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Ganz am Rand des Außenbereichs der urigen Kneipe, etwas abseits des Trubels ist tatsächlich gerade ein kleiner, runder Metalltisch mit zwei Stühlen frei geworden.

Wir lassen uns dort nieder und ich greife nach einer der laminierten Getränkekarten, die hier ausliegen.

"Ich brauche was mit Alkohol, einen Cocktail oder so", seufze ich schmunzelnd. Ich bin so aufgekratzt, durcheinander von den vielen Emotionen. Am liebsten würde ich mein Glück laut herausschreien.

"So schlimm mit mir?", fragt Noan und zieht eine seiner markanten Augenbrauen hoch.

"Quatsch, das war nur ungewöhnlich viel Action bisher für mein sonst so langweiliges Leben."

"Und dabei ist der Abend noch jung", grinst er verschwörerisch. "Da siehst du mal, was du alles verpasst hättest, wenn du dich nicht von mir überreden lassen hättest."

Ich bestelle eine Piña Colada, meinen Lieblingscocktail und Noan nimmt eine Cola. "Vielleicht muss ich ja heute noch irgendwohin fahren. Ich will mir die Möglichkeit nicht nehmen, dir alles zu bieten, was mir so in den Sinn kommt, schließlich habe ich nur neun Stunden", erinnert er mich erneut mit einem Augenzwinkern.

In meinem Magen breitet sich ein warmes Gefühl aus. Noan nimmt die Challenge wirklich ernst und das schmeichelt mir.

In der heutigen Wegwerfgesellschaft, in der sich jeder möglichst unverbindlich hält, da die nächste Option zum Flirt nur zwei Klicks mit dem Smartphone weg ist, gibt sich kaum jemand mehr Mühe.

Und machen wir uns nichts vor: Noan ist charismatisch, höflich, lustig, klug und er sieht wahnsinnig gut aus. Er könnte sich auch mit deutlich weniger Aufriss eine andere klarmachen. Aber das will er nicht. Er will mich und er scheut sich auch nicht davor, mir das unmissverständlich klarzumachen.

"Oh mein Gott", entfährt es mir plötzlich und ich sinke tiefer in den Stuhl. Schnell halte ich meine Hand vor mein Gesicht in der Hoffnung, nicht entdeckt zu werden, doch es scheint bereits zu spät zu sein.

Fragend sieht Noan mich an, während der junge Mann mit der runden, goldenen Brille und den längeren, braunen Haaren zielsicher auf mich zuhält. Im Augenwinkel kann ich sehen, dass er hektisch winkt, in seinem bunt karierten Hemd, dass er mit einer beigen Chinohose und Turnschuhen von Geox kombiniert hat.

Noan beugt sich über den Tisch. "Kennst du den?", zischt er mir zu. Verlegen nicke ich und hoffe weiterhin, dass Torge sich in Luft auflöst, wenn ich ihn einfach nur vehement genug ignoriere.

Als er plötzlich euphorisch: "Malou! Marie Louise!", ruft, und ich mich aus Reflex zu ihm umdrehe und mich in der nächsten Sekunde dafür hasse, weiß ich, dass ich aus der Nummer nicht mehr rauskomme.

Torge tritt freudig an unseren Tisch und umarmt mich erstmal überschwänglich. Ich erwidere die Umarmung nicht, sondern lasse sie einfach nur über mich ergehen.

Als er sich wieder von mir löst, hebt er tadelnd den Zeigefinger und sieht mich streng über den Rand seiner goldenen Brille an. "Jetzt muss ich aber erstmal mit dir schimpfen, du böses Ding. Wieso hast du dich denn nicht mehr bei mir gemeldet? Ich wollte dich doch zu meinem Quidditch-Spiel mitnehmen. Außerdem hast du gar nicht meine Kuscheltier-Sammlung gesehen, Mama hat die extra nochmal für dich gewaschen, alle 137 Stück."

Ich sinke noch tiefer in den harten Metallstuhl und werfe einen flüchtigen Blick zu Noan, der ein breites Grinsen im Gesicht hat und sich zusammenreißt, nicht in lautes Gelächter auszubrechen.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen.

Ich schenke Torge ein entwaffnendes Lächeln. "Tut mir leid, ich hatte wahnsinnig viel um die Ohren", lüge ich schamlos. Ich bin ein sehr wahrheitsliebender Mensch, aber was hätte es gebracht, Torge zu sagen, dass ich ihn für einen Freak halte? Das hätte nur seine Gefühle verletzt und keinem von uns weitergeholfen.

ONE NIGHT TILL SUNRISEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt