscht auch Krieg. Glaubst du, wir wären dort sicherer? Sie brauchen uns alle vier«, erwiderte Susan erstaunlicherweise auch Susan, die sonst immer so vorsichtig gewesen war, und erhob sich ebenfalls.
»Deine Schwester hat recht.« Ohne ein Geräusch zu verursachen war Belle aufgetaucht. »Du schaffst das nicht alleine.«
»Es liegt nicht in deiner Hand, dies zu bestimmen.« Peter funkelte sie böse an.
»Aber in deiner?«
»Du bist nicht mein Dad", sagte Edmund nun an seinen Bruder gewandt und erhob sich. »Du hast nicht das gesehen, was ich gesehen hab. Die Hexe ist damit beschäftigt, eine Armee aufzubauen, eine Armee, gegen die du nichts ausrichten kannst. Nicht allein.«
»Wenn ich etwas sagen darf -«, wollte Belle sagen, wurde aber von Peter harsch unterbrochen. »Nein! Was mischst du dich eigentlich hier ein? Sind das deine Geschwister? Nur weil du die Königin von Narnia bist, heißt das noch lange nicht, dass du hier alles bestimmen kannst.«
»Und du? Du kommandierst sie doch immerzu umher. Sie brauchen nicht einen Aufpasser, der ihnen sagt, was richtig und was falsch ist. Sie brauchen einen Bruder!«
»Was weißt du denn schon?«
»Jedenfalls mehr als du, Peter Pevensie!«
Wütend funkelten sich die beiden gegenseitig. War er am Anfang noch fasziniert von ihr gewesen, so verabscheute Peter sie nun.
»Aufhören! Alle beide!«, ging Lucy sofort dazwischen. Ihre langen gewellten Haare wehten im Wind, als sie sich zwischen Belle und ihren Bruder stellte. »Das hilft Narnia auch nicht weiter, wenn ihr euch streitet.«Die Sehne wurde nach hinten gezogen, Susan holte Luft und zielte. Dann ließ sie die Sehne los und der Pfeil durchbohrte den äußersten Ring der Zielscheibe. Enttäuscht ließ sie den Bogen sinken. Diese Chance nutzte Lucy und warf ihren Dolch. Sie traf genau in den roten Kreis in der Mitte. Sie lächelte triumphierend und rannte zu der Zielscheibe, um ihre Waffe herauszuziehen.
Auf einmal hörten die Mädchen ein lautes Wiehern und Schwerterklirren. Neugierig drehten sie sich um. Peter kam auf einem Einhorn herbeigaloppiert. Weiß war es und das Horn so lang, dass es zwei Menschen aufspießen konnte. Kurz hinter Peter tauchte Edmund auf einem braunen Pferd namens Philip auf. Die beiden Brüder kämpften gegeneinander, so dass das Klirren von Stahl über die Wiese rollte, welches als Echo von den Felsen ringsum abprallte.
Plötzlich, ohne Vorwarnung, sauste ein Pfeil knapp an Susans Kopf vorbei und traf genau in den roten Punkt der Zielscheibe. Dann ein nächster in den zweiten, noch einer in den dritten und ein letzter in den vierten. Alle Pfeile trafen jeweils in die roten Kreise der Scheiben und das mit solch einer Wucht, dass die Spitzen auf der anderen Seite zu sehen waren.
Erschrocken drehte Susan sich um. Es war Belle, die auf einem Schimmel in ihrem weißen Kleid herbeigaloppiert kam. In der linken Hand hielt sie einen wunderschönen Langbogen und auf ihrem Rücken war ein Köcher mit dutzenden Pfeilen geschnallt.
Langsam fiel sie erst in den Trab, dann in den Schritt. Gemächlich ritt sie zu Lucy und Susan. Peter und Edmund, die aufgehört hatten zu kämpfen, ritten ebenfalls in diese Richtung.
»Das musst du mir beibringen«, sagte Susan.
Belle lachte. »Wenn sich die Gelegenheit ergibt.«
Plötzlich ertönte ein dunkles Horn.
»Es kommt vom Lager!«, rief Edmund und ritt vor. Peter reichte Lucy die Hand, zog seine Schwester auf das Einhorn - Belle half Susan auf ihres - und folgte Edmund.
