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[𝟕] 𝐑𝐨𝐭𝐞𝐬 𝐊𝐥𝐞𝐢𝐝

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Halbwegs zufrieden betrachtete ich mich im Spiegel. Noch immer hallten die Nachrichten von Leonardo in meinem Kopf. Zieh etwas Rotes an, hatte er geschrieben. Rot ist meine Lieblingsfarbe. Und ich hatte es getan. Ich hatte mir für Leonardo ein rotes Kleid angezogen. Und es gefiel mir sehr. Es war eng, knielang und sehr teuer. Ich hatte es vor etwa einem Jahr gekauft – als ich mir Ians Kreditkarte genommen und mich in die Kaufsucht gestürzt hatte, weil ich dachte, das würde meine Wunden heilen und mich glücklich machen. Jedes Mal, wenn ich in dieser Phase etwas kaufte, trug ich es nicht. Zu groß waren meine Selbstwertkomplexe. Und hätte mich der Mann, der mich seit Tagen verrückt machte und nicht in Ruhe ließ, nicht darum gebeten, würde das Kleid noch immer unberührt in meinem Schrank hängen. Aber nun stand ich hier, in einem roten Kleid, das mir ein Stück meines verlorenen Selbstbewusstseins zurückgab.

Leonardo hat mit seine Worten Schmetterlinge in meinen Bauch gezaubert, von denen ich dachte, dass sie schon lange nicht mehr existierten. Ian löste seit zwei Jahren gar nichts mehr in mir aus. Nichts Positives, jedenfalls. Keine Schmetterlinge. Nur Schmerz. Schnell lenkte ich mich von diesen trostlosen Gedanken ab und dachte wieder an Leonardo. An das Kleid. Erinnerte mich daran, was er in mir auslöste. Und dass er mich zum Lächeln brachte, ohne dass er mich berührte. Ich wusste nicht, was für ein Gefühl er in mir auslöste oder warum es sich so anfühlte, als hätte ich Schmetterlinge in meinem Bauch. Ich wusste nur, dass ich vor meinem Spiegel stand und mich so sehr auf das Fest freute, als wäre ich ein frisch verliebtes Teenagermädchen auf dem Weg zu ihrem ersten heimlichen Freund.

»Wir fahren los. Beeil dich, verdammt! Es ist schon fast fünf.« Und da war er wieder. Ian kam in den Raum gelaufen, schnappte sich seine Rolex und starrte mich wütend an. Es war noch besser gewesen, als er mich ignorierte. So wie die letzten Tage auch. Aeit meinem verbotenen Clubbesuch wusste ich, dass Ian mich am liebsten erwürgen würde. Ich beobachtete, wie er sich zurückhielt, weil er genau wusste, dass er mir nicht wehtun durfte. Die blauen Flecken an meinen Armen waren gerade erst verblasst und mein Gesicht konnte ich Gott sei Dank überschminken. Aber trotzdem hatte er das Bedürfnis, mir weh zu tun – und dieses Bedürfnis spiegelte sich in seinem bösen Blick wider, den er mir gerade zuwarf. Ich zuckte unmerklich zusammen bei dem Gedanken, dass er mir nach heute Abend wieder ganz normal wehtun würde. So wie immer.

»Ich bin fertig«, murmelte ich, schnappte meine Tasche und ging auf ihn zu. Ian blieb wie angewurzelt stehen, was mich etwas irritierte. Seine strenge Miene entspannte sich ein wenig und sein Blick war nicht mehr so boshaft wie vor ein paar Sekunden – sein Blick wurde für den Bruchteil einer Sekunde weich, ehe er wieder streng wurde. »Du hast dich ja wirklich hübsch gemacht«, kam es von ihm und noch immer verwirrt über sein plötzliches Verhalten schaute ich ihn an. Ians Blick glitt an mir auf und ab, während er einen Schritt auf mich zu machte. So nah waren wir uns tatsächlich schon lange nicht mehr gewesen. Das letzte Mal, als er so vor mir stand, hatte er mich geschlagen.

»Ja, es ist doch dein Sommerfest. Außerdem kommen meine Eltern«, erklärte ich, während er mein Kinn anhob und mir stur in die Augen starrte. Sein Blick jagte mir eine Gänsehaut über den ganzen Körper und plötzlich kam mir der Gedanke auf, dass er vielleicht etwas mitbekommen hatte. Dass er wusste, dass ich mich nicht für ihn so anzog. Dass er von Leonardo wusste. Ich hatte nichts getan. Zwischen mir und Leonardo war nichts passiert. Aber mein Herz sehnte sich danach, dass Leonardo mich berührte. Und ich hatte Angst, dass Ian das mitbekam. So ernst, wie er mich anstarrte, fragte ich mich, ob er in meinen Kopf schauen und meine Gedanken lesen konnte. »In Ordnung«, kam es von ihm und ich bemühte mich, nicht zu laut auszuatmen. Erleichterung machte sich in mir breit.

Ian trat noch ein Stück von mir weg und sah mich noch einmal an, bevor er in Richtung Haustür verschwand. »Wenigstens siehst du für deine Verhältnisse einigermaßen gut aus. In letzter Zeit hast du dich nämlich gehen lassen. Du gefällst mir immer weniger.« Mit diesen Worten knallte er die Haustür hinter sich zu und ließ mich verletzt zurück. Ich sollte mich von seinen Worten nicht beeinflussen lassen, das wusste ich. Aber sie trafen mich mit solcher Wucht, dass ich für eine Sekunde innehielt und überlegte, ob ich nicht lieber zu Hause bleiben sollte. Ian rammte mir jedes Mal erneut ein Messer in die Brust, sobald ich dafür gesorgt hatte, dass die Wunde heilte. Er machte mich kaputt. Und als auch ich das Haus verließ um ihm zu folgten, begann mein Selbstbewusstsein wieder zu bröckeln. Ich schluckte meinen Kloß herunter. Ich wollte nicht weinen und vor allem nicht vor ihm. Aber er hatte mir erneut wehgetan.

craving the deadlyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt