Vorgeschichte I

247 24 12
                                    

Dröhnende Bässe, die endlich immer leiser werden, je weiter ich nach draußen trete.

Kühle, frische Nachtluft füllt meine Lungen, nachdem mir die warme, verqualmte Luft in der Großraumdisco irgendwann plötzlich zu viel wurde und ich nur noch weg wollte.

Mir ist schwindelig, dabei habe ich nicht mal was getrunken an diesem Abend. Ich hangele mich an der Wand entlang, stütze mich an einer der Lounges aus ausrangierten Europaletten ab und setze mich dann erleichtert auf den erstbesten, feuchten Stuhl.

Der Raucherbereich ist auffallend leer, was vermutlich daran liegt, dass dieser Spätsommerabend bitterkalt und nass ist. Es regnet bereits seit Stunden und die Nässe hat sich hartnäckig in den wild zusammengewürfelten Outdoor-Möbeln festgesetzt.

Ich schließe kurz die Augen und drücke meine rechte Hand haltsuchend um die nasse Armlehne des Metallstuhls während sich alles um mich herum immer schneller dreht als wäre ich auf einem Kettenkarussell. Die stechende Kälte an meinen Fingerspitzen erdet mich für einen Moment und ich versuche, mich darauf zu konzentrieren.

Nur kurz durchatmen, gleich geht es mir bestimmt besser.

"Ist alles okay bei dir?"

Ich reiße erschrocken die Augen auf.

Vor mir steht ein junger Mann, gekleidet in eine schwarze Jeans, eine schwarze Jacke und ein schwarzes Hemd, um den Hals ein bedrucktes Schlüsselband mit einem Dienstausweis, an seiner Hose klemmt ein Funkgerät, das immer wieder knackt und piepst. Seine dunklen Haare sind akkurat frisiert, sein voller Bart frisch rasiert. Er ist durchtrainiert, das sieht man deutlich durch den eng anliegenden Stoff seines Hemdes und sein herber, maskuliner Duft steigt mir trotz der Entfernung zwischen uns in die Nase.

"Ja, danke", erwidere ich atemlos.

Der junge Mann zieht skeptisch die Augenbrauen zusammen und geht dann leicht in die Knie. Prüfend mustert er mein Gesicht. "Du siehst aber nicht so aus, als ob alles okay ist. Hast du zu viel getrunken?"

Ich lache heiser auf. "Ich habe gar nichts getrunken", entgegne ich angefressen. War ja klar, dass er denkt, ich sei nur ein weiteres dummes Mädchen, dass sich bis zur Besinnungslosigkeit betrinkt und dann nicht mehr klarkommt, aber ich habe den ganzen Abend lang keinen Alkohol getrunken, nur Cola. Ich weiß selbst nicht, was plötzlich mit mir los ist.

"Kreislauf?", hakt er besorgt nach.

Ich zucke mit den Schultern, dann hebe ich den Blick und schaue ihn aufgelöst aus großen Augen an. "Ich weiß nicht, was das ist, ich hatte sowas noch nie. Mir ist plötzlich total schwindelig geworden und irgendwie.." Meine Augen fallen zu, obwohl ich dagegen ankämpfe. Meine Lider sind plötzlich schwer wie Blei, meine Gliedmaßen sind es auch. Die Arme, die Beine, selbst mein Zunge - alles fühlt sich an wie Fremdkörper - zu schwer, um wirklich zu mir zu gehören.

Eine warme Hand berührt mich sanft an der Wange. So warm und angenehm weich, dass ich mir wünschen würde, sie könnte mich im Ganzen zudecken. "Hey", spricht der schöne Unbekannte mich an. "Mach mal deine Augen auf."

Ich wende all meine Kraft auf, um ihn anzusehen. Er sieht besorgt aus, seine glänzenden, braunen Augen beobachten mich aufmerksam.

"Versuch mal, wach zu bleiben, okay?", bittet er mich. "Ich fürchte, dir hat jemand KO-Tropfen gegeben. Ich rufe dir jetzt einen Krankenwagen."

Dann richtet er sich auf und funkt etwas durch sein Funkgerät. Er ist ein großer Mann von kräftiger Statur und in dem komplett schwarzen Aufzug macht er einen autoritären Eindruck.

Tränen steigen in meine Augen. Ich habe das Gefühl, gar nicht mehr Herr meiner Sinne zu sein und das macht mir Angst. Außerdem will ich in keinen Krankenwagen und ich will nicht ins Krankenhaus.

ONE NIGHT TILL SUNRISEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt