Kapitel 9

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Ich wagte mich nicht allzu weit in die Finsternis vor aus Furcht davor, vielleicht den Weg zurück nicht mehr zu finden. Doch meine kurze Erkundung reichte aus um sicher sagen zu können, dass es sich um ein ganzes Netz aus miteinander verbundenen Tropfsteinhöhlen handelte. Früher hätte sowas riesige Wellen geschlagen und es wären scharenweise Touristen hier herum geklettert, um diese Naturschönheit zu besichtigen. Aber ich fand weder Zeichen von Erschließung, noch einen direkten Weg nach draußen und allein im Licht der Taschenlampe wirkten die Stalagtiten weniger atemberaubend schön, sondern vielmehr wie spitze steinerne Zähle, die nur darauf warteten, mich aufzuspießen.

Doch schien ich in unmittelbarer Nähe nun auch das einzige Lebewesen zu sein. Alles was ich gehört hatte, waren meine Schritte, mein Atem und das sanfte Platschen kleiner Wassertröpfchen in unregelmäßigen Rhythmen überall um mich herum gewesen. So oft ich auch angehalten und gelauscht hatte, nichts anderes hatte sich bewegt.

Ich war zurückgekehrt, hatte die geschundene Leiche des Bombers nach einigem Zögern bei den Beinen gegriffen und ihn zumindest in die nächste abgeschottete Kammer geschleppt in der Hoffnung, dass sein Gestank nach fauligem Fleisch mich von dort nicht mehr stören würde. Jetzt musste ich nur noch abwarten und... und wenn es soweit war, musste ich sterben.


Ich hatte deutlich unterschätzt, wie schrecklich es war, warten zu müssen. Solange ich etwas zutun gehabt hatte, konnte ich mich wenigstens ablenken von den Gedanken an mein baldiges Ende. Jetzt hatten sie ungehinderten Zutritt und niemand konnte mir dagegen helfen.

Dass mein Inneres dagegen protestierte, den einfacheren Ausweg zu nehmen, hatte aber wenig mit Überlebenswillen zutun. Das hatte ich schnell verstanden. Vielmehr war es eine Form von selbstzugeführter Folter. Ich fühlte mich, als hätte ich ein kürzeres Ende nicht verdient und der pessimistische Teil in mir stellte sicher, dass mir immer neue Gründe für das Warum einfielen.

Du hättest gar nicht bis hierher überleben sollen, also sei doch jetzt dankbar für jede Minute, die du noch hast!

Du hättest der Frau in Bamberg helfen sollen, anstatt sie zu den Wachen zu schicken.

Du hättest sowieso viel mehr Menschen helfen sollen. Stattdessen warst du so egoistisch und hast alles für dich behalten. Andere könnten noch leben und schau, wohin dich das gebracht hat!

Du hast es als Krüppel nicht besser verdient!

Und außerdem...

Du hattest Jannis eh nicht verdient. Er kommt auch ohne dich klar. Vielleicht sogar besser als mit dir. Dass es erst so weit kommen muss, damit dir das klar wird.

Wann immer dieser Gedanke wiederkehrte, zog ich meine Knie ein wenig enger an meinen Körper und vergrub mein Gesicht in ihnen - sofern das mit dem verkrüppelten Knie möglich war. Die Überzeugung spukte schon so lange in meinem Kopf umher, wie ich Jannis kannte. Doch bisher hatte er mir jeden Tag zeigen können, dass solche Sorgen von meiner Seite unbegründet waren und er mich liebte, Bein hin oder Bein her. Er hatte sogar meinen Antrag angenommen. Hätte den Rest seines Lebens mit mir verbracht. Aber jetzt war er nicht da und das Gefühl, den Platz an seiner Seite nur temporär besetzt zu haben wie ein notwendiges Übel wurde stärker und stärker. Vielleicht hätte es jemand besseren statt mir gegeben, der Jannis jeden Wunsch erfüllt hätte. Jemanden, den er wegen mir niemals so kennengelernt hatte. Ich meine, was sprach schon für mich? Ich war vor der Apokalypse arm gewesen, hatte kaum etwas zu unserer Miete beisteuern können und keine Arbeit gefunden dank meiner Behinderung. Ich hatte ihm komische Blicke und Kommentare eingehandelt, dass er sich doch nicht mit einem wie mir abgeben musste. Und nach dem Zombieausbruch hatte ich Kaninchen gekillt. Das war meine einzige wirkliche Aufgabe gewesen, die jemand anderes leicht übernehmen konnte. Ja, eigentlich war ich bloß ein gigantischer Klotz am Bein gewesen...

The Wasteland WithinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt