"Erik!" Durch den Regen war es unmöglich zu erkennen, ob Jannis' Gesicht voll Wassertropfen oder Tränen war als er so mit schwacher Stimme flehte. "Erik, bitte! Ich kann mich nicht festhalten!"
Betrunken von der Menge an Möglichkeiten musste ich von der Steilwand zurücktreten, um nicht selbst kopfüber hinabzufallen. Es war nicht so, als hätte ich niemals eigene Entscheidungen in meinem Leben getroffen. Ich hatte mich entschieden, die Worte meines Arztes nicht ernst zu nehmen, weil Fußball einfach mehr Spaß machte. Ich hatte mich entschieden, mich nach meinem verpatzten Studium doch nach einer Arbeitsstelle in der Firma umzuschauen, in die es mich als Bachelor auch verschlagen hätte, und hatte das Angebot dankend angenommen. Ich hatte mich entschieden, mich aus dem dunklen Bomber-Loch und dem Gedankensumpf rauszukämpfen und immer weiter nach Jannis zu suchen, so klein die Chance auch war, weil ich dachte dass es das wert sei. Aber das hier und jetzt war etwas anderes. Ich hatte das endgültige Sagen über den Menschen, der mir lange Zeit die Welt bedeutet hatte und niemand konnte mir sagen, welche Entscheidung für mich die richtige, gute, herzlose oder falsche Entscheidung war. Nicht einmal ich selbst konnte das. Was sollte ich tun?
"Wie oft hast du mit ihm geschlafen?", fragte ich zuerst. Mein Ton und Lautstärke klangen beinahe, als fragte ich den Tankstellenwart über das Kassenpult hinweg, ob er noch eine Packung meiner Lieblingszigaretten für mich aufgehoben hatte. "Was?!", kam sofort die entgeisterte Gegenfrage von unten. Ich wiederholte: "Wie oft hast du mit Arthur geschlafen?"
Stille, außer den peitschenden Bindfäden vom Himmel wenn sie am Boden zerstoben, dem Pfeifen einer aufgekommenen Windböe und angestrengtem Stöhnen von Jannis. "Zehn Mal", presste er dann zwischen seinen Zähnen hervor. Dreimal mehr als ich sie dabei erwischt hatte. Glaubte ich ihm das? Es war jedenfalls keine offensichtliche Untertreibung, um seinen Arsch zu retten. "Und warum hast du-?"
"Bitte Erik, ich rutsche ab! Ich kann mich nicht mehr halten! Wenn du mich hochziehst, dann-"
"Halt den Mund!", brüllte ich zurück. Ich war so laut geworden, dass meine Stimme von irgendwo sogar ein Echo zurückwarf. "Ich habe so lange gezweifelt warum du ausgerechnet mich als Partner haben wolltest und dann höre ich, dass ich nur dein Projekt zum Reparieren war? Du hast mir eingetrichtert, dass ich ein hoffnungsloser Pessimist bin, du wolltest dass ich meine Probleme einfach davon lächel weil das einfacher für dich war, während ich jeden Tag versucht habe, einfach nur wie ein Mensch zu funktionieren. Du bleibst da hängen bis- bis du verstehst wie sich das anfühlt, die ganze Zeit kämpfen zu müssen!"
Es fühlte sich gut an, diesen Ballast jetzt auch im echten Leben loszuwerden, nicht nur an die Traumversion meines Partners. Gleichzeitig hatte ich ein komisches Gefühl als ich mich nach diesem Ausbruch zurücklehnte um Luft zu schnappen. Als hätte ich im Winter zu heftig eingeatmet und die winzigen Schneekristalle in der Luft bis in meine Lungen gezogen. Nicht reizend genug für ein Husten, aber unerwartet, kühl und prickelnd.
Wieder erwartete mich Stille. Kurze Zeit fürchtete ich, dass Jannis bereits losgelassen hatte und sein Fall in meinem Gebrüll untergegangen war. Aber da hing er noch, verzweifelt aufschauend und zunehmend blasserem Gesicht. "Es tut mir leid", rief er schließlich zu mir hoch, "Ich hatte keine Ahnung. Und du bist nicht mein Projekt."
Das Prickeln wurde zu einem Pieken. Wie ein kleiner Stein im Schuh, der nur bei jedem zehnten Schritt ungünstig genug lag um beim Laufen zu stören. "Über was hat Arthur dann geredet? Zieht er sich das nur aus dem Hintern weil er gerade lustig ist?"
"Ja. Jein. Arthur ist ein Arschloch!", kam von der Steilwand zurück. Seine Finger mussten mittlerweile vor Anstrengung blutleer sein, so hell leuchteten sie im Lampenlicht. "Ich hatte wirklich gedacht, ich könnte deine Depressionen heilen nur weil ich für dich da bin, das macht dich nicht zu meinem Projekt! Aber Arthur weiß was er sagen muss, um mich zu manipulieren."
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The Wasteland Within
Novela Juvenil"Bei einem Zombie Überfall wäre ich sicher der Erste, der draufgeht." Doch entgegen seiner Überzeugung ist der gehbehinderte Erik auch Monate nach dem Ausbruch noch immer am Leben. Zusammen mit seinem Partner Jannis schlägt er sich jeden Tag tapfer...