»Ihr habt einen Verräter unter euren Reihen, Aslan. Erinnerst du dich nicht an die Gesetze?«, fragte die Weiße Hexe. Sie stand in ihrem weißen bodenlangen Kleid vor Aslans Zelt, hinter ihr ihre Sänfte, umringt von ihren Handlangern. Dahinter standen die Soldaten des Löwen.
»Erzähl mir nichts von Gesetzen«, knurrte Aslan. »Ich war da, als alles seinen Anfang hatte.«
»Dann weißt du sicherlich, dass alle Verräter mir gehören. Sein Blut ist mein Eigentum.« Jadis drehte ihren Kopf zu Edmund, der mit seinen Geschwistern eine wenig abseits vor dem großen Zelt stand.
»Wenn Ihr ihn wollt, müsst Ihr erst an mir vorbei.« Schützend und mit erhobenem Schwert stellte Peter sich vor Edmund.
»Glaubst du wirklich, du kannst mir nehmen, was rechtmäßig mir gehört?«, sagte Jadis ohne jegliche Spur von Angst. »Kleiner König.«
Peter ließ das Schwert sinken und abwertend wandte die selbsternannte Königin Narnias sich wieder an Aslan. »Das Blut wird fließen. Narnia wird untergehen. In Eis und Feuer. Dieser Junge«, sie deutete auf Edmund, »wird sterben, auf dem Steinernen Tisch. So will es das Gesetz!«
Peter sah erst zu Aslan, dann zu Belle, die genau neben dem Löwen stand. Sie hatte ihre Hände vor dem Bauch zusammengefaltet und den Kopf gesenkt.
Warum tut sie nichts?, fragte Peter sich, einerseits verzweifelt, andererseits entzürnt.
»Genug!«, rief Aslan. »Ich möchte gerne alleine mit dir sprechen.«
Jadis schritt an den Geschwistern und Belle vorbei und folgte Aslan in sein Zelt.Nervös zupfte Susan das Gras aus der Erde. Sie warteten nun schon eine gefühlte Stunde. Aus dem Zelt hörte man nichts - keine Stimmen, keine Schreie. Wieso Schreie? Nun ja. Susan konnte sich sehr gut vorstellen, dass Aslan die Hexe umbringt oder andersherum. Obwohl. Aslan wäre viel zu sanft dafür.
Sie blickte zu Peter, der genau neben ihr hockte. Er hatte sein Schwert in den Schoß gelegt und betrachtete die Gravur nun schon zum hundertsten Mal. Alle anderen hockten ebenfalls auf dem Boden - außer die Zentauren natürlich. Theoretisch hätten die Soldaten die dutzend Handlanger der Hexe ohne Weiteres überwältigen können, doch solange es keine Befehle gab, tat niemand etwas. Nicht einmal die wahre Königin.
Plötzlich wurde der Vorhang des Zeltes zur Seite geschoben. Jadis trat hinaus. Alle erhoben sich. Sie blieb kurz vor Belle stehen, schaute erst sie und dann Edmund an. Dann Schritt sie ohne ein Wort zu ihrer Sänfte.
Belle hielt urplötzlich ein Schwert in der Hand - Susan hatte keinen blassen Schimmer woher es gekommen war - und hob es vor ihren Körper. »Was hast du mit Aslan gemacht, Hexe?«, sprach sie aus, was alle anderen dachten.
Jadis drehte sich zu dem Mädchen um und grinste hinterhältig. Bevor Belle etwas erwidern konnte, verließ Aslan das Zelt.
»Lege das Schwert nieder«, meinte er. Belle gehorchte und der Löwe wandte sich die Versammelten. »Die Hexe verzichtet auf ihr Opfer!«
Erleichtert schlossen die Geschwister sich in die Arme.
»Woher weiß ich, dass du dein Wort hältst?«, wollte Jadis wissen.
Der Löwe ließ ein gewaltiges Brüllen von sich, so dass sich die Hexe zufrieden in ihre Sänfte setzte.
Lucy drehte sich zu Aslan um, als dieser gerade zurück in das Zelt ging. Dabei bemerkte sie etwas, was ihr komisch vorkam - eine Spur von Traurigkeit ...
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Die Chroniken von Narnia - Die Königin von Narnia || Band 1
FanfictionBuch 1 Durch Zufall geraten die vier Geschwister Susan, Lucy, Peter und Edmund in die magische Welt Narnia. Kurz nach ihrer Ankunft erfahren sie, dass sie Könige und Königinnen sind und dass die weiße Hexe Narnia unter ihre Macht gebracht hat und al...