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Wir laufen zurück zu Noans Motorrad, das am Rand der belebten Innenstadt parkt. Noch einmal streicht der Fahrtwind um unsere Gesichter, als wir mit dem schwarzen Chopper durch die Dämmerung fahren.

Noan hat mir nicht verraten, wohin wir fahren, doch ich habe auch nicht nachgefragt.

Wieder schlinge ich meine Arme fest um seine Taille, spüre seinen warmen Rücken an meinem Bauch und versuche schwermütig, die Fahrt zu genießen.

Die Lichter der Laternen und Gebäude ziehen schnell an uns vorbei. Noan lenkt das Motorrad gekonnt durch den Verkehr, während die Stadt um uns herum langsam aus ihrem Schlaf erwacht.

Nach einer guten Viertelstunde Fahrt erreichen wir wieder die majestätische Hohenzollernbrücke, die über den glitzernden Rhein führt. Hier war eine der ersten Stationen unserer Nacht und ich kann kaum glauben, was seitdem alles passiert ist.

Unmöglich kann das nur ein einziges Date gewesen sein. Die Erlebnisse dieser Nacht reichen für einen ganzen Monat. Und es ist auch kaum zu fassen, dass ich Noan erst wenige Stunden kenne. Es fühlt sich viel mehr an, als kennen wir uns seit einer halben Ewigkeit.

Mein Begleiter parkt seine Harley, wir steigen ab und verstauen die Helme, bevor er selbstbewusst meine Hand nimmt und wir langsam auf die Brücke spazieren.

Der Anblick ist immer noch atemberaubend: Hunderte von Liebesschlössern, die verliebte Paare als Symbol ihrer ewigen Verbundenheit aufgehangen haben, schmücken das Brückengeländer, während Züge und Schiffe darunter vorbeiziehen.

In der Mitte der Brücke bleiben wir stehen und betrachten die funkelnden Lichter der Stadt, die sich im Wasser widerspiegeln. Die Stimmung ist melancholisch im Vergleich zu der Leichtigkeit, die wir in den letzten Stunden miteinander hatten.

Man sagt, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne und gerade habe ich das Gefühl, diesen zum ersten Mal zu spüren: das Kribbeln im Bauch und die Aufregung, auf alles, was noch kommt.

"Als wir am Anfang des Abends bei dem Italiener saßen, habe ich etwas Albanisches zu dir gesagt und ich habe dir versprochen, dir das noch zu übersetzen", sagt Noan mit Blick auf das Wasser.

"Ja, ich erinnere mich", gebe ich lächelnd zurück.

"Ti je kuptimi i bukurisë. Fati im që kam takuar dikë si ti", wierholt er melodisch und sieht mir nun tief in die Augen. "Das bedeutet: "Du bist die Bedeutung von Schönheit. Es ist mein Glück, jemanden wie dich getroffen zu haben."

Ich schlucke hart und blinzele die Tränen weg, die mir in die Augen steigen. "Danke", wispere ich leise.

"Und du hast mich gefragt, ob ich schon ein Schloss hier aufgehängt habe", erinnert er mich. "Ich habe dir darauf nicht geantwortet, sondern die Frage mit einem Joke übergangen. Ich habe noch nie ein Schloss hier aufgehängt. Ich wollte nie, dass ich das irgendwann bereue und entweder nachts hier mit einer Flex anrücken muss oder einen Taucher in den Rhein schicken muss, um unter den tausenden von Schlüsseln am Boden des Flusses den richtigen zu finden, damit ich die Erinnerung an irgendeine Ex wieder entfernen kann", grinst er. "Aber als du mich gefragt hast, hatte ich das hier schon in der Tasche", eröffnet er mir und zieht ein rotes Metallschloss aus der Tasche.

"One night till sunrise", steht auf dem Schloss.

"Ich bin kein Fan von so klischeehaften Liebesbekundungen, aber ich dachte, das ist etwas, woran wir uns beide für immer gerne erinnern werden, egal was kommt", lächelt er.

Meine Augen weiten sich. Überwältigt von meinen Gefühlen und unfähig, diese auch nur annähernd in Worte zu fassen, falle ich ihm um den Hals.

Ich drücke meinen Kopf in seine Halsbeuge und schlinge meine Arme um seinen Bauch.

"Das ist vermutlich das Süßeste, was jemals jemand für mich getan hat", schluchze ich und wische mir eine Träne aus dem Augenwinkel.

Noan küsst lächelnd meine Stirn.

"Dann lass uns mal ein freies Plätzchen suchen." Ich nicke begeistert und schaue mich um, beratschlage mich mit Noan, bis wir eine schöne Stelle gefunden haben. Mit einem leisen Klick verschließt sich das Schloss am Geländer und Noan zieht die Schlüssel heraus. Er reicht sie mir, verschließt seine Hand mit meiner und gemeinsam werfen wie die Schlüssel in das fließende Wasser unter uns.

Eine frühe Morgenstille liegt über dem Rhein, der von der immer höher wandernden Sonne in rötliches Licht getaucht wird. Das Farbspiel am Horizont ist atemberaubend und perfektioniert diesen Augenblick.

"Danke für dieses unbeschreibliche Date", sage ich und sehe ihm tief in die braunen Augen.

"Danke dir", erwidert er und hält meinem durchdringenden Blick stand. "Ohne dich wäre diese Nacht nicht so besonders gewesen."

"Und ohne dich hätte ich all das nie gewagt", gebe ich zurück. "Ich habe mich selbst nicht mehr wiedererkannt. Du hast das Beste aus mir rausgeholt. So frei und lebendig, sorglos und glücklich habe ich mich lange nicht mehr gefühlt. Und es tut mir leid, dass ich dir erst keine Chance geben wollte. Ich habe in keiner Sekunde bereut, es doch getan zu haben. Du bist ein wirklich toller Mann. Du bist so fürsorglich, liebevoll, bemüht, dir dabei aber für keinen Spaß zu schade, hast genug Humor, um auch über dich selbst zu lachen", schwärme ich.

Es ist Noan, dessen Wangen sich verlegen röten, während seine braunen Augen geschmeichelt leuchten.

"Heißt das, dass wir das ganze wiederholen?", fragt er voller Hoffnung.
Ich lege den Kopf schief. "Läuft das denn immer so mit dir ab? Oder kannst du auch einfach nur Pizza und Kino?"

Ein Grinsen schleicht sich auf sein maskulines Gesicht. "Ich kann auch ganz langweilig ruhig, ich schwöre", lacht er und hebt zwei Finger zum Schwur.

"Dann hoffe ich doch sehr auf ein zweites Date", gestehe ich.

Unsere Blicke treffen sich erneut und in diesem Moment spüre ich, wie die Anziehungskraft zwischen uns fast greifbar wird. Die Magie der letzten Stunden ist noch immer in der Luft, und ich kann nicht anders, als mich zu ihm hingezogen zu fühlen.

Noan legt sanft eine Hand an meine Wange und zieht mich ein wenig näher zu sich heran. Seine Lippen kommen langsam auf meine zu und mein Herz beginnt schneller zu schlagen.

Die Welt um uns herum verschwimmt und als unsere Lippen sich schließlich berühren, explodieren tausend Funken in mir.

Der Kuss ist zärtlich und voller Gefühl. Es ist ein Kuss, der die Verbindung zwischen uns vertieft und all die aufgestauten Emotionen freisetzt.

In diesem Moment gibt es keine Zweifel und keine Unsicherheiten mehr. Es fühlt sich richtig an, als wären wir füreinander bestimmt.

Als sich unsere Lippen voneinander lösen, sehe ich in Noans Augen das gleiche Glück und die gleiche Ergriffenheit wie in meinen.

"Ich mag dich, Malou. Ich mag dich wirklich sehr", flüstert Noan leise, und seine Worte zaubern mir ein Lächeln auf die Lippen.

"Ich mag dich auch, Noan", erwidere ich aufrichtig.

Es ist erst der Anfang, aber ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als diese aufregende Reise mit ihm an meiner Seite fortzusetzen und zu schauen, wo sie uns hinführt.

Wir haben eine einzigartige Geschichte geschaffen, die uns für immer verbinden wird, egal, was auch kommen mag.

Die Sonne steht mittlerweile hoch über dem Rhein und strahlt golden auf uns herab, als wir uns voneinander verabschieden.

Ein Abschied, der nur von kurzer Dauer sein wird, da sind wir uns beide sicher.

Ende.

ONE NIGHT TILL SUNRISEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt