Er sagte kein weiteres Wort und ich entschied mich ihn einfach zu ignorieren. Das war ein komischer Typ... auch der Rest der Klasse war komisch. Ständig drehten sich Mädchen in den ersten Reihen um, guckten mich an und tuschelten dann. Der Junge neben mir schrieb gerade irgendwelche Physikformeln von der Tafel ab, als unsere Knie sich berührt hatten. Sofort zog ich mein Bein weg. Ich mochte keine Nähe und auch keine Berührungen mit Leuten, die ich nicht kannte. Unwohl guckte ich auf das Blatt und drehte meine Beine von ihm weg. Anscheinend fand er das lustig, denn neben mir hörte ich ein tiefes und leises Lachen. Ich sagte nichts weiter und hörte stumpf Mr. White zu.
Nach der Stunde sollte ich noch kurz länger dableiben, um mit Mr. White irgendwas zu bereden. „Okay Sydney, hattest du das Thema in deiner alten Schule schon?", fragte er und schrieb dabei etwas in ein Heft. Ich nickte und fummelte mit meinen Händen an einem Bändchen an meiner Tasche herum. „Perfekt, dann kannst du den Test in der nächsten Stunde mitschreiben. Wir hatten das Thema schon im letzten Jahr und ich wollte testen, was die Schüler noch alles können", redete er weiter, doch konzentrierte sich eher auf das Heft. Das Thema hatten wir zwar, aber ich konnte es damals schon nicht. Trotzdem sagte ich: „Okay". Somit verließ ich das Klassenzimmer und ging zurück zu meinem Spind.
Die nächsten Stunden liefen ähnlich ab. Ich sollte mich kurz vorstellen und mich dann irgendwo hinsetzen. In der letzten Stunde - Geschichte - sah ich das Mädchen wieder, das mir den Weg zu dem Sekretariat gezeigt hatte. Sie saß bei ihren Freundinnen und sie kamen mir alle sehr nett vor. Ich schloss kurz die Augen, schüttelte meinen Kopf und fokussierte mich wieder auf den langweiligen Geschichtsunterricht. Doch so ganz funktionierte das nicht. Ständig musste ich daran denken, wie mein Bruder mich nach irgendwelchen Stunden vor dem Klassenraum abgeholt hatte. Ich spürte, wie mein Herz zu rasen anfing und ich Probleme hatte zu atmen. Einige Minuten vergingen und es wurde nicht besser. „Entschuldigung, darf ich einmal auf Toilette?", fragte ich den Lehrer atemlos. Er nickte und fuhr mit seinem Unterricht fort.
Zwar wusste ich nicht, wo die Toilette war, aber ich musste einfach raus aus diesem Klassenzimmer. Somit durchquerte ich die halbe Schule, um eine Toilette zu finden. Keine Menschenseele war hier und das war gerade mein größtes Glück. Ich ging in eine Kabine, schloss sie ab und setzte mich auf den geschlossenen Deckel. Meine Beine zog ich an meine Brust und legte meinen Kopf auf meine Knie. Weinen wollte ich nicht. Nicht hier. Wenn ich wieder in die Klasse gehen würde, würde es jeder sehen. Stunden später sähen meine Augen immer noch glasig aus und meine Nase würde rot werden. Keine Ahnung wie lange ich letztendlich auf der Toilette saß, aber irgendwann verließ ich die Kabine und trat zu den Waschbecken. Wütend betrachtete ich mich in dem dreckigen Spiegel. Ich legte sanft meine zittrigen Hände auf meine Wangen und betrachtete mich. Im nächsten Moment hörte man etwas klirren und wenn jemand in die Toilette gehen würde, würde er ein aufgewühltes Mädchen sehen, das kurz vor dem Weinen ist und in Scherben steht. Ihr Blick würde zu meiner Hand gleiten und Blut sehen, welches aus den Schnitten trat.
Kurz darauf fluchte ich und könnte mich auf den Mond schießen. Zum einen war der Spiegel kaputt und zum anderen blutete meine Hand. Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass man sehen würde, wenn ich geweint hätte aber war dann so blöd und konnte mich nicht unter Kontrolle halten. Als ob man das nicht sehen würde. Ich atmete hörbar aus. Ohne auf die größten Scherben zu treten, ging ich näher ans Waschbecken und drehte den Hahn auf. Das Wasser brannte fürchterlich und ich zog schmerzverzerrt mein Gesicht zusammen. Ich hätte schreien, heulen und irgendwen verprügeln können. Wie ich es hasste. Ich hasste dieses verdammte Leben. Ich hasste mich. Er hätte nicht sterben dürfen. Er war der beste Mensch auf dieser Welt und statt ihn wählte das Schicksal mich aus. Ich sollte leben, doch ich wollte es nicht. Doch er ist letztendlich der Grund, warum ich lebte. Ich hatte noch eine Chance bekommen und ich musste leben...für ihn.
Unter dem laufenden Wasser stoppte die Blutung, doch sobald die Wunden nicht mehr mit Wasser ertränkt wurden, bluteten sie weiter. Nervös biss ich auf meine Lippe und begutachtete meine Hand näher. In meinem Handrücken war eine etwas größere Scherbe drin. „Fuck...", fluchte ich leise und griff zu einer Klopapierrolle neben dem Waschbecken. Ich legte es um die Scherbe herum und versuchte diese herauszuholen. Ich bekam sie raus und biss fester auf meine Unterlippe. Ich atmete aus und wickelte ein wenig von dem Klopapier um die Schnitte. Zum Glück war mein Langarm-Shirt an den Ärmeln lockerer. Somit konnte ich aus der Toilette treten, ohne dass jeder es gleich sehen würde.
Die Stunde ging nur noch 10 Minuten und ohne mir etwas anmerken zu lassen arbeitete ich weiter. Sobald die Stunde vorüber war eilte ich aus dem Schulgebäude nach Hause. „Ich bin da!", schrie ich durch das ganze Haus. Ich wusste, dass Mom noch bei der Arbeit war, aber früher war Dad schon immer daheim und fragte mich, nach meiner Ankündigung, wie die Schule war. Schnell ging ich ins Badezimmer zu dem Erste-Hilfe-Kasten. So schlimm waren die Schnitte gar nicht. Ich musste sie nur desinfizieren und reinigen. Danach ein Pflaster rauf und fertig. Doch so viel Wut und Hass war in mir. Hass auf mich selbst und Wut darauf, dass ich mich hasste. Ich wollte einfach nur meinen Bruder zurück, der jede Nacht zu mir kam, weil ich Albträume hatte, oder mich verarztete, als ich von der Schaukel geflogen bin. Bei den Gedanken musste ich unter Tränen schmunzeln. Doch sofort kam wieder die Wut hoch. Ich ballte meine Hände zu Fäusten, schmiss mich auf mein Bett und schrie all diesen Schmerz in mein Kissen. Keine Ahnung wie lange ich tatsächlich dort lag, aber es fühlte sich wie Stunden an. Und tatsächlich... als ich mein Gesicht aus den Kissen nahm und aus dem Fenster guckte, sah ich die Sonne friedlich unter gehen. Ich erhob mich, öffnete das Fenster und trat auf den davor liegenden Balkon. Erschöpft ließ ich mich auf einen Sessel fallen und zog meine Beine an. Der Himmel schimmerte in rosa-orangenen Tönen und die letzten Sonnenstrahlen erreichten die Baumkronen des Waldes. Für einen Moment vergaß ich die Realität und alles um mich herum, bis in dem Nachbarhaus Licht anging. Ich schaute rüber und es war genau das Zimmer, das an meinem Balkon grenzte. Gedankenverloren starrte ich aber wieder auf den Horizont und wünschte mir nichts sehnlicher als Mason und Dad hier neben mir zu haben, bis ich ein „Hey" hörte. Blitzschnell schaute ich nach rechts und sah einen Jungen auf dem anderen Balkon stehen. Seine schwarzen Haare wurden von einer Brise verwuschelt und seine blauen Augen schimmerten gerade zu. Ich blinzelte paar Mal und erkannte ihn dann. „Du bist Sydney oder?", fragte der Typ, der in Physik neben mir saß. Ich nickte und schaute ihn nur weiter an. „Besonders gesprächig bist du aber nicht", lachte er und stützte sich an dem Geländer an. Meine Mundwinkel zuckten ein wenig hoch und ein wohliges Gefühl breitete sich in meinem Körper aus. Er erinnerte mich ein wenig an Mason. „Und wie heißt du?", wollte ich wissen. „Aiden"
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Hey friends <333
Ich freue mich so unglaublich, dass schon ein paar Leute mein erstes Kapitel gelesen haben!! Danke <33!!
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The fear of love
Teen FictionSydney Evans, ein 17-jähriges Mädchen lebte in London. Als sie 15 Jahre alt war, ist ihr Bruder und ihr Vater bei einem Autounfall gestorben. Aus geschäftlichen Gründen musste sie mit ihrer Mutter nach 2 Jahren in eine Stadt in Illinois ziehen. Freu...