Kapitel 11

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Ich wusste nicht was mich in diesem Moment überkam, aber ich warf alle Vorsicht über Bord. So schnell ich nur humpeln konnte, stürmte ich in das Haus und kniete mich neben den Fremden. Er blutete nicht offensichtlich, weder am Kopf den er sich weiterhin hielt, noch an seinen Beinstummeln, die aus der Nähe nach lange verheilten Amputationen aussahen. Ich verstand es nicht. Wie war dieser Kerl nach einem Jahr der Zombieapokalypse noch am Leben?! Er konnte nicht einmal fliehen wenn ihn ein Bomber verfolgte! Geschweige denn von Essen besorgen. Mit vor Nervosität gepresster Stimme flüsterte ich zu ihm: "Hey, hey, Sie. Können Sie mich hören? Was ist pas-?"

"Ich geh mal nachsehen", rief einer von den Männern eine Etage über uns und schlagartig wurde ich mir wieder meiner eigenen Situation bewusst. Die würden mich sehen! Wenn ich jetzt weglief, konnte ich mich vielleicht noch irgendwo verstecken und meine eigene Haut retten. Aber-, aber was passierte dann mit dem Alten? War er ein Gefangener der Gruppe, würden sie ihn stattdessen umbringen? Mit ihm zusammen flüchten würde ich nicht mehr schaffen, dazu fehlte uns die Zeit. Was sollte ich tun?

Ich entschied innerhalb eines Sekundenbruchteils. Wie ein menschliches Schutzschild stellte ich mich zwischen den anderen Krüppel und die massive Holztreppe, auf deren oberen Stufen gerade zwei massive schwarze Lederstiefel aufgetaucht waren. Es war Selbstmord was ich hier tat. Ein Schuss oder ein Faustschlag und ich lag ebenso am Boden, ich hatte nichts zur Verteidigung! Ich konnte den Mann jedoch nicht einfach zurücklassen. Irgendwie hatte er bis jetzt überlebt und ich fühlte eine augenblickliche Verbundenheit zwischen uns. Wenn er jetzt starb während ich wie ein Feigling Reißaus nahm, dann konnte ich mir das niemals verzeihen. Außerdem war ich eh schon ein wandelnder Toter, wieso meinen letzten Atemzug nicht dazu nutzen, um einmal etwas heroisches und richtiges zu tun?

Nach den Stiefeln erschien bald ein ganzer Kerl auf der Treppe, der mich zuerst verdutzt und dann wütend ansah. Seine linke Hand wanderte zu seinem Rambo-mäßigen Waffengürtel um seinen Oberkörper: "Hey! Weg von unserem alten Sack! Hast du ihm das angetan?!"

Ich war wie erstarrt. Aber selbst wenn ich mich hätte bewegen können, wäre ich nicht zur Seite gewichen. "Bist du taub?", brüllte mein Gegenüber und zückte eine Handfeuerwaffe, die er direkt auf mein Herz richtete, "Oder infiziert? Weg da!"

Er entsicherte und ich schloss meine Augen. Auf Wiedersehen Jannis... Ich hatte mich die letzten drei Tage erstaunlich gut geschlagen dafür, dass du nicht bei mir warst. Aber vielleicht war dieses Ende wirklich nicht das schlechteste. Besser jedenfalls als am Boden der Tropfsteinhöhle. Ich bereitete mich auf die bohrenden Schmerzen in meiner Brust vor, gleich, hoffentlich kurz, ganz kurz nur...!

"Andreas, Stopp. Nicht schießen!"

Ich blinzelte verwundert, bevor mich eine Hand am Fußknöchel packte und mich beinahe vor Schreck hätte aufschreien lassen. Der alte Mann kämpfte sich von seiner Position hinter mir nach vorne, eine Hand immer noch seitlich an seinen Kopf gepresst. "Meine Schuld. Der hier ist nur reingeplatzt. Lass ihn leben."

Ich war zu verblüfft um etwas zu sagen. Der Alte kannte diesen Kerl und der ließ wirklich seine Waffe sinken. Das Gebrüll hatte auch noch die anderen angelockt, die sich jetzt hinter Andreas auf der Treppe aufbauten und mich feindselig ansahen. Insgesamt waren es sechs muskulöse Typen, bei einem Großteil waren Vollbärte unter ihren vor den Mund gezogenen Halstüchern zu erahnen. Alle bis auf einen von ihnen sahen aus wie dreißig bis vierzig Jahre alt. Der letzte wirkte eher wie mein Alter, Ende zwanzig, aber auch mit deutlich breiteren Schultern als ich. Ich schluckte ängstlich, immer noch unfähig, um mich aus meiner abschirmenden Haltung zu lösen.

"Der trägt keinen Mundschtz. Er ist sicher schon infiziert Tom, warum soll ich ihn leben lassen. Damit wir uns alle die Sporen einfangen?"

Mir wurde siedend heiß. Ich Trottel, ich hätte mir das Tuch wieder umbinden sollen! Jetzt würden sie mich doch noch erschießen! Aber niemand bewegte sich, zückte eine weitere Waffe oder tat etwas gegen mich. Sie schienen zu warten. Ich verstand nur nicht worauf, bis der Alte auf sich aufmerksam machte. Der Anblick, wie er sich auf seine Arme gestützt aufrecht hielt und vorwärts bewegte, war sehr befremdlich für mich. So jemand hätte einen in Horrorfilmen früher mit unmenschlicher Geschwindigkeit verfolgt. Er betrachtete mich skeptisch: "Kontakt mit einem Bomber gehabt?"

The Wasteland WithinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt