6. Was von einer Kerze abhängt

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Hatte ich bis eben noch das Gefühl, dass etwas auf meinen Körper drückte, war ich nun sicher, dass mich dieses Gewicht plattmachen würde. Ich war mir plötzlich sicher, dass ich sterben würde.

„Und du solltest dich beeilen. Wenn die Kerzen aus sind, gehörst du mir. Für immer." Diese Stimme, die alles andere verdrängte.

Zumindest fast. Ich zitterte noch immer wie Espenlaub.
Zwei weitere Kerzen erloschen, drei weitere brannten nur noch mit kleinen Flammen vor sich hin. Wie viel Zeit hatte ich?

Immerhin gelang es mir nun, meine Augen zu bewegen. Aber ich konnte nichts erkennen, außer diesen Umriss mit den Augen. Ich konnte noch nichtmal sagen, in welcher Farbe sie leuchteten.

„Also?" Die drei Kerzen erloschen. Nun konnte ich meinen Blick nicht mehr von den Kerzen abwenden. Es war wie Sand, der durch eine Sanduhr lief. Ich sah, wie mir die Zeit davonrannte.

„Ich weiß es nicht. Ein Geist?" Brachte ich hervor. Es klang zittrig und meine Zähne schlugen beim Sprechen aufeinander.

„Nein. Die Zeit, behalte sie im Auge und rate noch einmal." Sechs Kerzen erloschen.

Eine war noch übrig. Wie viel Licht eine einzelne Kerze doch spenden konnte. Eine Kerze, von der nun alles abhing. Panik ergriff mich und ich war mir sicher, dass mich nun der Schlag treffen und ich sterben würde.

Ich spürte den Blick von diesem Etwas auf mir. Und dann kam mir der Gedanke wieder: ein invertiertes Pentagramm. Das Symbol des Teufels.

„Ich spüre, du bist der Antwort nah. Aber leider", die Stimme hielt inne. Und es wurde dunkel. „Kommt die Lösung zu spät. Und korrekt ist sie auch nicht. Leg dich niemals mit mir an!"

Dann, wie aus dem Nichts, sah ich ein Gesicht vor mir. Leuchtend weiße Augen. Und in diesen Augen lag so viel Boshaftigkeit, dass ich es nicht fassen konnte. Ich bekam noch mehr Panik, obwohl ich nicht gedacht hätte, dass das möglich war. Die Zähne waren spitz und die Augen schief. Und ich hörte ein schrilles Kreischen, das in meinen Ohren wehtat, sich in mein Gehirn zu bohren schien.
Und dann, ganz unvermittelt, verschwand der Schrecken.

Die Welt wurde dunkel. Und ich verlor durch das plötzlich Verschwinden der Gefahr die Besinnung.

***

Ich sah wieder etwas. Und doch sah ich nichts. Um mich herum hatte sich eine vollkommene Dunkelheit ausgebreitet.
Irgendetwas tropfte langsam von irgendwo herunter, aber ich war nicht in der Lage, das Geräusch zu orten.

Langsam bewegte ich erst einen Finger, dann meine Hand und schließlich den Arm. Das funktionierte immerhin wieder. Also beschloss ich, einen Fuß zu bewegen. Auch das ging. Und so lief ich los. Langsam, mit einem Fuß immer den Boden abtastend, schlich ich mich voran. Der Boden war uneben, immer wieder spürte ich leichte Erhebungen oder Absenkungen im Boden.

Ein Gedanke traf mich mit voller Breitseite: War dieser Geist, diese Gestalt, auch hier unten? Irgendetwas ließ mich denken, dass hier unten war.

Mein Herzschlag begann nun erneut damit, das Tempo eines überdrehten Motors aufzunehmen und hämmerte gegen meine Brust. Ja, was wäre dann? Und wie sollte ich jemals wieder hier wegkommen?
Ich wusste es nicht.

„Falls du mich vermisst hast: Ich bin hier!" Genauso wie das Tropfen zuvor konnte ich auch die Stimme nicht orten. Allerdings wusste ich genau, wer dort gesprochen hatte. Diesmal hörte ich kein Atemgeräusch in meiner Umgebung, aber ich spürte eine Kälte, wie ich sie noch nie zuvor gespürt hatte.

Wieder begannen meine Glieder zu schlottern. Und wie durch ein Wunder fand ich die Kraft, um rennen zu können.

Das Geräusch meiner Schritte hallte durch die Dunkelheit, bis es plötzlich ein lautes Platschen gab. Ich war in etwas Nasses getreten. In eine Pfütze, einen See oder einen Ozean?
Ich blieb stehen, wusste ich doch nicht, wie tief dieses Gewässer vor mir war. Das Nass leckte an meiner Hose, drang an meine Haut und gesellte sich dort zu der Kälte und dem Zittern.

Aber war Ertrinken nicht besser als das, was dort hinten auf mich zukam? Ich konnte noch immer nichts sehen, hörte lediglich schleifende Schritte.

„Du kannst nicht entkommen! Du hast mich gerufen, jetzt gibt es kein Zurück mehr. Du musst meinen Meister sehen!"

Blind vor Panik entschied ich mich dazu, es darauf ankommen zu lassen. Ich machte einen Schritt vorwärts.

Sofort wurde ich von einer kalten Nässe eingehüllt. So, als wäre ich durch einen flachen See gelaufen, dessen Grund plötzlich abfällt.
Ich wurde verschluckt. Es fühlte sich an, als würden tausende Nadeln meinen Körper durchstechen.

Es war dunkel und mein Körper befahl mir, Luft zu holen. Aber ich zwang mich, es nicht zu tun. Ich wollte nicht hier sterben. Hier in der Dunkelheit, mit einem Geist im Nacken. Verflucht, ich war zu jung zum Sterben!

Und dann sah ich das Licht, das die Dunkelheit vertrieb und die Umgebung Stück für Stück heller werden ließ.

Fast spürte ich so etwas wie inneren Frieden, ja, ich vergaß das Grauen der letzten Augenblicke.

Aber es war falscher Frieden, wie ich bald darauf herausfinden sollte. Die Ruhe vor dem Sturm.

Das Flackern der KerzenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt