elfenbeinwachs

I.

Es war ein früher Sommer in Wien und die Sonne war wie eine Zuckertablette, die süß auf dem flammend-azurblauen Himmel dahinschmolz. Über die gepflasterten Gassen trug der laue Wind das schabende Echo von Pferdehufen und sanften Melodien, die warm von den Spitzen der Kinderzungen sprudelten. In jener Woche war der Pflasterstein klebrig von der herabtropfenden Hitze und meine Schuhe schmutzig von dem Staub, den die Kutschen und die vorbeiziehenden Obstkarren aufwirbelten; der sich in der Luft verteilte und mich mehrmals zum Niesen veranlasste.
An jenem Tag, meinen vollbefüllten Koffer und meine ledernen Taschen für das Internat mit mir tragend, sah ich Perdix zum ersten Mal. Zwischen den weißen Steinvillen und dem sanften Geruch nach Gebäck, der durch die sommerliche Luft zog, saß er schwer und dennoch glückselig wirkend im Schatten eines Pflaumenbaumes; die überreifen Früchte halbfaulig um seine hellen Kleider und Taschen verteilt. Mir schien, als hätte er die Pflaumen damals nur halb wahrgenommen; als sei ihm der süßlich-stechende Geruch des Verderbens um ihn herum gleich, wenn nicht vertraut gewesen. Von seinen Lippen schimmerte an diesem Tage ein Lächeln, glänzend in der Form der geschwollenen Pflaumenbäuche und gebrochener Herzen. Er hinterließ einen Eindruck auf mich, der mich zugleich wunderte und anzog und so starrte ich nur eine Weile unverblümt auf Perdixs gehobene Mundfalten, durch die jenes seltsam-schöne Lächeln tröpfelte und sein goldenes Haar, das in der sommerlichen Brise dahinwog, lang noch am Anfang dieses Sommers. Vermutlich hätte ich ihn noch länger betrachtet, im Versuch, die seltsame Anziehung zu ergründen, die Perdix auf mich ausübte, doch ich ward jäh aus meinen Gedanken gerissen, als ich die Schuhe meiner Mutter laut auf dem Asphalt vernahm. Sie war weibliche Schönheit mit perlmuttfarbener Haut, ein sanftes und bestimmtes »aber«, das von klugen Zungen sprudelt, eine fließende Melodie voller Wärme und Mysterium. Ich liebte meine Mutter aber sie hatte mir nie das Sprechen beigebracht - das rechte Sprechen; das aus-mir-herauskommende, selbstbewusste, eloquente Sprechen. Und diesem Umstand zuschulden verließ ich Perdix an jenem Tag ohne ein einziges Wort, obwohl mir wohl tausend in der Kehle brannten.