Geburtstag

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Der Frühling bahnte sich langsam an, es wurde jeden Tag wärmer und Smilla genoss diese Jahreszeit so sehr wie nie zuvor. Sie war mittags oft draußen, traf sich mit Felix und fand es großartig, dass man wieder Zeit an der frischen Luft verbringen konnte, ohne zu erfrieren.
Das mit ihr und Felix lief wunderbar einfach. Sie war ganz überrascht wie einfach. Sie hatte das Gefühl, dass er sie öfter anrief als vorher, aber ansonsten hatte sich nicht viel geändert, außer, dass sie jetzt irgendwie zu zweit waren und das Schöne daran war, dass sie trotzdem genügend Zeit für sich alleine hatte. Und zwar so viel, dass sie ihn irgendwann vermisste und ihn von sich aus fragte, ob er Zeit hätte. Sie hielt das für ein gutes Zeichen. Es war nicht so, dass nur einer dem anderen hinterher rannte, sondern sie hielten beide den Kontakt. Manchmal war er so im Stress, dass er nur wenig Zeit für sie hatte, aber das war okay. Dadurch hatte sie das Gefühl, dass jeder etwas hatte, das ihm allein gehörte.

Smilla merkte, dass er sie versuchte in seinen Freundeskreis einzubinden, aber das war kaum möglich, weil sie die ganze Nacht arbeitete und selten dabei sein konnte, wenn er etwas mit seinen Leuten unternahm. Manchmal kam sie mit, wenn sie abends einen trinken gingen, dann verabschiedete sie sich aber spätestens um zwölf, um arbeiten zu gehen und Alkohol konnte sie dann auch nicht trinken. Doch zu Julian entwickelte sie ein sehr gutes Verhältnis. Zuerst dachte sie, dass er der stillere von beiden Brüdern war, fast schüchtern, und sie hatte ihn mehrmals ertappt, wie er sie ansah, als würde er sie abchecken und versuchen wollen sie einzuschätzen, aber er taute mit der Zeit immer mehr auf. Sie konnten über den gleichen Mist lachen und er hatte eine angenehme, unaufgeregte Art an sich, sodass sie gerne Zeit mit ihm verbrachte.

Morgen hatte sie Geburtstag und Felix wusste es nicht. Sie hatten nie darüber gesprochen und sie fragte sich die ganze Zeit, ob sie es ihm sagen sollte, ob er sauer wäre, wenn er es nicht erfuhr. Sie wusste, dass er heute aus Österreich wiederkam, heute Morgen um zehn sollte er ankommen. Er hatte gesagt, dass er sie morgen früh von der Arbeit abholte, damit sie sich sehen könnten. Doch sie wollte ihn heute schon sehen. Weil sie ein schlechtes Gewissen hatte, weil sie fand, dass sie ihm sagen sollte, dass sie morgen neunundzwanzig wurde. Er musste ihr auch nichts schenken, das wollte sie gar nicht. Sie hielt nicht allzu viel von ihrem Geburtstag, aber sie wusste, dass andere Leute das taten. Cleo hatte für Tobi zum Beispiel letztes Jahr eine Riesenparty im Eden geschmissen. Sie hatte alle seine Freunde eingeladen und die Aushilfen mobilisiert, damit Tobi nicht selbst arbeiten musste. Er hatte von nichts gewusst und Smilla hatte geglaubt, dass er fast geheult hätte, als er damit überrascht worden war. Sie hätte niemals so etwas gewollt. Sie mochte es nicht, im Mittelpunkt zu stehen, nicht auf diese Weise. Und sie mochte es nicht, von anderen etwas zu erwarten. Geschenke zum Beispiel. Oder Parties. Aber sie fand, dass sie es Felix trotzdem sagen musste. Also machte sie sich mittags auf den Weg zu ihm. Sie könnte ihn vorher anrufen, wollte ihn aber überraschen. Also fuhr sie mit dem Bus zu ihm, aber das war gar nicht so leicht, denn als sie zum ersten und bisher einzigen Mal in seiner Wohnung gewesen war, hatte sie nicht so genau gewusst, wo sie hinfuhr. Aber sie erinnerte sich, dass es in der Nähe von einem Planetarium war und da fuhr sie einfach hin, ging von dort aus zu Fuß und erkannte tatsächlich den Straßenzug, in dem er wohnte. Sie sah sich nach seinem Auto um, fand es aber nirgendwo. Vielleicht war er doch nicht da und sie bekam schon schlechte Laune, weil sie sich schon vorgestellt hatte, wie überrascht er sein würde, wenn sie einfach so vor der Tür stand. Wahrscheinlich war er hundemüde, aber sie würde einfach mit zu ihm ins Bett kriechen und ein wenig vor sich hindösen, während er schlief. Seufzend ging sie auf die Haustür zu und drückte auf die Klingel. Wenn sie schon mal hier war, konnte sie es wenigstens probieren. Vielleicht hatte er auch um die Ecke geparkt, weil vor seinem Haus nichts mehr frei gewesen war. Sie drückte die Klingel durch. Niemand öffnete ihr. Sie holte ihr Handy hervor und rief ihn an. Sie musste eine Weile durchklingen  lassen, bis er sich meldete.
„Na, haste mich vermisst?"
Sie hörte das Grinsen in seiner Stimme und es war ansteckend.
„Hör schon auf, sag mir lieber, wo du bist."
„Zuhause. Wir haben ne Ewigkeit im Stau gestanden."
Sie hob die Augenbrauen und drückte noch einmal auf die Klingel.
„Wieso machst du mir dann nicht auf?"
„Was?"
„Ich steh vor deiner Tür."
Einen Moment herrschte Totenstille. Dann hörte sie Stimmen im Hintergrund, die sich nach zwei Frauen anhörten.
„Felix?"
Es dauerte eine Weile, bis ihr klar wurde, dass er sie angelogen hatte. Es war wie ein Schlag ins Gesicht. Sie kam sich dämlich vor und lief rot an, obwohl sie ganz alleine hier stand.
„Okay", sagte sie langsam, „Du willst mir nicht sagen, wo du bist."
„Smilla..."
„Schon gut, vergiss es einfach."
Sie legte auf. Sie war sauer. Ihr Herz klopfte hastig in ihrer Brust.

Um Mitternacht wollte sie jemanden umbringen, als Tobi und Cleo sie zur Seite nahmen und ihr einen winzigen Kuchen mit einer einzigen brennenden Kerze darauf unter die Nase hielten. Sie hatte keine Lust auf erzwungene Fröhlichkeit. Und schon gar nicht jetzt. Die Arbeit nervte sie und sie dachte die ganze Zeit an Felix, der sie einfach anlog. Sie fragte sich, ob er einen Grund dafür hatte, oder ob er einfach ein bisschen mehr Privatsphäre wollte, ob es sein konnte, dass er sich von ihr eingeengt fühlte. Das wollte sie wirklich nicht, denn sie wusste, wie sich das anfühlte. Sie hatte früher auch gelogen, zum Beispiel, als Phil sich immer wieder mit ihr hatte treffen wollen, da hatte sie ihm gesagt, sie müsste viel zu viel arbeiten und selbst wenn sie nicht arbeiten musste, hatte sie immer irgendetwas vorgehabt. Doch als Tobi und Cleo mit diesem süßen Geburtstagsküchlein vor ihr standen, da konnte sie nicht mehr darüber nachdenken, da konnte sie nur noch schlechte Laune haben. Tobi umarmte sie. Cleo drückte ihr sogar einen Kuss auf die Wange und sie ließ es über sich ergehen.
„Cleo hat den Kuchen gebacken", sagte Tobi mit einem bedeutsamen Blick, „Sie ist deswegen extra früh aufgestanden. Sie musste ja noch in die Bäckerei."
Smilla verzog das Gesicht. Sie wusste, warum er ihr das sagte. Er versuchte ihr nur zu zeigen, wie viel Mühe sich Cleo ihm Gegensatz zu ihr gab. Doch dann bekam sie ein schlechtes Gewissen und lächelte in Cleos Richtung.
„Sollen wir schnell ein Stück essen?"
Cleo nickte sofort, nahm Smilla den Kuchen wieder ab und schnitt ihn in kleine dreieckige Stücke. Dann nahmen sie jeder eines in die Hand und aßen es so schnell es ging. Die Arbeit wartete schließlich nicht. Cleo hatte einen Nusskuchen gebacken, der, wie Smilla zugeben musste, ziemlich gut schmeckte. Sie schluckte hastig einen großen Brocken hinunter.
„Danke, das war echt lieb von dir", sagte sie so fröhlich wie möglich und ging dann an den beiden vorbei. Cleo sah sie überrascht an, sah dann zu Tobi, der mit den Schultern zuckte.

Um viertel vor sechs verließ Smilla das Eden. Sie war müde und ausgelaugt, trat mit gesenktem Kopf durch die Tür, kramte in ihrer Tasche herum und blieb schließlich auf dem Bürgersteig stehen. Sie suchte nach ihren Zigaretten, doch sie fand sie nicht. Wahrscheinlich hatte sie die Schachtel irgendwo unten liegen lassen. Sie wollte sich gerade umdrehen, als ihr jemand eine Kippe unter die Nase hielt. Sie hob langsam den Kopf. Felix stand vor ihr, selbst mit einer brennenden Fluppe zwischen den Lippen.
Sie hob die Augenbrauen, nahm aber die Zigarette.
„Was machst du hier?", wollte sie wissen und zündete die Zigarette an.
„Ich hol' dich ab, wir waren verabredet."
Sie zog hektisch an der Zigarette. Sie hatte nicht geglaubt, dass er aufkreuzen würde. Nicht, nachdem er sie gestern am Telefon angelogen hatte, nachdem sie einfach aufgelegt hatte. Sie hatten seitdem nicht mehr gesprochen und sie hatte angenommen, dass ihr Date damit hinfällig war.
„Ich hab 'ne Überraschung für dich", sagte er ernst und sah sie an, „Ich glaube, ich muss was gut machen."
Sie sagte nichts. Sie mochte keine Überraschungen, denn die konnte man nicht kontrollieren, allein Cleos Kuchen hatte ihr gereicht. Trotzdem kam sie nicht umhin sich zu freuen, dass er sich Mühe gab.
„Kommst du mit?"
Sie zuckte mit den Schultern und antwortete nicht. Sie wusste es wirklich nicht. Ihr war lieber nach schmollen zumute. Felix atmete langgezogen aus und schob sie schließlich in Richtung Auto, dort nahm sie widerwillig auf der Beifahrerseite Platz, bis er dazustieg.
„Wehe die Überraschung ist scheiße", sagte Smilla trocken, „Dann musst du heute in der Badewanne schlafen."
„Ick hab keine Wanne."
„Wir fahren zu dir?"
Er nickte und sie resignierte innerlich. Sie mochte seine Wohnung einfach nicht. Aber sie beschloss ihm die Chance zu geben den Fauxpas von gestern wieder gut zu machen.

Nachtleben [Felix Lobrecht FF]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt