„... ist in einer stabilen Lage. Der Zusammenprall war nicht tödlich. Vorherige Verletzungen und ihre allgemeine körperliche Lage waren besorgniserregender. Sie wird eine retrograde Amnesie haben, was das bedeutet wissen sie bestimmt. Nun können sie zu ihr, aber nur eine Person zur Zeit."
Mit Tränen in den Augen wand ich mich zu meiner Mutter und meiner Schwester. Sie hatten sich auch beide erhoben und nickten nur mit einem leichten Lächeln. Ich wusste wo das Zimmer war, in dem Sydney lag. Während ich durch die Gänge lief, hatte ich einen merkwürdigen Tunnelblick. Um mich herum verschwamm alles und ich hatte nur die Nummer des Zimmer in meinem Kopf - 266, 267, 268, 269, 270, 271, 272, 273... 273. Regungslos stand ich vor dem Zimmer und schon bei einem Blick durch das kleine Fenster zog sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Der Anblick war kaum auszuhalten. Sie war so zugerichtet und trotzdem gab es keinen schöneren Menschen, als sie. Meine Hand zitterte, als ich nach dem Türgriff griff und ihn runterdrückte. Das Piepen der Maschinen, die an ihr durch Schläuche hingen, hallten in meinem Kopf. Ganz langsam trat ich an sie heran. Ohne Kontrolle darüber zu haben, fiel ich auf meine Knie, sodass ich mit ihr auf Augenhöhe wäre. Wie gerne würde ich ihre wundervollen Augen sehen. Ich nahm ihre kleine Hand in meine eigene und umhüllte sie schon fast. Ihr ganzer Körper kam mir zierlicher, kleiner und schmaler vor. „Es tut mir so Leid", flüsterte ich und küsste ihre Hand „So, so Leid."
„Bitte vergiss mich nicht, Sydney. Bitte, bitte vergiss mich nicht", flehte ich sie an, auch wenn ich wusste, dass sie mich nicht hörte.So lange ich konnte, blieb ich noch bei ihr. Da sie in der Nacht behandelt wurde, hatte ich den restlichen Tag Zeit, um bei ihr zu sein. Ich wich ihr kein einziges Mal von der Seite. Bis zum Abend kauerte ich neben dem Krankenhausbett und hielt ihre kalte Hand.
„Aiden? Die Besucherzeit ist um - wir müssen nach Hause", sagte meine Mutter. „Nein, nein Mom was ist, wenn sie später ganz alleine aufwacht? Wir können sie nicht alleine lassen. Was ist, wenn dieser Typ wiederkommt?"
„In einem Krankenhaus ist sie nicht alleine. Wenn sie wach ist, werden die Ärzte uns kontaktieren, das verspreche ich dir. Und dieser Mann wird hier ganz sicher nicht herkommen."
Ich schaute sie mit flehenden Augen an, doch dann kam schon ein Arzt und schickte uns raus. Ich sah noch einmal durch das Fenster zu ihr, bevor wir um die Kurve verschwanden. Haylie nahm meine Hand und ich akzeptierte es. Ihre Geste war tröstend. „Sie wird bestimmt bald aufwachen. Selbst wenn es dann mitten in der Nacht ist, fahren wir zu ihr. Sie wird nicht lange alleine sein." Ich nickte nur und folgte den beiden zu unserem Auto. Stumm setzte ich mich auf die Rückbank und starrte aus dem Fenster. Haylie setzte sich vorne zu Mom. Beide schauten während der Fahrt mehrmals zu mir. „Hört auf mich die ganze Zeit anzugucken!", sagte ich gereizt. Eigentlich wollte ich nicht meine Stimme gegen die beiden erheben, vor allem nicht jetzt. Und trotzdem war ich ihnen respektlos gegenüber. Dabei litt Haylie genauso darunter. Immerhin war Sydney ihre beste Freundin. Meine Mutter litt sowieso, weil sie eine sehr mitfühlende Person war. Wenn es ihren Kindern schlecht ging, ging es ihr auch schlecht. Und ich war mir sicher, dass sie Sydney auch in ihr großes Herz geschlossen hatte. Alleine der Fakt, dass Sydneys Mutter sie nicht im Krankenhaus besuchte, machte sie traurig. Jetzt zeigte sie aber eine noch andere Seite...
„Mom? Alles gut?", fragte Haylie. „Nein, Haylie, es ist gar nichts gut. Da liegt ein Mädchen im Krankenhaus, das von irgendeinem Mistkerl missbraucht und vielleicht auch vergewaltigt wurde. Was auch immer mit ihr gemacht wurde, es ist schrecklich. Und dann kommt nichtmal ihre eigene Mutter zu besuch. Ihre eigene Mutter. Dieses arme Mädchen musste auch so schon viel einstecken und jetzt das alles."
Ich konnte sie verstehen. Meine Mom war eine sehr gute Mutter. Dass Sydneys Mutter sich nicht um sie kümmerte, enttäuschte sie. „Mom, ich weiß, dass du traurig bist-" „Traurig? Ja traurig auch, aber zornig... Ich möchte dieser Frau ins Gesicht gucken und ihr sagen, was für eine schlechte Mutter sie ist", unterbrach sie Haylie. Ich hatte sie lange nichtmehr so zornig gesehen, genauso wie sie es sagte. Zorn, Traurigkeit, allmögliche Gefühle gehen durch einen durch.
„Na kommt jetzt. Wir essen gleich erstmal", sagte Mom und stieg aus.„Schmeckt sehr gut Mom", sagte Haylie kleinlaut. Ich schätzte, dass sie ziemlich überrascht von dem Verhalten meiner eigentlich ruhigen Mutter war. „Das freut mich." Nach ihrer Wut kam jetzt die Verarbeitung. „Ich möchte, dass ihr in den nächsten Tagen nicht alleine rausgeht. Am besten, bis der Typ geschnappt ist." Normalerweise würden meine Schwester und ich beide widersprechen, aber wir sahen es genau so wie sie. Vor allem ich. Wenn Haylie jetzt auch noch entführt werden würde, würden wir das mental nicht mehr überstehen.
Es klingelte an der Tür. Wir sahen uns gegenseitig an, bis ich mich schweigend erhob und zur Tür lief. Ich öffnete die Tür und im nächsten Augenblick stockte mein Atem. „Andrew? Was machst du hier?"
„Ich habe von Sydney erfahren, es tut mir alles so Leid, Aiden. Wirklich ich dachte nicht, dass er das mit ihr macht. Ich wollte doch nur, dass du Sydney nicht bekommst."
„Was redest du da?" Ich war geschockt. Hatte Andrew etwa etwas mit Sydneys Entführung zu tun?————
Am nächsten Tag saß ich wieder an Sydneys Krankenbett. In der Nacht ist sie nicht aufgewacht. Ich hingegen konnte kein Auge zumachen. Andrew hatte sich noch gestern bei der Polizei gestellt.
Er war nicht der Entführer, hatte ihm aber geholfen Sydney in ihrer neuen Heimat zu finden. Der Entführer war Sydneys Exfreund Jaxon. Andrew wird in der Zukunft auch verurteilt, aber er half der Polizei Jaxon zu finden. Er konnte ihnen eine detaillierte Personenbeschreibung geben und die Adresse seines Wohnortes in London.
Ich werde Andrew nie verzeihen für das, was er getan hatte. Trotzdem half er der Polizei ihn zu finden. Wahrscheinlich hatte er einfach Angst selber eine schlimme Strafe zu bekommen. Entweder hatte er es eingesehen oder er war einfach ein Schisser.
„Guten Tag." Ein Arzt riss mich aus meinen Gedanken und lief auf Sydney zu. „Wenn Ms. Evans wach wird, wird sie hier noch zur Beobachtung bleiben müssen. Auf Grund der traumatischen Erfahrung wird sie eine Therapie bekommen. Sofern ihr Gedächtnis wieder auf dem neusten Stand ist. Zu welchem Zeitpunkt das sein wird, können wir ihnen nicht sagen. Haben sonst noch Fragen?"
Ich schüttelte mit dem Kopf. Ich konnte es nicht mehr erwarten, bis sie aufwacht, aber gleichzeitig hatte ich Angst davor.
Nachdem der Arzt aus dem Raum gegangen war, kam Haylie rein. „Du kannst nebenan in das kleine Cafe gehen und etwas essen. Ich passe solange auf sie auf." Widerwillig stand ich auf und trottete raus. Nun hatte Haylie Zeit mit Sydney zu „reden".Als ich wieder bei ihrem Zimmer war, stand Haylie draußen. Fragend schaute ich sie an. Ich schaute durch das Fenster und sah meine Mutter bei ihr sitzen. Sie hielt ihre Hand und redete. Irrte ich mich oder waren Sydneys Wangen rosiger geworden? Ich setzte mich mit Haylie vor den Raum auf eine Bank und beobachtete vorbeilaufende Ärzte, Krankenschwestern und Besucher. „Glaubst du sie erinnert sich an uns?", fragte Haylie leise. „Ich weiß es nicht..."
In dem Krankenhaus verging nun die Zeit ungewöhnlich schnell. Irgendwann kam Mom raus und schaute uns glücklich an. „Sie hat ihre Finger bewegt!" Sofort sprang ich auf und stürmte in das Zimmer. Ich hechtete zu ihr und nahm ihre Hand. Für einen kurzen Moment war alles ruhig. Mein Atem war angehalten.
Dann spürte ich es. Ihre Finger zuckten und umklammerten dann meine Hand. „Syd?", fragte ich mit Tränen in den Augen. Sie bewegte ihre Finger weiter. Ich wusste nicht wie lange das ging, bis auf einmal ihre Mundwinkel zuckten und sie ihre Augen aufschlug. „Oh mein Gott, Sydney", sagte ich erleichtert und umarmte sie überglücklich. „Endlich bist du wach! Es tut mir so Leid, es tut mir alles so Leid. Ich-" Ich wollte eigentlich noch weiter erzählen, bis sie ihren Mund öffnete. In ihren Augen lag kein Glanz...
„Wer bist du und was hast du mit mir gemacht? Wo ist meine Mom?"

DU LIEST GERADE
The fear of love
Teen FictionSydney Evans, ein 17-jähriges Mädchen lebte in London. Als sie 15 Jahre alt war, ist ihr Bruder und ihr Vater bei einem Autounfall gestorben. Aus geschäftlichen Gründen musste sie mit ihrer Mutter nach 2 Jahren in eine Stadt in Illinois ziehen. Freu...