siebenundzwanzig

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"Möchtest du, dass wir auch gehen?", fragend sah ich Henrik an.

„Nein. Nein, ist schon gut", antwortete er mir. „Ich würde mich freuen, wenn ihr noch ein wenig bleibt", er versuchte sich an einem Lächeln, doch es gelang ihm nicht sonderlich gut.

Ich griff nach einem Stuhl und zog ihn an Henriks Bett heran. Auffordernd sah ich Johannes an, doch er schüttelte kaum merklich den Kopf. „Ich gehe mal Kaffee für uns holen", sagte er und verließ das Zimmer.

„Würde ich mir nicht so viele Sorgen um dich machen, wäre ich wirklich verdammt sauer auf dich", ich sah meinen Bruder an. „Du hast es mit der Arbeit echt übertrieben. Warum machst du so was?"

Henrik schwieg und sah mir nur tief in die Augen. „Weißt du, Lin unsere Truppe sollte verlegt werden. In den Norden von Deutschland. Mein Vorgesetzter hat mir jedoch angeboten, dass ich hier bleiben könnte, wenn ich auf eine Beförderung hinarbeiten würde. Dummerweise wollte nicht nur ich die Stelle, sondern auch noch ein paar andere Soldaten mit mehr Erfahrung und besseren Qualifikationen. Daher habe ich versucht, so viel zu arbeiten, wie es nur ging. Sich reinhängen und Extrastunden sammeln kommt immer gut. Verstehst du das? Ich konnte nicht zulassen, von euch weggeschickt zu werden, jetzt wo wir uns gerade wieder angenähert hatten. Ich konnte es nicht ertragen. Und dann kam noch die Sache mit Noah dazu. Das hat dafür gesorgt, dass ich nur noch mehr Stress hatte. Ich habe mir solche Gedanken und Vorwürfe gemacht. Es hat mir wirklich die letzte Kraft geraubt", Henrik unterdrückte ein Gähnen.

Er sah nach wie vor unendlich müde aus. „Warum hast du denn nichts gesagt?" „Ich wollte euch nicht zusätzlich belasten. Du hast schon genug durchgemacht und Johannes muss eine Hochzeit planen und wird bald Vater", er verstummte. Offenbar wurde ihm erst jetzt klar, wie dämlich seine Aussage war.

Vor nicht allzu langer Zeit hatten wir uns versprochen, ehrlich miteinander zu sein. Wir hatten uns versprochen, uns nichts mehr zu verheimlichen. Und doch hatte Henrik genau das wieder getan. Zwar waren seine Hintergedanken nobel, doch wirklich etwas gebracht hatte ihm das alles nicht.

„Erinnerst du dich an unser erstes Gespräch nach meiner Rückkehr? Daran, wie wir uns versprochen haben, uns nichts mehr zu verheimlichen? Daran, dass wir immer ehrlich zu den anderen sein wollten?"

Henrik nickte. „Dann stelle ich mir also die Frage, warum du dich nicht an unser Versprechen gehalten hast?" Langsam verschwand die Sorgen um meinen Bruder. Es ging ihm gut und das war das Wichtigste. Anstelle der Sorge machte sich jetzt jedoch Wut breit. Wut über seine Sturheit und seinen Dickkopf.

„Ich schwöre dir, wenn du so was nochmal machst, wenn du nochmal deine Gesundheit aufs Spiel setzte, dann werde ich richtig wütend."

,Spöttisch hob Henrik eine Augenbraue. „Das will ich erleben" er stieß ein heiseres Lachen aus, wurde aber schnell wieder ernst. „Aber ich glaube, du verstehst den Ernst der Lage nicht. Wenn ich Pech habe, werde ich versetzt."

„Kann es sein, dass du nicht gehört hast, was der Arzt vorhin gesagt hat? Es war ein Warnsignal deines Körpers. Wer weiß, was beim nächsten Mal passiert", wütend stemme ich die Hände in die Hüften. Vermutlich hatte es hier und jetzt keinen Sinn, mit meinem Bruder darüber zu diskutieren.

„Ich glaube, wir sollten das Gespräch auf morgen verschieben. Die anderen sollten auch dabei sein. Und du", ich bohrte ihm meinen Finger in die Schulter, „ruhst dich verdammt nochmal aus. Sag uns Bescheid, ob und wann du morgen entlassen wirst, dann kommt einer von uns dich abholen. Und du solltest wirklich Mama und Papa anrufen. Wenn die beiden von dem hier erfahren", ich machte eine ausladende Bewegung, die den gesamten Raum mit einfasste, „werden sie auf jeden Fall durchdrehen. Also schieb es nicht zu lange vor dir her."

Anschließend verabschiedete ich mich von meinem Bruder und begab mich auf die Suche nach den anderen.

♦♦♦

Zu unser aller Freude konnte Henrik bereits am nächsten Tag wieder entlassen werden. Wie versprochen holte ich ihn ab und sorgte dafür, dass er sich, sobald wir zu Hause ankamen, auf die Couch legte. Der Arzt hatte absolute Ruhe verordnet und ich würde alles geben, damit Henrik sich daran hielt.

Das Gespräch, welches uns bevorstand, lag mir schwer im Magen. Ich wusste, dass sich mein Bruder nicht aufregen durfte, aber das, was wir ihm zu sagen hatten, würde ihn definitiv aufregen.

Nachdem wir aus dem Krankenhaus zurückgekehrt waren, riefen wir Noah an. Im ersten Moment war er wütend auf uns, dass wir ihm nicht sofort Bescheid gegeben hatten, doch schließlich sah er ein, dass zu viele Besucher auf einmal zu viel für Henrik gewesen wären.

Ich wappnete mich für das Gespräch, was vermutlich in einem handfesten Streit enden würde. Immerhin hatten wir vor, Henrik dazu zu bringen, den Dienst zu quittieren und sich einen neuen Job als Zivilist zu suchen. Ich wusste, dass er seinen Job liebte, aber ich hoffte, dass er uns und unsere Familie mehr liebte.

Zu unserer großen Überraschung teilte Henrik uns mit, dass er sich dazu entschieden hatte zu kündigen, noch bevor ich eins der mir zurecht gelegten Argumente vorbringen konnte.

Eine Art Wehmut zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Mir war klar, wie schwer ihm diese Entscheidung fiel, denn alles, was er je wollte, war zu Bundeswehr gehen. Doch er hatte eingesehen, dass seine Gesundheit vorging. Wenn er irgendwann unter der Erde lag, war seine Karriere schließlich keinen Pfennig mehr wert.

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