VIII.

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Ich wünschte, ich hätte es vorhersehen können: Perdixs tödlichen Sturz und den Schmerz, der aus seiner Brust bluten sollte - dort an jener Stelle, an der auch die Tiefe seines mir bekannten Geheimnisses vergraben war. Am nächsten Morgen, beim Frühstück in den kalten Internatshallen, färbte Perdixs Freude auf mich ab: während meine Hände über seine kurzen Haaren glitten und er seine Lippen zum Dank gegen meine Finger kräuselte - mit dem Mund der alles hielt, was er jemals wollte; dem Mund, der stets so sanft zu mir sprach. Viel zu spät erst bemerkte ich die wunderlichen Blicke der anderen Mädchen, die leere Stille im Morgensaal und die besonders scharfe Kälte, die sich in meine Kleider fraß, als wir uns auf den Weg in die Kapelle begaben. Trunken an dem Lächeln, das noch immer Perdixs Lippen zierte, bemerkte ich erst viel zu spät das leise Flüstern der Aufseherinnen, die krummen Blicke ihrer hohlen Augen und das Knirschen ihrer kreidig-weißen Fingergelenke; die knisternden Knochen wie Flammen eines auflodernden Infernos. Auf der Kapellenbank begann mein Herz schneller zu schlagen; es fiel mir schwer, mich auf das Mitsingen zu konzentrieren.
»Perdix«, flüsterte ich, »Irgendetwas stimmt nicht«
Doch er nahm nur meine Hand in die seine und beugte sich vorsichtig hinab, um mir ins Ohr zu flüstern: »Mach dir keine Sorgen. Ich fühle mich heute so gut wie noch nie«
Und irgendwie glaubte ich ihm. Irgendwie glaubte ich ihm immer.

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