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"Ich habe das Gefühl, ich schwanke immer noch", seufzt Noan, da sind wir schon einige Minuten wieder von dem kleinen Ausflugsschiff runter.

Gemeinsam laufen wir von der Anlegestelle am Rhein durch die nächtlichen Straßen Kölns in Richtung der Feiermeile der Altstadt.

"Schade.. Ich dachte, wir knüpfen an die Flasche Wein von vorhin an, aber wenn dir jetzt schon schlecht ist, sollten wir das vielleicht doch lieber lassen", necke ich Noan, doch der lässt sich auf mein Spiel nicht ein. Überlegen verschränkt er die breiten Oberarme vor der muskulösen Brust und übergeht milde lächelnd meinen Kommentar.

Immer wieder klackern Absätze über das Kopfsteinpflaster, laute Stimmen mischen sich mit unterschiedlichsten Musikfetzen, die aus den kleinen Bars, Restaurants und Kneipen dringen.

Irgendwann hake ich mich wortlos bei Noan ein. Es ist laut und voll hier um diese Zeit, viele betrunkene Leute sind unterwegs und seit dem Zwischenfall mit den K.O.-Tropfen kann ich das nicht mehr so richtig gut haben, doch Noans Nähe gibt mir die nötige Sicherheit.

Er ist groß, breit und strahlt neben einer gewissen Autorität auch eine tiefe Ruhe aus, die abfärbt. Darüber hinaus ist er wahnsinnig aufmerksam. Er hat sein gesamtes Umfeld genau im Blick. Immer wieder zieht er mich enger an sich oder schiebt mich vorausschauend zur Seite, wenn uns jemand plötzlich in den Weg stolpert oder mir für seinen Geschmack zu nah kommt. Er gibt mir durchgängig das Gefühl, dass mir nichts passieren wird, so lange er an meiner Seite ist und ich genieße es, mich darauf zu verlassen.

"Malou!", hallt es irgendwann plötzlich durch die Dunkelheit, gefolgt von einem grellen Pfiff. Noan versteift sich merklich und strafft die Schultern, sein Kiefer angespannt uns seine braunen Augen hellwach.

Aus einer kleinen Seitenstraße kommt ein junger Mann geradewegs auf uns zugelaufen, die Cappy tief ins Gesicht gezogen und einen schwarzen Jogginganzug an dem langen, schlanken Körper, der einen Großteil seiner viele Tattoos verdeckt. Lediglich an seinen Händen und dem Hals liegen die schwarzen Bildchen frei und unterstreichen seine düstere Optik. In der linken Hand hält er einen Joint und eine regelrechte Graswolke hüllt ihn ein, als er vor uns zum Stehen kommt.

"Mikail?", frage ich ungläubig und kneife die Augen leicht zusammen, um meinen Blick zu schärfen. Die Kombination aus fahlem Licht und der Mütze, die sein halbes Gesicht verdeckt, hat mich ihn beinahe nicht erkennen lassen.

"Jo, Malou", ruft er fröhlich zur Begrüßung und zieht mich in eine freundschaftliche Umarmung. "Was geht?"

"Alles gut und bei dir?", gebe ich grinsend zurück. "Auch", nickt er. Ich deute auf meinen Begleiter. "Das ist Noan. Noan, das ist Mikail", stelle ich die beiden einander vor.

"Ich weiß", erklärt Noan zu meiner Überraschung, macht einen Schritt auf den jungen Türken zu und reicht ihm höflich die Hand. "Mikaz, ich kenne dich von Instagram. Du machst echt gute Songs, Bro."

"Danke, man", antwortet Mikail geschmeichelt, legt seine linke Hand auf die Brust und senkt ein wenig den Kopf.

Seine Jungs, Cemo, Re-Maz und Rainy, die ihm gefolgt sind, begrüßen uns ebenfalls, bevor Mikail sich wieder an mich wendet: "Was für ein Zufall, dass ich dich ausgerechnet heute hier treffe, ja."

"Wieso?", frage ich skeptisch und lege den Kopf schief. Die Mischung aus guter Laune und absoluter Verpeiltheit, die ihn ausmacht, gibt einem immer positive Vibes.

Mikail zieht an dem glimmenden Joint und pustet den süßlichen Qualm in die klare Abendluft. "Wir haben den Track fertig, Re-Maz hat den gerade noch final abgemischt. Jetzt sind wir hier, um ein bisschen zu feiern", erklärt er verschwörerisch und deutet mit einer Kopfbewegung auf die halbleere Vodkaflasche, die einer der Jungs in der Hand hält.

ONE NIGHT TILL SUNRISEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt