Gedanken

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Das Eden öffnete jeden Abend um zehn Uhr. Tobi kam um neun. Das war viel zu spät, aber wenigstens war er aufgekreuzt. Er war totenblass und redete kein Wort. Er begrüßte sowohl Cleo als auch Smilla nur mit einem Brummen und verzog sich direkt in sein Büro. Als sie eine Stunde später den Laden aufmachten, stand er aber geschniegelt auf der Matte und sah bereits viel frischer aus. Er gesellte sich zu Cleo hinter die Bar. Am Anfang machten die beide den Getränkeausschank immer allein und Smilla saß an der Kasse. So sparten sie sich in den ersten beiden ruhigen Stunden bis Mitternacht viele Angestellte. Nur Melanie, die Garderobenfrau und natürlich die Türsteher waren dann schon da. Smilla hielt die Zeit, die sie an der Kasse verbrachte, für die ruhigste der ganzen Nacht. Sie konnte sitzen und die vielen Menschen kamen erst später. Um zwölf kamen dann die meisten Aushilfen. Dann konnte sie die Kasse verlassen und rannte wie ein aufgescheuchtes Huhn durch den Laden, half überall aus, wo es eben nötig war. Und es war immer irgendwo nötig. Doch jetzt würde sie erst einmal den ruhigen Teil des Abends genießen, hier und da einen Stempel auf ein Handgelenk drücken und den ein oder anderen Flirtversuch abwehren. Nicht, dass sie etwas gegen Flirten einzuwenden hätte, aber das hier war nun mal ihr Arbeitsplatz und im Gegensatz zu den meisten Gästen kam sie nüchtern hierhin.

So langsam füllte sich das Eden. Sie begrüßte jeden einzelnen Gast mit einem Lächeln und versuchte die Gedanken an das Gespräch mit Cleo zu verdrängen. Tobi hatte nichts gesagt, als er gekommen war, aber sie wüsste schon gerne, was er darüber dachte. Er wäre bestimmt nicht begeistert, wenn er hörte, was seine Freundin für Pläne hegte. Oder etwa doch? Sie lächelte ihr Gästelächeln und drückte einen Stempel auf ein weißes Handgelenk durch dessen Haut die blauen Adern schwach hindurch schimmerten. Dann nahm sie das Eintrittsgeld des Nächsten in der Schlange entgegen. Sie wechselte. Wieder ein Stempel. Was wäre, wenn Tobi unter dem Druck zusammenbrach? Wenn er keinen Bock mehr auf den ewigen Stress hatte? Wenn er sich mehr Freizeit wünschte, oder er glaubte, dass die Migräne besser werden würde, wenn er es ruhiger angehen ließ? Sie seufzte schwer, zwang sich zu einem Lächeln und verabschiedete den nächsten Stempel. Natürlich war es total lächerlich so etwas über Tobi zu denken, denn er würde das Eden niemals hergeben. Andererseits musste sie zugeben, dass die Anzahl der Migräneanfälle in den letzten zwei, drei Jahren rasant gestiegen war. Früher hatte er es nur ein paar Mal im Jahr gehabt. Jetzt bekam er fast jeden Monat die tückischen Kopfschmerzen.

Um zwölf wurde sie an der Kasse abgelöst und ging zu Tobi und Cleo hinter die Bar. Dort war bereits die Hölle los. Die Gäste drängten sich gegen den Tresen und bestellten im Akkord. Cleo bediente. Tobi machte die Getränke fertig. Das machten sie meistens so, weil Tobi der Meinung war, dass sie dann mehr verdienen würden, weil die Männer bei einer Dame doch gerne mal Trinkgeld springen ließen. Smilla schob sich neben ihren Bruder, der gerade einen Longdrink mixte.
„Alles okay?", fragte sie. Er blickte nicht einmal auf. Seine Hände verrichteten geübt ihre Arbeit, schoben den Drink direkt an Cleo weiter und griffen sich das nächste Getränk.
„Ja. Bei mir schon."
Smilla machte ein abfälliges Geräusch.
„Zwei Heineken!", rief Cleo. Smilla holte zwei Bier aus dem Kühlschrank und schob sie in Cleos Richtung.
„Wieso soll bei mir nicht alles okay sein?"
Tobi lächelte kaum merklich. Sie sah ihn von der Seite an. Seine Gesichtsfarbe verriet, dass er keinen guten Tag gehabt hatte. Aber ansonsten sah er aus wie immer, wie dieser feierwütige Clubbesitzer, der doch nie feierte und immer nur hart arbeitete. Er trug ein grünes T-Shirt, seine Haare waren verstrubbelt und standen wild durcheinander. Manchmal trug er eine Kappe. Heute nicht.
„Cleo meinte, ihr hättet euch ein bisschen angezickt."
Smilla verdrehte die Augen und reichte Cleo das nächste Bier.
„War nichts Wichtiges..."
Tobi hielt tatsächlich in seiner Arbeit inne und sah sie an. Sein Blick hatte etwas Prüfendes. So als wäre er ihre Mutter. Ja, so hatte Mama auch immer geguckt. Bevor sie mit diesem Immobilienmakler durchgebrannt und in die USA abgehauen war.
„Sie will nur, dass ich weniger Stress habe", sagte Tobi so leise, dass sie ihn aufgrund der Musik kaum verstanden hätte. Smilla öffnete langsam den Mund. Erstaunt sah sie ihn an. Er lächelte gequält und winkte dann ab.
„Keine Angst, ich geb' die Bar nicht her... du würdest sie wahrscheinlich sowieso innerhalb kürzester Zeit gegen die Wand fahren."
Sie riss empört die Augen auf, spürte aber gleichzeitig große Erleichterung über sich hereinbrechen. Trotzdem kniff sie ihn zur Strafe in die Seite.
„Blödmann."
Er grinste und zwinkerte ihr zu. Dann redeten sie nicht mehr. Aber es gab ja auch genug zum Arbeiten. Nach einer Stunde machte sie einen Kontrollrundgang. Sie überprüfte, ob der Getränkenachschub funktioniert, ob die Toiletten ordentlich waren und ob an der Kasse alles lief. Sie sprach mit dem DJ und der Security. Der Kontakt zu den Mitarbeitern war wichtig und ihnen fiel oft als erstes auf, wenn irgendetwas nicht besonders gut lief. Zu guter Letzt machte sie einen Streifzug in die Sitzecken, wo auch die Tischkicker standen. Das Eden war gut gefüllt. Sie sah einige Stammgäste und musste sich zwingen. sich nicht in ein Gespräch verwickeln zu lassen. Sie plauderte hin und wieder auch ganz gerne. Leider musste sie arbeiten. Und gerade, als sie wieder zur Bar gehen wollte und am letzten Tisch vorbei ging, streckte jemand, der dort saß, seine Hand aus und machte eine auffordernde Bewegung.
„Hey, Smilla!"
Sie blieb ruckartig stehen, um zu sehen, wer der Kerl war und blickte in ein grinsendes Gesicht.


Ihr Lieben, ich wollte mich hier auch mal kurz melden und euch nicht einfach kommentarlos eine Story vor die Füße werfen ;) Es hat sich einfach mit der Zeit ergeben, vielleicht werden euch hier auch einige Passagen aus den "Bits by Felix Lobrecht" auffallen, damit ist nämlich alles so ein bisschen ins Rollen gekommen :). Ich bin hier und da noch am Feinschliff zugange, aber ansonsten bin ich sehr gespannt, was ihr von Smilla und ihrer Truppe haltet. Über konstruktive Kritik und Vorschläge freue ich mich auch hier übrigens sehr und wünsche euch viel Spaß beim Lesen! :)

Nachtleben [Felix Lobrecht FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt