Als Sara an diesem Abend von der Uni nach Hause kam, stürzte ich mich sofort auf sie. ,,Du musst mir helfen! Ich hab nichts zum Anziehen!", rief ich ihr hilflos zu. Lachend hob sie die Arme. ,,Was ist denn dein Problem?", fragte sie. ,,Lukas hat mich zu einer Neueröffnung eines Restaurants an der Weser eingeladen und ich hab nichts, was sowohl normal als auch schick als auch gut aussieht", klagte ich ihr verzweifelt meine Probleme. ,,Dann wollen wir doch mal sehen, was sich in meinem Kleiderschrank findet", beruhigte Sara mich und zog mich in Richtung ihres Zimmers, nachdem sie Jacke und Schuhe ausgezogen hatte. Ich war um ihren Rat unendlich froh. Ihr Schrank platzte aus allen Nähten. Alle Farben, alle Kleidungsformen, unmöglich, irgendeine Ordnung zu erkennen. Rücksichtslos zerrte meine Cousine verschiedene Dinge aus dem Chaos, hielt sie neben mein Gesicht und warf sie auf ihr Bett. Irgendwann hatte sie eine elfenbeinfarbene Bluse gefunden. ,,Probier die mal an. Die könnte passen", sagte sie, während sie weiterkramte. Zögerlich streifte ich mein eigenes Oberteil über den Kopf und probierte die Bluse an. Sie passte perfekt, aber als ich mich im Spiegel sah, fand ich mich zu blass und zu übertrieben. Doch Sara zwang mich dazu, sie wenigstens in der engeren Auswahl zu behalten. Also ließ ich sie auf dem Kopfkissen liegen und probierte noch zwei weitere Oberteile an, die jedoch nicht so gut passten wie das erste. Ich seufzte. Dann wohl die Bluse. Aber auf jeden Fall eine Jeans dazu. Sonst wirkte es zu edel. Oder? Ach mann. Ich war einfach überfordert. Und Sara war mir keine große Hilfe. Sie war so aufgeregt, dass sie nur unnützes Zeug schnatterte. ,,Arrrgh! Ich weiß nichts!", rief ich verzweifelt in den Raum und warf die Hände in die Luft. Sara unterbrach sich in ihrem Redefluss und sah mich amüsiert an. Dann fragte sie: ,,Wer ist eigentlich dieser Lukas? Ich hab wirklich versucht, meine Neugier im Zaum zu halten, aber ich halte es nicht mehr aus!" Ich drehte mich zu ihr um. ,,Er ist der Besitzer von dem Café, in dem ich arbeite und irgendwie ein guter Freund." Sara zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Ich grinste sie an. ,,Neugier befriedigt?" Sie lachte. ,,Für's erste." Am Ende entschieden wir uns für die Bluse und ein Paar enge Jeans. Beziehungsweise Sara entschied und ich nickte wie ein Wackeldackel. Dann schickte sie mich ins Bett und begründete das mit: ,,Du musst am Samstag ausgeschlafen sein", obwohl wir erst Donnerstag hatten. Ich konnte mich nicht wehren.
Am Samstagmorgen wachte ich um halb elf auf. Erstaunt blickte ich auf den Wecker. Sonst schlief ich nie so lang, wenn etwas Aufregendes anstand. Ich war die Erste in der Küche und beschloss spontan, eben zum Bäcker zu laufen und Brötchen zu holen. Auch als ich wieder zurück war, herrschte noch eine schläfrige Stille in der kleinen Wohnung. Aber kurz, nachdem ich den Tisch gedeckt und die noch warmen Brötchen in einen schönen Brotkorb gelegt hatte, tauchte ein gähnender James in der Küche auf. ,,Moin", begrüßte ich ihn. Er grummelte irgendetwas vor sich hin. Ich beschloss, es als Guten Morgen zu deuten. ,,Du hast Brötchen gekauft! Danke!", freute er sich. So, wie er das Wort Brötchen aussprach, klang es echt witzig. ,,Schläft Sara noch?", fragte ich ihn. ,,Yeah", war seine etwas wortkarge Antwort. Mir fiel auf, dass ich noch nie wirklich mit ihm geredet hatte und auch nicht wirklich etwas über ihn wusste. ,,Wo genau kommst du eigentlich her?" James blickte auf, offenbar überrascht über meine Frage. Ich suchte nach einer Erklärung. ,,Ich bin jetzt schon ziemlich lange hier und hab gerade gemerkt, dass ich nicht wirklich etwas über dich weiß. Und das will ich ändern", sagte ich. James grinste. ,,Okay. Aber dann darf ich auch ein paar, keine Angst, unpersönliche Fragen stellen", stellte er eine Bedingung. Ich stimmte zu. Dann beantwortete er meine erste Frage. ,,Ich komme aus New Orleans, Louisiana. Schöne Stadt. Sehr viel... culture. Was sagt man in Deutsch?" - ,,Kultur, denke ich", übersetzte ich ihm. Er lachte. ,,Ihr Nachmacher. Jetzt bin ich dran. Wie sind die Leute so in dem Café, in dem du arbeitest?", fragte er dann. ,,Echt lieb. Die Atmosphäre ist richtig toll. Luke, der Chef ist nicht viel älter als ich und ist inzwischen ein guter Kumpel geworden. Sein Bruder David ist zwar ein bisschen aufdringlich, aber auch super nett. Dann gibt es eigentlich nur noch Kelly und Conny, die Kellnerinnen. Kelly ist total aufgedreht und Conny ihr genaues Gegenteil. Ach ja, und Marija, die Köchin. Die ist ziemlich streng, aber auch okay. Das ist wie eine zweite Heimat dort", erzählte ich aufgeregt. ,,Und wo ist deine erste Heimat?", bohrte James nach. Ich fuchtelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum. ,,Ah ah ah! Immer nur eine Frage! Ich bin jetzt dran. Wie habt ihr euch kennengelernt?" Auf diese Geschichte war ich schon länger neugierig. James lachte. ,,War ja klar, dass du das wissen willst. Das ist eigentlich ne ziemlich unspektakuläre Sache." Er machte eine Pause und es schien, als wolle er nicht mehr weitererzählen. Ich rutschte an die Stuhlkante und beugte mich vor. ,,Also?", fragte ich nach. Der fiese Kerl schien es zu genießen, dass ich vor Neugier fast platzte und trank langsam und genüsslich einen Schluck Kaffee, bevor er sich dazu bequemte, den Mund aufzumachen. ,,Sara war ja für ein Auslandsjahr in Amerika, wie du weißt. Ihre Gastschwester, Karen, steht ziemlich auf Rockmusik und kannte auch sehr viele Bands in der Umgebung, so wie meine. Sara mochte Rock gar nicht, doch Karen hatte sich fest vorgenommen, ihre deutsche Gastschwester zu einer handfesten Rockerin zu machen, weswegen sie schon mehrere Konzertkarten gekauft hatte. Sara konnte deshalb schlecht ablehnen und erbarmte sich und ging auf die Konzerte mit. Das vorerst letzte Geplante war eines von mir. Ich hätte Sara aber nie kennengelernt, wenn nicht mein guter Kumpel und Bassist Shane ein Auge auf die liebe Karen geworfen hätte. Also hielt er sie nach dem Konzert auf und verwickelte sie in ein Gespräch, während Sara etwas einsam neben den beiden herumstand und versuchte... wie sagt ihr?... sich nicht wie das fünfte Rad am Wagen zu fühlen. Ich hatte Mitleid und sprach sie an und so kamen wir ins Gespräch. Shane und Karen begannen eine Beziehung und sie setzten sich in den Kopf, die schöne Deutsche mit dem nicht so schönen amerikanischen Rocker, nämlich mir, zu verkuppeln. Doch es wollte nicht so recht klappen, denn erstens kannten wir uns nicht so gut und zweitens hatte keiner richtig Lust auf eine Beziehung. Und dann kam der eine Abend und danach waren wir ein Paar. Und als das Jahr vorbei war, fühlte Sara sich so heimisch in New Orleans, dass sie einfach bei uns blieb. Ihre Family schien kein Problem damit zu haben." Als er mit seiner Geschichte fertig war, schaute er mich beifallheischend an. ,,Ich muss schon sagen, du bist ein guter Geschichtenerzähler. Und wenn nicht alles erfunden ist, finde ich das schon süß. Das klingt, als wäre diese Karen eine witzige Person. Ist sie noch mit Shane zusammen?" James wiegte seinen Kopf hin und her. ,,Mal so, mal so. Eine On-Off-Beziehung, würde ich sagen", urteilte er dann. Ich lachte ein bisschen, einfach weil. ,,Du bist dran", erinnerte ich meinen neuen Kumpel. Ich hatte einfach mal beschlossen, dass er jetzt mein Kumpel war. ,,Ich halte an meiner vorherigen Frage fest. Was ist deine erste Heimat?", erinnerte er mich. Ich zögerte keine Sekunde. ,,Hier. Das große Haus in Frankfurt war nie meine Heimat." Da das so schrecklich depressiv klang, legte ich einen fröhlichen Unterton in meine Stimme. ,,Ich glaube, ich kaufe euch die Wohnung hier ab, wenn ihr zurück nach Amerika geht", beschloss ich scherzhaft. James lachte. ,,Das kann aber noch ein bisschen dauern. Sara möchte ihr Studium hier beenden und meine Jungs und ich wollen unseren Bekanntheitsstatus ein bisschen ausweiten. Außerdem ist Bremen eine schöne Stadt." Die Küchentür ging auf und eine sehr verschlafene Sara trottete in die Küche. ,,Morgen zusammen", grummelte sie und ließ sich auf den Stuhl neben James fallen. ,,Morgen", grummelten wir zurück. Darauf folgte eine mittellange Stille, weil wir alle nur aßen. Esssüchtig halt. Danach laberten wir nur unwichtiges Zeug und schafften es standhaft, bis zum Mittagessen um eine Dusche herumzukommen. Aber als es ca. zwölf Uhr war, wurden wir auf einmal ganz hektisch und eine heiße Diskussion um die Reihenfolge der Badbelegung entbrannte. Glücklicherweise konnten wir uns schnell einigen und keiner wurde bei einem Wettrennen niedergetrampelt.
Hi, da bin ich wieder. Die Saison für Klassenarbeiten ist für's erste vorbei, aber ich weiß nicht, wie schnell ich wieder Zeit zum Updaten finde. Der übliche Kram, ich hoffe, es hat euch gefallen etc. etc.
1) Hier habt ihr ein bisschen über James erfahren. Soll er ein bisschen öfter vorkommen oder ein sehr kleiner Nebencharakter bleiben?
2) Wie findet ihr die Geschichte vom Kennenlernen? Wollt ihr dazu vielleicht einen One Shot? Und wenn ja, aus James'oder aus Saras Sicht?
Das war es auch schon wieder. Mehr fällt mir nämlich gerade nicht ein.
LG, Vany
P.S.: VIELEN LIEBEN DANK FÜR 1K+ READS!!!! ICH BIN SO HAPPY!
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Dark Moments
RomanceAm Boden zerstört und völlig fertig. So lässt sich der seelische Zustand von Julia wohl am besten beschreiben. Die einzige Möglichkeit, dem zu entfliehen - alle Brücken abzubrechen und zu ihrer Cousine nach Bremen fliehen. Erst dort scheint sie wied...